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In der Europäischen Union werden sich Kommission und Beamtenschaft wohl noch lange an den Niederländer Paul van Buitenen erinnern. So war es dieser Beamte, der nach langem internem Kampf gegen Korruption und Vetternwirtschaft das EU-Parlament und den Rechnungshof der Union über die Mißstände in Brüssel informierte. Damit kam der Stein ins Rollen, und nach einem vernichtenden Weisenratsbericht mußte die Kommission unter Jaques Santer Mitte März zurücktreten. In Brüssel hat van Buitenen heute sein Buch "Strijd voor Europa" vorgestellt. Die deutsche Ausgabe ist vor wenigen Tagen auf der Frankfurter Buchmesse vorgestellt worden. Sie trägt den Titel "Unbestechlich für Europa".
Von den einen wurde er als lästiger Querulant beschimpft von den anderen als tapferer Ritter im Kampf gegen Mißstände bei der mächtigen EU-Kommission bewundert: Der Niederländer Paul van Buitenen, der nun in seinem Buch "Unbestechlich für Europa" seine fast 10jährige Tätigkeit in der Kommission und seine Sisyphusarbeit gegen die Mißstände in dieser Behörde beschreibt. Aufgefallen waren dem Beamten diese Mißstände während seiner Tätigkeit in verschiedenen Generaldirektorien und bei seiner Arbeit in der Finanzkontrolle der Kommission. Über das Ziel des Buches sagte van Buitenen, er wolle damit seinen Lebensweg in der EU-Bürokratie darstellen, die gegen ihn erhobenen Vorwürfe entkräften, aber auch den neuen Kommissionspräsidenten Romano Prodi in seinen Reformbemühungen unterstützen, denn die Auswechslung einiger Kommissare reiche bei weitem nicht aus.
Das Buch des EU-Beamten ist kein Enthüllungsbuch im klassischen Sinne des Wortes. Nach Angaben des Autors sind darin keine Skandale enthalten, die der Brüsseler Behörde nicht bereits bekannt wären. Dazu zählt etwa ein gut dotierter Bericht über die Arbeitsmarktlage in Europa. Dieser Verfasser selbst soll im Büro des zuständigen Kommissionsbeamten bei einem Glas Whisky lachend zugegeben haben, einige in dem Bericht enthaltene Illustrationen seien dem Geographieatlas seines Sohnes entnommen. Über diese erste Erfahrung mit dem fragwürdigen Umgang mit EU-Geldern schreibt van Buitenen: "Das irritierte mich; ich wußte, daß das Abfassen dieses Berichts ... die Europäische Kommission schon seit längerer Zeit fast eine Million Euro pro Jahr gekostet hatte."
Was van Buitenen in seinem Buch klar herausarbeitet, sind die Voraussetzungen, unter denen derartige Berichte akzeptiert werden, und wie Mißwirtschaft und Nepotismus gedeihen können. Mitentscheidend dafür ist, daß die EU-Kommission zwar die politischen Richtlinien und Prioritäten ihrer Programme festlegt, deren Umsetzung aber häufig auf das sogenannte Bureaux dAssistence Technique, kurz BATs, überträgt. Diese "Büros für technische Hilfe" treten bis zu einem gewissen Grad als Generalunternehmer für die Kommissionsprogramme auf. Angesichts der beschränkten Zahl der Brüsseler Beamten arbeiten einige BATs fast ausschließlich für die Kommission und erfüllen so die Aufgaben von EU-Beamten, ohne tatsächlich über einen Beamtenstatus zu verfügen. Nach Ansicht des Autors haben nun fragwürdige Ausschreibungsverfahren, Familien- und Freundschaftsbande zwischen BATs und Beamten sowie mangelnde Kontrolle und eine bislang zahnlose Behörde zur internen Betrugsbekämpfung dazu geführt, daß Gelder auch für zwei- felhafte Programme ausgegeben oder mißbraucht wurden. Hinzu kommt die Angst der Beamten um die eigene Karriere, die sehr rasch zu Ende sein kann, wenn ein Eurokrat den Beamtenstatus und die Brüsseler Spielart der "Omerta", des Schweigegebots einer ganz anderen Organisation, verletzt.
Neben diversen Mißbrauchsfällen und Korruptionspraktiken schildert van Buitenen seinen Weg in der EU-Bürokratie und den jahrelang vergeblichen internen Kampf gegen unsaubere Praktiken. Eine sehr persönliche Note erhält diese Darstellung durch Zitate aus dem Tagebuch seiner Frau Edith, der das Werk ebenso gewidmet ist wie den beiden Söhnen. Über die Bemühungen ihres Mannes, kommissionsintern etwas zu ändern, heißt es im Tagebuch: "Daneben versuchte Paul, alles den Vorschriften entsprechend zur Sprache zu bringen. Er schrieb Bericht um Bericht. Jeder, der auf der Leiter der Organisationshierarchie dazugehörte, bekam die Chance zu reagieren oder besser noch: einzugreifen. Jedesmal hoffte Paul von neuem, einen Appell an das Verantwortungsgefühl und das Pflichtbewußtsein von Menschen richten zu können, und jedes Mal biß er wieder auf Granit."
