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In dem Schlußbericht der Enquete-Kommission "Überwindung der Folgen der SED-Diktatur im Prozeß der deutschen Einheit", der als Drucksache des Deutschen Bundestages unter der Nummer 13/11000 im Jahre 1998 veröffentlicht wurde, ist ausdrücklich festgelegt: "Die nationalsozialistische n Verbrechen dürfen durch die Auseinandersetzung mit den Verbrechen des Stalinismus nicht relativiert werden. Die stalinistischen Verbrechen dürfen durch den Hinweis auf die nationalsozialistischen Verbrechen nicht bagatellisiert werden." Und einige Punkte weiter liest man unter der Überschrift "Gedenken an Opfer": "Alle Opfergruppen haben das Recht, individuell am Ort ihres Leidens durch Nennung von Namen und Schicksal gewürdigt zu werden."
Offenbar geraten solche Grundsätze zunehmend in Vergessenheit, was stets dann deutlich wird, wenn es um die Würdigung und Erinnerung an die Opfer von Verfolgungsmaßnahmen der Sowjetunion geht. In den letzten Kriegswochen und danach richtete der sowjetische Geheimdienst in den eroberten deutschen Gebieten zehn (nach anderen Angaben elf) "Speziallager" ein, um darin "feindliche Elemente" einzusperren gemäß dem Vorbild des von der UdSSR seit Jahrzehnten betriebenen Lagersystems. Unter dieser Bezeichnung faßte der NKWD alle Personen zusammen, von denen man eine kritische Einstellung gegenüber dem Kommunismus erwartete, aber auch Leute, denen die Sowjets Kriegsverbrechen vorwarfen. Aufgrund der verheerenden Haftbedingungen war die Todesrate in den sowjetischen Speziallagern "fast so hoch wie in den Nazi-KZs", wie jüngst die Welt schrieb.
In vielen Fällen nutzen die Sowjets dabei die früheren deutschen KZs weiter. Sie sind heute Gedenkstätten, die von mit öffentlichen Geldern finanzierten Stiftungen betrieben werden. Und von der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten unter ihrem Leiter Prof. Dr. Günter Morsch fühlen sich die ehemaligen Häftlinge speziell des sowjetischen Lagers Sachsenhausen tief gekränkt und benachteiligt wie "Opfer 2. Klasse". In ihren Augen wird, und das nicht unberechtigt, zwar der Opfer des NS-KZs mit großem Aufwand gedacht, dabei aber die Opfer des sowjetischen KZs mißachtet und in den Hintergrund gedrängt.
Besucher der Gedenkstätte des ehemaligen KZ-Sachsenhausen und das sind in erster Linie Ausländer und Schulklassen werden häufig genug das Lager verlassen, ohne etwas von der sowjetischen Weiterführung des KZs erfahren zu haben, geschweige denn von den mindestens 12.000 Todesopfern, es sei denn, sie wurden ausdrücklich darauf hingewiesen und dorthin geführt. Etwaige Erläuterungen darüber sind ebenso bemerkenswert unauffällig wie Wegweiser zum Friedhof, eher: zum Massengrab von Opfern des Stalinismus, der sich in wenig ansehnlichem Zustand befindet.
Das Museum zur Erinnerung an das kommunistische KZ, das im Vergleich zu jenen Ausstellungssälen mit Erinnerungsstücken an das NS-KZ als bescheiden bezeichnet werden muß, liegt außerhalb des ehemaligen Lagers.
