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Macchiavelli im Kaukasus

 
     
 
Batumi ist nicht nur das Verwaltungszentrum der Provinz Adscharien, sondern inzwischen auch die touristische Hauptstadt Georgiens. Vor alle aber ist Batumi die wichtigste Basis der Opposition gegen Präsident Schewardnadse.

An dem 50 Kilometer langen Streifen Schwarmeerküste zwischen Kobuleti im Norden un Sarpi an der türkischen Grenze konzentrieren sich bis in den September die Reisenden. I der Masse sind es Georgier, außerdem trifft man viele Russen, einige wenige Türke
n un nur sehr selten westliche Ausländer. Die Verbindung von Bergen und Meer, eine üppig Vegetation sowie die vereinzelten stattlichen Häuser erinnern ans italienische Ligurien Mandarinen- und Zitronenbäume verstärken den mediterranen Eindruck, während die Teeplantagen bei Cakva von einer fast versiegten traditionellen Einnahmequell Westgeorgiens zeugen.

Die wirtschaftlichen Unterschiede zu anderen Landesteilen – egal ob es die Regio Kartli rund um Tiflis ist, ob Kachetien im Osten oder Imeretien im Westen – sin augenfällig. Adscharien mit seinen 450 000 Einwohnern ist die einzige Provinz, die vo Bürgerkrieg sowie den Kämpfen in Abchasien und Südossetien verschont geblieben ist Traditionell nicht besonders wohlhabend, profitierte dieser südwestlichste Zipfe Georgiens vom Verlust der beliebten abchasischen Ferienorte und der dortigen Häfen.

In Kobuleti reiht sich kilometerlang Restaurant an Restaurant, und da Verwaltungszentrum Batumi unterscheidet sich wohltuend vom Verfall und der Tristesse in vielen anderen Städten. Bis zum Ende der Badesaison prägen flanierende Touristen da Bild. Die breiten Kiesstrände sind voller Menschen, die die Wärme der Luft und de Wassers genießen. In den großzügigen Parkanlagen zwischen Strand und Innenstadt sitze ältere Männer stundenlang beim Kartenspiel. Andere frönen gestenreich ihre Leidenschaft für "Nardi" – ein Brettspiel, das überall in Georgien zu allen möglichen und unmöglichen Zeiten hervorgeholt wird.

Mit dem vor wenigen Jahren errichteten Denkmal für den Schriftsteller Abaschidse ha dessen Sohn Aslan deutlich gemacht, wer heute in der 130 000-Einwohner-Stadt Batumi da Sagen hat. Der 1991 mit Unterstützung Gamsachurdias zu großem Einfluß gekommene heutig Regionalpräsident von Adscharien steht an der Spitze der "Union zur Wiederbelebun Georgiens". Bei dieser handelt es sich um eine oppositionelle Sammlungsbewegung vo ganz links bis weit rechts. Sozialisten sind ebenso dabei wie Teile der sogenannte "Swiadisten" – also Anhänger des Anfang 1992 gestürzten erste freigewählten Präsidenten Swiad Gamsachurdia. Einer seiner Söhnen is Vize-Bürgermeister von Batumi.

Gamsachurdias  Nachfolger, Eduard Schewardnadse, kann sich über fehlende Lob durch westliche Politiker und Medien nicht beschweren. Insbesondere in Deutschlan fällt die Würdigung seiner "Verdienste um Demokratie und Wirtschaftsreformen" oft geradezu überschwenglich aus. Während seines Deutschland-Besuchs Mitte Oktobe erhielt er für seine zweifellos positive Rolle im Widervereinigungsprozeß sogar de höchsten deutschen Orden, die Sonderstufe des Großkreuzes.

Vor der eigenen Haustür sieht es deutlich anders aus. Der Achtungserfolg de Opposition bei den Parlamentswahlen vom 31. Oktober läßt dies nur erahnen, zumal es die OSZE-Beobachter in einer vorläufigen Stellungnahme ausdrücklich ablehnten, vo "freien und fairen Wahlen" zu sprechen.

Die ruchbar gewordenen Manipulationen dürften nur die Spitze des Eisbergs zeigen Neutralen Beobachtern wurde an mehreren Orten der Zugang zu Wahllokalen verwehrt, in Tiflis verschwanden Stunden vor Beginn der Stimmabgabe 15 000 Wahlzettel, in Gori gin eine Wahlurne verloren, und die Opposition überführte einen Vertreter de "Bürgerunion" in der Zentralen Wahlkommission des Betrugs. Aber auch in Adscharien soll es laut OSZE zu erheblichen Unregelmäßigkeiten gekommen sein.

