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Torheiten der Epoche

 
     
 
Die intellektuelle Grundtorheit vieler Zeitgenossen besteht darin, nicht erkennen zu wollen, daß der Totalitarismus des zu Ende gegangenen Jahrhunderts seine verheerenden Folgen in zweierlei Gestalt über die Menschheit brachte: als Kommunismus und als Nationalsozialismus. Beide totalitären Ideologien wollten in ihren jeweiligen Machtbereichen gleichermaßen die Menschen nicht nur ihrem politischen Diktat
unterwerfen, sondern sie auch mit Gewalt und Verführung dazu bringen, dem roten oder braunen ideologischen Leitbild aus innerem Antrieb zu folgen, um die Welt im Sinne dieser Ideologie zu "erlösen". Zugleich wurden Menschen, die gemäß der ideologischen Leitbilder zu "Feinden" erklärt wurden, brutal und rücksichtslos durch "Rassenkampf" und "Klassenkampf" vernichtet oder vertrieben.

Beide Ideologien standen sich als Feinde gegenüber, was sie nicht hinderte, dann zusammenzuarbeiten, wenn es ihnen für ihren eigenen Herrschaftsanspruch nützlich erschien. Beide Ideologien strebten nach der Ausdehnung ihrer Herrschaftbereiche. Der Kommunismus kämpfte "für den Frieden", der erst "mit dem Sieg des Sozialismus in der ganzen Welt" erreicht sein sollte. Alllein die Verteidigungsbereitschaft "des Westens", zu der die Bundesrepublik Deutschland einen nicht unwesentlichen Teil beitrug, machte für die Kommunisten das Risiko eines dritten Weltkrieges zu groß, um es einzugehen. Stéphane Courtois hat im Schwarzbuch des Kommunismus den vielen Millionen Opfern der Gewaltausübung beider Ideologien ein Denkmal gesetzt, das erschaudern läßt und die Behauptung von "humanen" Motiven in beiden totalitären Ideologien zur Opferlästerung macht. Gerade das aber tun manche Zeitgenossen mit Blick auf sogenannte "kommunistische Intellektuelle."

So zeigt sich Kurt Sontheimer bei seiner Besprechung des Buches von Gangolf Bübinger und Thomas Hertgelder "Kritik und Mandat. Intellektuelle in der deutschen Politik" (Deutsche Verlagsanstalt , Stuttgart 2000) in der Frankfurter Allgemeinen (FAZ) "überrascht", daß es im Dienste des "Dritten Reiches" Intellektuelle gegeben haben soll, "wo doch der herrschende Totalitarismus die Meinungs- und Wissenschaftsfreiheit ausgelöscht und jede öffentliche Diskussion, die dem Regime schaden konnte, unterdrückt hatte". Folgt man Sontheimer, daß ein "Rest an Humanität dem Intellektuellen innewohnen" muß, "wenn der Begriff nicht völlig entwertet werden soll", dann ist der von ihm im selben Beitrag verwendete Begriff "kommunistische Intellektuelle" ein Widerspruch in sich. Für Sontheimer ist es hingegen "unannehmbar, die geistigen Beweihräucherer des NS-Staates als Intellektuelle zu bezeichnen". So weit, so gut. Doch wie steht es dann mit den geistigen Wegbereitern, Apologeten und Beweihräucherern des kommunistischen DDR-Staates?

Der in der FAZ von Sontheimer als "Großintellektueller" (hoffentlich ein Druckfehler!) bezeichnete Maximilian Harden, der als radikaler Sozialist endete, schrieb über den "unersetzlichen" Sowjetrevolutionär Lenin: "... (Iljitsch war) Vater, Bruder, Freund, Wächter, Lehrer in einer Person, und unzähligen, bis in Asiens dunkelste Tiefe, das Leuchtfeuer ihres Hoffens. Blättert im Buch der Geschichte: wann, wo, wie oft war solches?"

Über Stalin erklärte der Schriftsteller Willi Bredel im Exil unter "großem Beifall": "Unter Stalins Führung gaben sich die Völker der großen Sowjetunion eine Verfassung, die wahrhaft freieste und beste, die die Welt bisher gekannt ... Unter Stalins Führung marschierten 170 Millionen, ein Bund freier Völker, als erste in der Geschichte der Menschheit einer sozialistischen, klassenlosen Gesellschaft entgegen ..."

Die dem Verdikt Sontheimers nicht unterworfenen "kommunistischen Intellektuellen" haben sich, wie Konrad Löw mit zahlreichen Zitaten feststellt ("Bis zum Verrat der Freiheit, München 1993), als "Lakaien des Despotismus" erwiesen, mit denen die Sowjetunion wie die DDR Staat machen konnten. In der Demokratie hingegen, so Löw, "treten sie als Hofnarren auf, die Liebesdiener Stalins als Scharfrichter des Rechtsstaats".

Sontheimer war offensichtlich vor zehn Jahren einsichtsvoller als heute. Fragte er doch damals im "Rheinischen Merkur" unter der Überschrift "Real war nur der schöne Schein" selbstkritisch, ob Wissenschaft und Medien bei uns den wirklichen Zustand der DDR verschleiert haben. Sontheimer bekannte auch eine "vage Sympathie für alles Sozialistische", und hierin mag der Grund dafür liegen, den kommunistischen Totalitarismus freundlicher zu behandeln als den nationalsozialistischen und damit selbst jener intellektuellen Grundtorheit zu verfallen, die, getragen von einer selektiven Moral, zu einer Gefahr für Freiheit zu werden vermag.

 
     
     
 
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