Die Ungleichbehandlung hat in den vergangenen Jahren zu Spannungen zwischen den Opferverbänden des Sowjet-KZs und der Leitung der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten, hier speziell des Direktors Prof. Dr. Morsch, geführt. "Die Arbeitsgemeinschaft Lager Sachsenhausen 1945-1959 e. V." nimmt ihm übel, daß ihr verwehrt wurde, auf den Massengräbern ein Kreuz zu errichten. Sie kreiden es auch ihm an, daß ihre seit Jahren laufenden Anfragen, eine Gedenktafel für die Opfer des sowjetischen Geheimdienstes anzubringen, stets abgelehnt wurden mit der Begründung, das würde die Opfer des Nationalsozialismus relativieren; außerdem lägen in den Gräbern vermutlich auch Kriegsverbrecher, und derer dürfe man nicht ehrend gedenken. Überhaupt seien die von den Kommunisten zu Tode gebrachten Häftlinge nicht gleichzusetzen mit den NS-Opfern. Dabei beruft sich Prof. Morsch gern auf das Votum des von ihm berufenen Beirats, der sich zusammensetzt aus 15 Vertretern des NS-Lagers und nur vier des NKWD-Lagers. Von welchem Geist die früheren Häftlinge des NS-Lagers beseelt sind, mag aus einem von Prof. Morsch seinerzeit verschickten Papier eines "Niederländischen Freundeskreises Sachsenhausen" vom Dezember 2001 hervorgehen. Hier liest man, daß das sowjetische Speziallager Sachsenhausen "eher einem Sanatorium" geglichen habe. "Es stolzierten sogar einige Damen über den Appellplatz mit einer Zigarette zwischen den rot lackierten Fingern." Die niederländischen antifaschistischen Ex-KZ-Insassen wiesen eine Zusammenarbeit mit der "Arbeitsgemeinschaft Lager Sachsenhausen 1945-1950" strikt zurück; nach ihren Auslassungen saßen in dem Lager hauptsächlich "Nazi-Partei-Bonzen", Kriegsgefangene und "Sympathisanten des NS-Regimes".
Die nach dem Zusammenbruch des bolschewistischen Regimes von der Stiftung zur "Rehabilitierung der von Sowjetischen Militärtribunalen verurteilten Deutschen durch die Russische Generalsstaatsanwaltschaft" vorgenommen Rehabilitierungen, werden in der Öffentlichkeit als Eingeständnis gewertet, daß die damals eingesperrten und teilweise verurteilt und hingerichteten Deutschen zu Unrecht dieses Schicksal erlitten. Nicht so in den Augen des Prof. Morsch. Für ihn sind die "Rehabilitierungen nicht hinreichend, da sie nach vorliegender Aktenlage ohne neue Beweisaufnahme verhandelt werden. Sie stellen im Grunde lediglich die ohnehin bekannte fehlende Rechtsstaatlichkeit des Verfahrens fest."
Es ist nur schwer verständlich, wie eine Persönlichkeit, die selbst in der Tageszeitung Die Welt als "nicht ganz so ausgleichend veranlagt" geschildert wird wie seine Kollegen in anderen Gedächtnisstiftungen, einen so wichtigen Posten an der Spitze der Brandenburgischen Gedenkstätten innehaben kann. Hierher gehört eher ein ausgewiesener Wissenschaftler, der in der Lage ist, über den Parteien stehend die hoch sensible Arbeit zu leisten.
Zu welchen absurden Folgen die Unerbittlichkeit von Prof. Morsch führt, konnte man in den letzten Wochen erleben. Er hatte zu einer offiziellen Erinnerungsveranstaltung anläßlich des 60. Jahrestages des Beginns der Internierung im Speziallager Sachsenhausen am 12. August eingeladen. Das umfangreiche Programm war zustande gekommen, ohne daß die Arbeitsgemeinschaft der Häftlinge des NKWD-Lagers beteiligt wäre. Sie fühlten sich wieder einmal zurückgesetzt und kündigten die Teilnahme auf, um in eigener Regie ihrer im sowjetischen Lager umgekommenen früheren Freunde und Haftkameraden zu gedenken. An ihrer Feier nahm auch der ehemalige Präsident Litauens Prof. Dr. Vitautas Landsbergis teil. Die Gedächtnisrede hielt der Publizist Ulrich Schacht, der in dem sowjetischen KZ das Licht der Welt erblickte, in dem seine Mutter aus politischen Gründen inhaftiert gewesen war, und der später von den DDR-Machthabern selbst eingesperrt wurde. Schacht nannte die beschämende Einteilung in Häftlinge 1. und 2. Klasse beim Namen. Die dokumentiert an dieser Stelle Auszüge seine Ansprache. U. Meixner
Ungleichheit: Der ehemalige Häftling des KZ Sachsenhausen Petro Mishuk sah sich am 60. Jahrestag seiner Befreiung im Mittelpunkt des Medieninter-esses. Doch nur kurz nach seinem Auszug inhaftierten die Sowjets Deutsche, deren Leiden gern verschwiegen werden. |
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