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Ohne Diskrimierung?

 
     
 
Offene Fragen zwischen Deutschland und Polen

In dem heute von allen politischen Parteien gelobten deutsch-polnischen Nachbarschaftsvertrag wurde es versäumt, eine Reihe brennender Probleme der deutschen Volksgruppe und der Vertriebenen zu behandeln. Verbannt in einen Briefwechsel des deutschen und polnischen Außenministers
, blieben sie bis heute die sogenannten offenen Fragen zwischen beiden Ländern. Zwei Probleme - deutsche Staatsangehörigkeit und zweisprachige Ortsschilder - sollen im folgenden eingehender behandelt werden.

Deutsche Staatsangehörigkeit

Durch Artikel 116 I Grundgesetz sind deutsche Volkszugehörige in den historischen deutschen Ostgebieten von Geburt an deutsche Staatsangehörige und können sich das an einer deutschen Auslandsvertretung durch Staatsangehörigkeitsausweise oder Reisepässe bestätigen lassen. Allein bis zum 31. Oktober 1998 stellte das Bundesverwaltungsamt 186 010 Deutschen in Polen Staatsangehörigkeitsausweise aus. Da sie ihre deutsche Staatsangehörigkeit nie verloren haben und ihnen die polnische oktroyiert wurde, sind sie also im Besitz einer doppelten Staatsangehörigkeit, die die polnische Rechtsordnung nicht zuläßt.

Polen duldet dies widerwillig. Nach dem völkerrechtlichen Prinzip der Effektivität werden die Doppelstaater in Polen nur als polnische Staatsangehörige behandelt, die deutsche Staatsangehörigkeit wird erst in Deutschland wirksam. Da der Nachbarschaftsvertrag keine Kollisionsregelung traf, ist deutschen Vertretungen in Polen der konsularische und diplomatische Schutz von Angehörigen der Minderheit weitgehend verwehrt. Polen fürchtet Loyalitätskonflikte der Doppelstaater, mithin separatistische Bestrebungen. So sagte die frühere Premierministerin Hanna Suchocka im Hinblick auf deutsche Sejm-Abgeordnete: „Polnische Parlamentsabgeordnete mit deutschem Paß, das habe ich Ihrem Botschafter klar gesagt, das ist zuviel”. Der ehemalige Außenminister Wladyslaw Bartoszewski fürchtete 1995 unrealistischerweise, es werde bald 20 Millionen Deutsche in Polen geben.

Die streitige Regelung ist nicht derart ungewöhnlich, wie es zunächst erscheint. Die Vereinten Nationen sind beispielsweise der Auffassung, daß Minderheitenangehörige nicht zwingend nur die Staatsangehörigkeit des Wohnlandes besitzen müssen. So verfügten auch die nichtvertriebenen Italiener des nach Kriegsende jugoslawisch gewordenen Istrien weiterhin über die italienische Staatsangehörigkeit.

Im übrigen bestätigt auch Polen in großem Umfang rück-kehrenden Exilanten die polnische und damit doppelte Staatsangehörigkeit. Eine solche Person ist der frühere Präsidentschaftskandidat Stanislaw Tyminski, was den ehemaligen deutschen Senator Gerhard Bartodziej zu der Kommentierung: „Wenn mich hier etwas schmerzt, dann, daß mit zweierlei Maß gemessen [wird]”, veranlaßte.

Obwohl führende Vertreter der Volksgruppe kaum eine Gelegenheit ungenutzt lassen, ihre Loyalität zum polnischen Staat zu bekunden, verwehren polnische Behörden den Deutschen unter Hinweis auf ihre Doppelstaatsangehörigkeit den Zugang zu hohen Positionen in der Verwaltung, insbesondere in der Woiwodschaftsverwaltung von Oppeln. Hierin ist wohl nicht nur ein Verstoß gegen das Gleichheitsgebot der polnischen Verfassung, sondern auch gegen den deutsch-polnischen Nachbarschaftsvertrag zu sehen (Artikel 20 I: „Sie [die Deutschen, Anm. d. Verf.] haben das Recht, ihre ... Grundfreiheiten ohne jegliche Diskriminierung und in voller Gleichheit vor dem Gesetz voll und wirksam auszuüben.”). Aus Anlaß zahlreicher administrativer Versäumnisse während des verheerenden Oderhochwassers 1997, das die Region Oppeln besonders traf, stellte der deutsche Sejm-Abgeordnete Heinrich Kroll bissig fest, daß einiges anders gelaufen wäre, wenn die Deutschen in der Woiwodschaftsverwaltung nicht nur die Putzfrauen stellen dürften.