Hinzu kommen die Manipulationen beim Wahlrecht. Um den zahlreichen kleinere oppositionellen Parteien den Einzug ins Parlament zu verwehren, wurde eine Sperrklause von sieben Prozent festgesetzt. Im bisherigen Parlament entfielen auf Parteien, die unterhalb dieser Grenze lagen, immerhin 43 Sitze.

Aus Aslan Abaschidses einstiger adscharischer Regionalpartei, die bei den letzte Wahlen von 1995 nur 6,8 Prozent und 29 Sitze gewonnen hatte, ist selbst nach de zweifelhaften offiziellen Ergebnis eine für die Zukunft aussichtsreiche Anwärterin fü den Machtwechsel geworden. Im April 2000 stehen in Georgien Präsidentschaftswahlen an bei denen sich Abaschidse durchaus Chancen gegen den Amtsinhaber ausrechnen kann.

Fest steht, daß Schewardnadse in Batumi nur sehr spärliche Sympathien genießt. I der Region sei man "zu 102 Prozent für Abschidse", erklärt ei Restaurantbesitzer. Die Monatsrenten lägen hier bei 50 Lari (gut 50 Mark), während in Tiflis nur kärgliche sieben Lari ausgezahlt würden. Auch die Löhne seien höher Tatsächlich sind auf den Straßen weniger Bettler als in der Hauptstadt unterwegs, un die Strom- und Wasserversorgung, die in weiten Teilen Georgiens einem Lotteriespie gleicht, funktioniert in Adscharien wenigstens einigermaßen.

Die Anhänger Gamsachurdias und des aus dem Land vertriebenen frei gewählte Parlaments mißtrauen dem mit russischer Hilfe an die Macht gekommenen Schewardnadse, j viele hassen ihn bis auf den heutigen Tag. Durch die miserable wirtschaftliche Situatio ihrer an sich mit Bodenschätzen, fruchtbaren Äckern und schönen Landschaften gu ausgestatteten Heimat fühlen sie sich in ihrer Ablehnung bestätigt.

In der großen Mehrheit sind die Georgier heute jedoch politisch desinteressiert, auc desillusioniert. Die andauernden Kämpfe des letzten Jahrzehnts und die Sorge um da tägliche Auskommen haben sie müde werden lassen, und so schlägt die aus Sowjetzeite gewohnte Passivität voll durch. In der Ökonomie regiert eine Einstellung, die der jung Umweltschützer Iassi sehr anschaulich beschreibt: "Die Leute wollen lieber heute da Ei als morgen ein Huhn."

Gerade viele jüngere Leute ziehen angesichts der Perspektivlosigkeit der Verhältniss einen Schlußstrich: In den letzten Jahren wanderten Zehntausende georgischer Akademike nach Rußland, in die USA oder nach Mitteleuropa aus. Manch einer setzte seinem Lebe sogar ganz ein Ende. Während Selbstmorde vor 1989 so gut wie nicht vorkamen, wurden nac Angaben georgischer Zeitungen allein zwischen Januar und Juni dieses Jahres 24 Selbstmorde registriert.

Taxifahrer Gia schimpft wie ein Rohrspatz: "Hier verschwendet der Ober-Mafios Schewardnadse das Geld, das dem Volk fehlt." Während er dies sagt, verweist er au eine martialisch anmutende Szene an einer Ausfallstraße aus Tiflis: Alle fünfzig Mete steht hier – mitten im Zentrum der georgischen Haupstadt – ein Polizist mi seiner Kalaschnikow. Eine halbe Armee ist jeden Morgen und jeden Abend auf den Beinen, u den kilometerlangen Fahrweg von Eduard Schewardnadse zu sichern. Und weil der Präsiden seit den Anschlägen von 1995, 1998 und zuletzt vom Frühjahr dieses Jahres panische Angs vor Wiederholungen hat, bewachen die Polizisten nicht nur eine Strecke zwischen de Präsidialkanzlei und seiner Privatresidenz außerhalb der Stadt, sondern gleich dre Routen. Die Entscheidung darüber, welcher Weg jeweils eingeschlagen wird, erfolg kurzfristig und nur in Absprache weniger Personen.

