|
Glaubt er das, was er da sagt? Das fragten sich bezüglich der Rede "Demokratie - Teilhabe, Zukunftschancen, Gerechtigkeit" des SPD-Parteivorsitzenden Franz Müntefering am 13. April nicht nur Medienvertreter und Unternehmer, sondern auch aufmerksame Bürger. Selbst so mancher Gewerkschafter rieb sich verwundert die Augen und mußte sich erst versichern, daß das ein aktueller Text war, den der SPD-Politiker dort vortrug.
Von Demokratie war die Rede, davon, das sie etwas ganz Wertvolles sei und der gute, sich sorgende Staat (hier die rot-grün e Regierung) sie im Interesse der Bürger über alles zu schützen gedenke. Nur leider stehe der Staat alleine da. Erst einmal sei der Bürger daran selber schuld, denn "das Desinteresse an Wahlen, die Mißachtung demokratischer Institutionen, die Politikverdrossenheit, die Diffamierung von Parteien, die Demokratieferne - dies alles hat in den letzten Jahrzehnten zugenommen". Der Staat sei nicht nur "Reparaturbetrieb", und das müßten die Bürger und vor allem das "Kapital" (Marx läßt grüßen) beachten. "Unsere Kritik gilt der international wachsenden Macht des Kapitals und der totalen Ökonomisierung eines kurzatmigen Profit-Handelns, denn dadurch geraten einzelne Menschen und die Zukunftsfähigkeit ganzer Unternehmen und Regionen aus dem Blick." Und diesen einzelnen - inzwischen immerhin über fünf Millionen - Menschen waren Mün-teferings Worte auch gewidmet.
Es steht außer Frage, daß die "international forcierten Profit-Maximierungsstrategien" in Deutschland und der ganzen Welt schon jetzt einiges an Schaden angerichtet haben, doch das ist so nicht neu und wird von der rot-grünen Bundesregierung sogar mit zahlreichen Maßnahmen gefördert. Demzufolge noch einmal zur Ausgangsfrage: Glaubt Müntefering das, was er da sagt?
Hier scheiden sich dann auch die Geister. Die Süddeutsche sprach beispielsweise von "Kriegsrhetorik" und deutete die Worte im Hinblick auf den NRW-Wahlkampf. "Obwohl er seine Rede als Beitrag für das neue Grundsatzprogramm präsentiert hat - sie soll nicht vorrangig die Basis für das langfristige Glaubensbekenntnis der Partei sein. Die Rede zielt ab auf die nächsten sechs Wochen und die eigenen schmollenden Anhänger." Die Welt hingegen glaubt, daß der SPD-Parteichef seine im politischen Alltag und Machtkampf lange unterdrückte linke Seite wieder auslebe. "Müntefering hat ein sozialdemokratisches Lebensthema zur Sprache gebracht ..." Ein Lebensthema allerdings, daß nicht mehr der Gegenwart angehöre, denn "auf der Suche nach der verlorenen Zeit führt der Parteivorsitzende" die Partei "in ein Reich, das nur noch verbal zu erreichen ist", so das abschließende Fazit der Tageszeitung. Ein Fazit, das um den inneren Zustand der SPD fürchten läßt, denn diese mögliche Rück-wärtsgewandtheit kann einer Regierungspartei nur schaden und stände selbst einer Oppositionspartei nicht gut zu Gesicht.
Für Deutschland wäre demnach die von der Süddeutschen vertretene Variante die bessere, denn abgesehen davon, daß sich am Ende herausstellt, daß der Parteivorsitzende mit seiner klassenkämpferische Rede nur ein paar verirrte Schäflein aus dem SPD-Lager speziell zur NRW-Wahl wieder zurück in den Schoß der Partei getrieben hat, dürfte er so kaum die laut Umfragen nötigen 900.000 Stimmen gegen den dortigen Wechsel erreichen.
Zudem ist da ja auch noch Bundeskanzler Schröder der keineswegs Anstalten macht, Münteferings Worten Taten folgen zu lassen. Zwar klagt er hin und wieder auch, daß Arbeitgeber, die Arbeitsplätze ins Ausland verlagern, "unpatriotisch" seien, doch gleichzeitig tanzt "der Genosse der Bosse" selbst auf dem Parkett der Globalisierer, indem er unter anderem von seinen Auslandsreisen Aufträge für deutsche Firmen mitbringt und weltweit agierende Großunternehmen gegenüber dem heimischen Mittelstand bevorzugt.
"Der Regierungschef hat die Aufgabe, pragmatisch alles dafür zu tun, den Wohlstand des Volkes zu mehren. Der Parteichef dagegen kann ideologisch sein", zitiert die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung den Kanzler-Vertrauten Jürgen Großmann. Doch der Manager weist auch zu Recht darauf hin, daß diese Kritik an der wachsenden Macht des Kapitalismus die Gefahr in sich birgt, von einer wirtschaftsorientierten Politik abzukommen. Wenn dies geschieht, hat die schwächelnde Wirtschaftsmacht Deutschland total verloren, denn an "einer Verwirtschaftlichung dieser Welt führt nichts vorbei". Wer den Menschen etwas anderes vorgaukelt, spielt nicht mit offenen Karten und ist bereit, für einen kurzfristigen Machterhalt die Zukunft dieses Landes aufs Spiel zu setzen. Doch wo ist dann der Unterschied zu dem verhaßten Profit-Denken des "Kapitals"?
|
|