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Standortrisiko Parität

 
     
 
Dreißig Jahre nach Einführung des Mitbestimmungsgesetzes sind die Fronten zwischen Gewerkschaften und Arbeitgebern noch immer nicht geglättet. Unternehmerische Mitbestimmung, damit ist die paritätische Mitbestimmung in etwa 730 deutschen Kapitalgesellschaften mit jeweils mehr als 2000 Beschäftigten gemeint. In den Aufsichtsräten dieser Großunternehmen sitzen je zur Hälfte Arbeitnehmer
vertreter und Anteilseigner. Dabei kommt dem Vorsitzenden bei einer Pattsituation ein doppeltes Stimmrecht zu. Bei Nichteinigung wird dadurch der Aufsichtsrat von der Anteilseignerseite dominiert.

Kein Land Europas hat ein so weitreichendes Gesetz zur unternehmerischen Mitbestimmung, 14 EU-Staaten haben sogar gar keine Regelung. Entsprechend ungehalten ist Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt über die Forderung von Gewerkschaftschef Michael Sommer nach Abschaffung der Doppelstimme des Aufsichtsratsvorsitzenden. "Solche Forderungen sind abwegig und auch nicht im Sinne der Arbeitnehmer", stellt Hundt gegenüber der "Südwest Presse" klar.

Mit der Aufhebung der Doppelstimme könnte das Mitbestimmungsgesetz zum volkswirtschaftlichen Desaster werden, so die Befürchtung der Arbeitgeber. Das Blockieren unternehmerischer Entscheidungen durch die Arbeitnehmerschaft als eine Form der Fortsetzung des Arbeitskampfes sei vorhersehbar. Zwar würde zur Behebung der Pattsituation, wie schon jetzt in der Montanindustrie üblich, ein sogenannter "Neutraler" die Situation klären. Die Skepsis an dieser Regelung rührt aber, wie ein Mitarbeiter der "Bundesvereinigung der deutschen Arbeitgeberverbände" (BdA) erläutert - aus der Erfahrung mit den in der Montanindustrie eingesetzten "Neutralen", die eine "gewisse Affinität zur Arbeitnehmerschaft" hätten. Über das Mitbestimmungsrecht läßt sich aber auch schon aus prinzipiellem Grunde trefflich streiten, denn es stellt einen Systembruch im verfassungsrechtlich garantierten Eigentumsrecht (Artikel 14 Grundgesetz) dar. "Die Aufhebung der Doppelstimme des von den Anteilseignern gestellten Aufsichtsratsvorsitzenden wäre endgültig verfassungswidrig", so der BdA-Mitarbeiter gegenüber derVerlegerin

Hundt steht dennoch hinter dem Gesetz, denn er sieht auch seine Vorteile. Die deutschen Arbeitgeber haben den Wert der arbeitnehmerseitigen Identifizierung mit dem eigenen Unternehmen schon vor Jahrzehnten als produktionssteigernden Faktor erkannt. Diese Identifizierung erreichen Arbeitgeber durch Mitarbeiter-Zeitungen, Vorzugsaktienangebote, Urkunden und die berühmte goldene Uhr zur 35jährigen Betriebszugehörigkeit oder andere innerbetriebliche Statussymbole.

Ein Haken an der von Hundt grundsätzlich begrüßten paritätischen Mitbestimmung im Aufsichtsrat bleibt allerdings das Entsenderecht der Gewerkschaften und der daran gekoppelte Anspruch auf Aufsichtsratsplätze für Gewerkschafter, die nicht immer betriebsangehörig sein müssen. Das kommt nicht bei allen Arbeitnehmern gut an - erst recht nicht bei Nichtgewerkschaftlern.

Schwerwiegender ist allerdings, daß die weitreichende unternehmerische Mitbestimmung in Deutschland sich als zu hohe Hürde für ausländische Investoren erweist. Kapital, das deutsche Unternehmen benötigen, um sich am Markt halten zu können, fließt nicht in dem gewünschten Maße aus dem europäischen Ausland in hiesige Kapitalgesellschaften. Auf diese Weise erweist sich das Mitbestimmungsgesetz als weiterer Grund für die Abwanderung deutscher Unternehmen ins Ausland. Niemand läßt sich gerne enteignen.