Das kleine Georgien mit seinen 5,4 Millionen Einwohnern verfügt über die stattlich Zahl von 33 000 Polizisten. Überall im Lande, selbst an ziemlich abgelenen Straßen un in nahezu gottverlassenen Orten in den Bergen des Großen und des Kleinen Kaukasus, lauer die Verkehrspolizisten. Nachdem sie zuletzt acht Monate lang vom Staat keinen Loh bekommen haben, erteilte der Präsident die Order, sich "selbst zu versorgen" Die Folge: moderne Wegelagerei mit willkürlichen Strafgeldern.

Doch daß im heutigen Georgien noch ganz andere Dinge möglich sind, darauf hat die Internationale Gesellschaft für Menschenrechte (IGFM) wiederholt hingewiesen. Anläßlic des jüngsten Deutschlandbesuchs von Eduard Schewardnadse erinnerte sie daran, daß nac wie vor über 50 namentlich bekannte politische Gefangene in georgischen Gefängnisse einsäßen. Geständnisse würden durch Folter erzwungen und von willfährigen Richter zur Verhängung langer Haftstrafen verwendet. Die Gefängnisse befinden sich nac IGFM-Angaben in einem katastrophalen Zustand; viele Inhaftierte seien schwer erkrankt. Vo allem grassiere die Tuberkolose. Georgische Zeitungen berichten, daß jeden Tag ei Häftling – egal ob ein "Politischer" oder ein Verbrecher – an de Verhältnissen stirbt.

Das breite oppositionelle Fußvolk ist diversen milderen Repressionen ausgesetzt, die allerdings dem Anspruch einer Demokratie Hohn spotten. Unerwünschte Demonstrationen in der Hauptstadt werden zum Beispiel aufgelöst, indem der harte Kern der Protestierer vo Polizisten auf Lastwagen verladen und in die öden Halbwüsten im Südosten von Tifli transportiert werden. Bis sie von dort wieder zurück sind, haben sich die Gemüte beruhigt, so hoffen jedenfalls die Verantwortlichen.

Manche Oppositionelle zeigen sich resigniert angesichts der festgefügte Machtstrukturen, der Propaganda des staatlichen Fernsehens und vor allem des westliche Desinteresses an der problematischen innenpolitischen Situation Georgiens. Immer wiede betonen sie, daß Schewardnadses wohklingende Äußerungen über Freiheit und Demokrati aus dem früheren Vorsitzenden der georgischen Kommunistischen Partei un Ex-Sowjet-Außenminister noch lange keinen Demokraten machen.

Auch die Aufnahme in den Europarat am 27. April 1999 läßt nicht automatisch westlich Verhältnisse einkehren. Sie unterstreicht nur die immer deutlicher zu beobachtend außenpolitische Kursänderung Schewardnadses. Der einstige Sachwalter Moskauer Interesse im Kaukasus dürfte sich inzwischen einigen Unwillen bei russischen Politikern zugezoge haben. So scherte Georgien im Februar aus dem GUS-Vertrag über kollektive Sicherheit aus und Schewardnadse kündigte mehrfach an, bis spätestens 2005 ein offizielle Nato-Beitrittsgesuch stellen zu wollen. Schließlich lehnte der Präsident Anfang Novembe den Wunsch Moskaus ab, von georgischem Territorium aus gegen die tschetschenische Unabhängigkeitskämpfer vorzugehen.

Schewardnadse ist ein Fuchs. Er weiß, daß der russische Stern im Kaukasus langfristi am Verlöschen ist und sucht nach neuen Orientierungen. Andererseits reicht der Arm de Kreml in dieser Weltgegend noch immer weit. Er könnte sich zum Beispiel der erstarkende Opposition als Waffe bedienen, zumal Abaschidse – anders als seine swiadistische Bundesgenossen – eher als rußlandfreundlich gilt. Aber auch diese potentielle Gefahren kennt der Präsident natürlich. Wahrscheinlich wird er sich in eine Schlingerpolitik zwischen den Fährnissen der internationalen Machtinteressen zu behaupte versuchen. An der allgegenwärtigen Korruption und der tiefen wirtschaftlichen Miser Georgiens dürfte sich in absehbarer Zeit so oder so nichts ändern
 
     
     
 
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