Eine im Kontext der Staatsangehörigkeitsdiskussion vom Bund der Vertriebenen erhobene Forderung bezieht sich auf das aktive Wahlrecht zum Deutschen Bundestag bzw. Europäischen Parlament für Angehörige der Minderheit, da nach Ansicht des BdV der Ausschluß der deutschen Staatsangehörigen östlich von Oder und Neiße vom aktiven Wahlrecht ein Verstoß gegen die Artikel 3 (Gleichheitssatz) und 38 (allgemeine Wahlen) des Grundgesetzes sei. Im Vorfeld der Bundestagswahl 1990 scheiterte eine diesbezügliche Verfassungsbeschwerde des Gleiwitzer DFK-Vorsitzenden Friedrich Schikora vor dem Bundesverfassungsgericht. Derzeit ist es gemäß des Bundeswahlgesetzes für Auslandsdeutsche bereits möglich, sich der Briefwahl zu bedienen, insoweit sie zuvor mindestens drei Monate im Bundesgebiet gewohnt haben. Obwohl dies auf viele Deutsche in den Oder-Neiße-Gebieten zutrifft, dürften nur wenige an Bundestags- und Europawahlen teilnehmen.

Die polnische Aufforderung, den derzeitigen Rechtszustand zu ändern, wies die Regierung Kohl immer zurück. Nach ihrer Einschätzung hätte die Versagung eines Staatsangehörigkeitsausweises die Deutschen in den Oder-Neiße-Gebieten in die Nähe des durch Artikel 16 I GG verbotenen Entzugs der deutschen Staatsangehörigkeit gerückt. Der BdV kündigte für den Fall von „Manipulationen an Artikel 116” an, die Möglichkeit einer Verfassungsbeschwerde unter Berufung auf Artikel 16 I GG zu prüfen.

Zweisprachige Ortsschilder

Nicht nur, um internationale Standards des Minderheitenschutzes realisiert zu sehen und Regelungen durchzusetzen, wie sie deutsche Volksgruppen in Italien (Südtirol, Aostatal), Frankreich, der Welsch-Schweiz, Ungarn, Rumänien, der Slowakei, der Ukraine, Rußland und Namibia oder Sorben und Nordfriesen in Deutschland genießen, haben Vertreter der deutschen Minderheit in Polen von Anbeginn auch zweisprachige Orts- und Straßenschilder für ihre kompakten Siedlungsgebiete in Oberschlesien gefordert. Daß die Basis der Minderheit den insbesondere psychologischen Wert ebenso nachempfindet, zeigten zwei Vorstöße der Jahre 1991 und 1992, als zunächst in Schewkowitz/Frauenfeld zweisprachige Ortsschilder, anschließend in Himmelwitz drei Straßenschilder aufgestellt wurden. Beide Initiativen führten zu einem „Tafelsturm” durch die Woiwodschaftsverwaltung in Oppeln, die die neuangebrachten Hinweise schnell entfernte.

Polen ist seinem Versprechen aus dem Briefwechsel zum Nachbarschaftsvertrag, die Frage der Zulassung deutscher topographischer Bezeichnungen in Siedlungsgebieten der deutschen Minderheit „zu gegebener Zeit zu prüfen”, mit der Vorlage des Entwurfs eines Minderheitengesetzes einen, wenn auch nur zögerlich gegangenen Schritt nähergekommen; demnach würde der „Ministerrat ... durch Verordnung ein Verzeichnis der Ortschaften [bestimmen], in denen die Bezeichnungen dieser Ortschaften, der Straßen sowie der Organe der öffentlichen Gewalt ... auch in der in der Verordnung bestimmten Sprache der Minderheit verwendet werden” (Artikel 10 I). Gerade internationale Abkommen (Rahmenübereinkommen des Europarats zum Schutz nationaler Minderheiten, Charta der Regional- und Minderheitensprachen des Europarats) waren es letztlich, die Polen unter Handlungsdruck setzten. Nach einer repräsentativen polnischen Umfrage sind 82 Prozent der Bevölkerung des Oppelner Schlesien nicht gegen deutsche Ortsnamen eingestellt.

