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Moskau geht im Nahen Osten wieder eigene Wege. Die Hamas ist für die russische Führung keine Terror-Organisation, so der engste Berater von Präsident Putin, Viktor Iwanow, bei einem Vortrag in Berlin. Die Hamas müsse nur die Roadmap, den jüngsten Plan für den Friedensprozeß, akzeptieren und dürfe keine kriegerischen Handlungen gegen Israel begehen. Das ist sehr viel weniger als die Partner Moskaus im sogenannten Nahost-Quartett (die USA, die EU, die UN) fordern. Vor allem bezeichnen die Europäer und Amerikaner die Hamas nach wie vor als eine Terror-Organisation, und sie verlangen expressis verbis die Anerkennung Israels durch die Hamas. Da dies auch nach der konstituierenden Sitzung des neuen palästinensischen Parlaments mit der absoluten Hamas-Mehrheit nicht geschah und die Hamas an ihren Zielen und ihrer Charta festhält, die auch eine Vernichtung Israels vorsieht, bezeichnet der amtierende israelische Premier Olmert die Palästinensische Autonomiebehörde nun folgerichtig als eine Terrorbehörde. Dennoch wird Putin die Hamas-Führung nächste Woche in Moskau empfangen. Was bewegt den Kreml, solche Wege zu gehen und damit eine anhaltende Verschlechterung des Verhältnisses zu Israel und auch eine Verstimmung mit Washington in Kauf zu nehmen?
Putin hat einen Traum. Der russische Präsident träumt von den Zeiten, da Moskau im Nahen Osten eine gewichtige Rolle spielte und mit den Amerikanern eine Art Kondominium, eine Zweierherrschaft in der Region führte. Das war von den 50er bis in die späten 70er Jahre des vorigen Jahrhunderts. Damals, nachdem Moskau und Washington in der Suez-Krise gemeinsam die Briten und Franzosen ausgespielt und die Israelis auf ihrem Marsch auf Kairo gestoppt hatten, lieferten die Russen jahrzehntelang Waffen an die Radikalen in der Region, päppelten die PLO diplomatisch auf, mischten insbesondere mittels kommunistischer Terrorgruppen und Geheimdienstaktivitäten mit und später auch durch Raketenlieferungen an Syrien immer wieder die nahöstliche Bühne auf. Aber zu mehr als zu einer Veto-Macht langte es nicht, sowohl im Sicherheitsrat der Uno als auch auf dem Gefechtsfeld.
An diesen Traum will Putin, der in dieser Zeit im KGB Karriere machte, anknüpfen. Seine Einladung an die Hamas ist die Fortsetzung der sowjetischen Politik mit anderen Mitteln und Personen. Putin sieht heute außerdem eine reale Chance für Rußland durch die sich zuspitzenden Gefahrenherde Iran und Palästina. Alte Kontakte werden wiederbelebt, und diesmal hat Putin gegenüber den Radikalen im Vorderen Orient ein Argument mehr: Das Regime in Moskau ist nicht mehr per se gottesfeindlich. Es ist zwar nicht muslimisch, aber immerhin auch nicht offiziell atheistisch. Das vereinfacht die Lage. Hinzu kommt, daß Putin mit dem Energiemoloch Gasprom ein Netz über Teile der Industriestaaten legt, das durch eine Kooperation mit den Ölländern am Golf und auch mit dem sich zunehmend dem Marxismus zuwendenden Regime in Venezuela ziemlich engmaschig gestaltet werden könnte. Konkret: Ein Kooperation des größten Energielieferanten Rußland (zweitgrößter an Öl, größter an Erdgas) mit den Saudis (größter Erdöllieferant) oder Iranern und anderen Golfstaaten, insbesondere Katar (Erdgas), könnte die energiepolitische Abhängigkeit Europas bis zur politischen Willfährigkeit erhöhen. Dieser Kooperation kann Moskau durch politische Avancen gegenüber der Hamas und auch gegenüber Teheran näherkommen. Die Verhandlungen mit der iranischen Delegation in Moskau müssen nicht die letzten gewesen sein. Die Frage ist natürlich, ob nicht auch Moskau die Kraft des Islam unterschätzt - so wie viele Europäer das tun - und wie weit so eine taktische Allianz mit den Ölstaaten trägt.