Arbeitgeberpräsident Hundt möchte den Standortnachteil durch die Einführung der "Öffnungsklausel" in das Mitbestimmungsgesetz überwunden wissen. Nach dieser Regelung könnten Arbeitnehmervertreter und Anteilseigner über eine Verkleinerung des Aufsichtsrates und über den Wechsel zu der im Betriebsverfassungsgesetz verankerten "Drittelbeteiligung" selbst entscheiden. Danach würde nur jeder dritte Aufsichtsratposten durch Arbeitnehmervertreter besetzt.

Es gibt gute Gründe für die Arbeitnehmervertretungen sich auf diesen Rückzug einzulassen. Die europäische Rechtssprechung zur Niederlassungsfreiheit in der EU hat den Kapitalgesellschaften nämlich die Möglichkeit eröffnet, ihren Sitz - auf Kosten deutscher Arbeitsplätze - ins Ausland zu verlegen und dennoch in Deutschland Tätigkeiten zu entfalten, ohne dem Mitbestimmungsgesetz zu unterliegen. Bereits heute nutzt jedes siebte ausländische Unternehmen, das sich in Deutschland ansiedelt das britische Gesellschaftsrecht.

Kurz: Reduzieren die Gewerkschaften nicht die Forderungen zur Mitbestimmung, so werden sie und der deutsche Wirtschaftsstandort überrollt von der europäischen Rechtsrealität.

Vor diesem Hintergrund berät derzeit eine Kommission, bestehend aus Vertretern von Arbeitgebern und Arbeitnehmern, unter dem Vorsitz des früheren sächsischen Ministerpräsidenten Kurt Biedenkopf, die nötigen Reformen zur unternehmerischen Mitbestimmung. Erste Verhandlungsergebnisse werden in Kürze vorgelegt.

 

Zeitzeugen

Franz Steinkühler - Das SPD-Mitglied kann auf eine lange Karriere bei der IG Metall zurückblicken: vom Bezirkssekretär 1963 bis zum Chef der Gewerkschaft (1986-1993). Sein Name steht für die "Steinkühlerpause" (Erholpausen für Fließbandarbeiter) und die 35-Stunden-Woche. Wegen Verdachts, sein Aufsichtsratmandat für Insidergeschäfte mißbraucht zu haben, trat er 1993 zurück.

Hans Katzer - Der CDU-Politiker aus Köln (1919-1996) war von 1965 bis 1969 unter Ludwig Erhard und später Kurt Georg Kiesinger Bundesminister für "Arbeit und Sozialordnung", danach bis 1979 stellv. Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Im Rahmen der Sozialen Marktwirtschaft wollte Katzer eine zeitgemäße Gesellschaftsform gestalten und machte sich besonders für die Mitbestimmung und das Miteigentum stark.

Heinz Vetter - Der gebürtige Bochumer (1917-1990) war von 1969 bis 1982 Vorsitzender des "Deutschen Gewerkschaftsbundes". In seiner Amtszeit wurde das Mitbestimmungsgesetz beschlossen, das er als "die größte Enttäuschung seiner Amtszeit" sah, da es ihm nicht weit genug ging, trotzdem wurde er als "Messias der Mitbestimmung" gefeiert. Gleichzeitig fällt auch der größte Skandal des DGB in seine Ära: Die Affäre um den Baukonzern "Neue Heimat".

Kurt Biedenkopf - Der CDU-Politiker (*1930) und ehemalige Ministerpräsident von Sachsen ist entschiedener Befürworter der Mitbestimmung. So leitet er auch die jetzige Kommission, die sich mit ihrer Reform beschäftigt. Mitbestimmung erweise sich als Vorteil, so Biedenkopf, weil Anpassungsprozesse dadurch reibungsloser verliefen. Für einen grundlegenden Umbau der Mitbestimmung gibt es für ihn keinen Anlaß.

Gustav Bauer - Der 1870 in Darkehmen / Ostdeutschland geborene SPD-Politiker war vom 21. Juni 1919 bis zum 26. März 1920 Reichskanzler der Weimarer Republik. In seine Amtszeit fiel die Verabschiedung des Betriebsrätegesetzes, das beschlossen wurde, als vor dem Reichstag 30000 Anhänger von KPD und USPD gegen das für sie zu lasche Gesetz demonstrierten. Nach Übergriffen auf die Wachleute kam es zur Schießerei - 42 Tote.
 
     
     
 
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