Für ein weiteres Problem muß erst noch eine Lösung gefunden werden: Etwa die Hälfte der Orte im westlichen Oberschlesien (und auch in Ostdeutschland) verfügt über zwei deutsche Namen. Nach 1934 wurden slawisch-deutsche (oder prußisch-deutsche) Ortsnamen verstärkt eingedeutscht. Einen nationalsozialistischen Hintergrund hatten in Oberschlesien Hitlersee für Sczedrzik, Heydebreck für Kandrzin und Adolf-Hitler-Kanal für Klodnitz-Kanal, sowie in Ostdeutschland Hitlershöhe für Sutzken. Eine Klage des Verbandes der damaligen polnischen Minderheit (Zwiazek Polaków) vor der durch das deutsch-polnische Minderheitenabkommen von 1922 eingesetzten „Gemischten Kommission für Oberschlesien” dagegen scheiterte 1937 mit dem Hinweis, daß die Umbenennungen in deutscher Souveränität gelegen hätten und polnische Behörden in Ost-Oberschlesien gleichermaßen gegen deutsche Ortsnamen vorgegangen seien. Nach 1945 wurden dann auch in West-Oberschlesien die alten Mischformen aus der Zeit vor 1934 polonisiert.

Im Gegensatz zu den historischen Namen lehnt Polen die Bezeichnungen der dreißiger Jahre kategorisch ab, wie die aufgeregten Reaktionen auf den Modellversuch in Schewkowitz zeigten, wo die Neuschöpfung Frauenfeld auf dem Schild erschien. Auch restaurierte deutsche Gefallenendenkmäler - so kam man in der polnisch-deutschen Denkmalkommission der Woiwodschaft Oppeln überein - mußten durch die Entfernung neudeutscher Ortsnamen wieder umgestaltet werden.

Gegen die von Polen verlangte Insgesamt-Abschaffung aller unhistorischen deutschen Ortsnamen (abgesehen von den ohnehin indiskutablen NS-Namen) sprechen folgende Gesichtspunkte: Etwa 83 Prozent der neudeutschen Bezeichnungen sind nach einer jüngsten Studie in der deutschen Bevölkerung fest eingebürgert. Demnach würde im Falle einer undifferenzierten Festlegung auf die traditionellen Namen in 83 Prozent der Fälle eine Bezeichnung amtlich verwendet werden, die in der Bevölkerung nicht mehr geläufig ist. In der Bundesrepublik blieben aufgrund dieser Überlegungen Namensänderungen der dreißiger Jahre zum Teil erhalten, auch ideologisierte Ortsnamen der früheren DDR.

Zur Lösung derartiger Fragestellungen haben die Vereinten Nationen im Rahmen von Expertenkonferenzen empfohlen, daß eingebürgerte Ortsnamen beibehalten werden sollen, wenn sie örtlich als solche empfunden werden. Hiernach wären die angenommenen deutschen Neunamen beizubehalten. Ob er eingebürgert ist, könnte vorher durch ein Referendum gemäß Artikel 170 der polnischen Verfassung festgestellt werden. Vergleiche sind im Hinblick auf Südtirol möglich, wo derzeit die Abschaffung vieler nach 1919 von den Faschisten künstlich geschaffenen italienischen Ortsnamen erwogen wird.

Bei der Diskussion, die Einführung deutscher Ortstafeln an eine Mindestquote von Angehörigen der Minderheit in den betreffenden Gemeinden zu binden, wurde häufig auch auf deutscher Seite ein Bevölkerungsanteil von 20 Prozent ins Gespräch gebracht. Hiervon kann man jedoch getrost Abstand nehmen, da dies nicht mehr dem aktuellen Stand im Minderheitenschutz entspricht. In vielen europäischen Staaten sind heute weniger als zehn Prozent üblich.

 
     
     
 
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