Moskau begründet im Westen seine Avancen gegenüber der Hamas mit den freien und geheimen Wahlen, die die Hamas völlig legal an die Macht gebracht hätten. Das ist richtig. Die Wahlen verliefen nach demokratischem Muster, Hamas ist zu recht an der Macht. Aber daß zu einer echten Demokratie nicht nur freie Wahlen, sondern auch der Primat des Rechts, sprich der Menschenrechte, gehören und sowohl das Regime in Teheran als auch die Hamas diesen Ansprüchen in keinster Weise genügen, wird Putin nicht weiter interessieren. Er selbst hat ein zweifelhaftes Verhältnis zu Rechtsstaat und Menschenrechten. Rußland ähnelt hier mehr den Diktaturen in Nahost als den Demokratien des Westens, und Moskaus Vorgehen in Tschetschenien hat mehr mit Völkermord zu tun als mit einem Krieg nach Genfer Vorschriften. Man beobachtet im Nahen Osten sehr genau die Schritte der russischen Führung. In diesem Raum, in dem die Demokratisierung erst einmal in den Köpfen Platz greifen muß und in dem die Würde aller Menschen regelmäßig von der Scharia mißachtet wird, in dem man traditionell in Kategorien der Unterwerfung oder der Dominanz denkt und nur aus taktischen Gründen die Koexistenz pflegt, in dem der Haß auf Amerika wächst und der Gleichmut gegenüber Europa mehr mit Verachtung zu tun hat als mit Freundschaft, in diesem Raum sind so pragmatische Denker wie Putin hochwillkommen. Sie werden - Ironie der Geschichte - gesehen als die nützlichen Idioten des Islam. Mit ihnen will man gern einen Dialog pflegen, wenn man dadurch dem Ziel näher kommt, den Einfluß des Westens in der Region zu minimieren.
Spät haben Amerika und Europa die Volte Putins erkannt. Natürlich wäre es eine Lösung, wieder stärker auf die Atomenergie zu setzen und sich so vom Öl und Erdgas unabhängiger zu machen. Hier ist der Westen sowohl Moskau als auch den Ölstaaten technologisch um Längen voraus. Aber das ist eine politische Frage der näheren Zukunft, nicht zuletzt in Deutschland. In Frankreich zum Beispiel wird das geschehen. Im Moment allerdings käme es darauf an, gegenüber der Terrorgruppe Hamas firm zu bleiben und zu den Menschenrechten zu stehen. Der Besuch Solanas in Israel und seine Bemerkung, man müsse die Lage auch pragmatisch sehen, läßt ahnen, daß die EU schon im Begriff ist, die Fahne einzurollen und ihre Prinzipien erneut im Stich zu lassen. Man wird vermutlich die Wahlen in Israel abwarten und in der Zwischenzeit Ankara vermitteln lassen. Daß Ankara ebenfalls im Begriff ist, eine Volte zu vollziehen, sich der Hamas und damit der arabischen Seite und vor allem auch den Iranern zuwendet, das verkompliziert die Lage in der Region. Das macht aber die Treue zu den Menschenrechten noch dringender. Sonst ist die Kultur der Freiheit gefährdet. Diese Kultur gibt es in islamisch geprägten Ländern nicht. Dort dominieren totalitäre Gesellschaftsmuster. Der Islam, also auch die Hamas, ist demokratieunfähig. Insofern ist die Hamas-Frage nicht nur ein Prüfstein der Gemeinsamkeiten zwischen Rußland und den anderen Staaten der G-8-Gruppe, sondern auch für Europa selbst.
Alles blickt auf Putin: Kann Rußland mit dem Iran einen für alle tragbaren Kompromiß im Atomstreit vereinbaren? |
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