Die zunehmende Frustration über die Untätigkeit der Kommission und die beachtlichen Mißstände beim Berufsbildungs-Programm Leonardo, das in die Zuständigkeit der französischen Kommissarin Edith Cresson fiel, ließen in van Buitenen den Entschluß reifen, sich an die grüne Fraktion des Europäischen Parlaments zu wenden. Über den Weg ihres Mannes zum Aufdecken notierte Ehefrau Edith in ihr Tagebuch: "Ende 1998 beschleunigten sich die Dinge plötzlich. Paul erzählte mir, daß er die Wahl treffen müsse, was er mit den Informationen tun sollte, die er bisher gesammelt hatte. Das Europäische Parlament mußte bald über die Mißstände eingeweiht werden, sollte es damit überhaupt noch etwas anfangen können. Es schien mir sehr logisch, daß Paul in dieser Sache seinem Gewissen folgte. Aber ich hatte keinerlei Einblicke in die enormen Konsequenzen, die damit verbunden waren."
Nachdem sich der gläubige Christ Paul van Buitenen noch mit seinem Pfarrer in der Anglikanischen Holy-Trinity-Kirche in Brüssel besprochen hatte, brachte der Beamte am 9. Dezember 1998 seinen Bericht zur Fraktion der Grünen, wobei diese Papiere natürlich auch den anderen Fraktionen zur Verfügung gestellt werden sollten. Das Kerndokument umfaßte 34, die 75 Beilagen insgesamt 600 Seiten. Außerdem übergab van Buitenen seine Dokumentation auch dem Rechnungshof in Luxemburg. Der Bericht trug den Titel: "Wie die Europäische Kommission mit ihren internen Unregelmäßigkeiten und mit Betrug umgeht." Der erste Satz dieses Papiers spiegelt die Frustrationserlebnisse seines Verfassers wider: "Mit tiefem Bedauern schreibe ich Ihnen diesen Brief." Die Enthüllungen des Niederländers zeigten nun Wirkung. Das EU-Parlament verweigerte als ersten Schritt der Kommission zum ersten Mal in der Geschichte der Europäischen Union die Entlastung für die Jahresbilanz 1996. In den folgenden drei Monaten verschlechterte sich die Lage für die Santer-Kommission zusehends. Zwar scheiterte der parlamentarische Mißtrauensantrag an der Hürde der erforderlichen Zwei-Drittel-Mehrheit; eingesetzt wurde jedoch ein fünf Personen umfassender Weisenrat, von dem Paul van Buitenen intensiv befragt wurde. Die Veröffentlichung des Weisenratsberichts am 15. März 1999 versetzte der Santer-Kommission den Todesstoß. Zu ihrem kollektiven Rücktritt trug vor allem folgende Feststellung im Bericht der Fünf Weisen bei: "Im Verlauf der vom Ausschuß durchgeführten Untersuchungen wurde allzu oft festgestellt, daß das Verantwortungsbewußtsein in der hierarchischen Kette versickert. Es wird schwierig, irgendeine Person zu finden, die sich auch nur im geringsten verantwortlich fühlt."
Diesen Satz haben fast alle Kommissare als ungerecht empfunden und zurückgewiesen. Kritisiert hatten sie zuvor auch Mängel in der Darstellung van Buitenens an das Parlament. Darüber urteilt der Beamte in seinem Buch: "Wenn ich jetzt, neun Monate danach, noch einmal auf meinen Bericht zurückblicke, sehe ich, daß ich eine Menge kleiner Schönheitsfehler gemacht habe und ab und zu auf dem Holzweg gewesen bin. Das besagt jedoch nicht, daß ich es im allgemeinen nicht richtig gesehen hätte: Nein, es konnte so nicht mehr länger weitergehen."
Zu den von der neuen Kommission unter Romano Prodi eingeleiteten Reformen sagt van Buitenen, Kommissionspräsident Prodi habe einen Schritt in die richtige Richtung gemacht, die Änderungen seien aber noch nicht weitreichend genug. Insbesondere fordert van Buitenen, daß die neue Betrugsbekämpfungsbehörde OLAF von der Kommission völlig unabhängig werden muß und dem Europäischen Rechnungshof unterstehen soll.
Mit zum Sturz der Santer-Kommission beigetragen hat auch deren Vorgangsweise gegenüber Paul van Buitenen. Dieser mußte die bekannte Erfahrung machen, daß der Überbringer schlechter Nachrichten oft härter bestraft wird als der, der für diese schlechten Nachrichten oder für Mißstände verantwortlich ist. Während der Kampf gegen Mißstände oft Jahre dauerte, wurde der EU-Beamte Mitte Dezember, nur neun Tage nach seinen Enthüllungen, vom Dienst suspendiert; sein Gehalt wurde halbiert. Diese schwierige Situation und die erheblichen Belastungen, denen seine Familie anschließend ausgesetzt waren, meisterte van Buitenen nicht zuletzt dank der großen medialen Unterstützung, die dazu führte, daß das Haus der Familie von Journalisten regelrecht belagert wurde. In ihrem Tagebuch beschreibt Frau van Buitenen einen dieser Tage: "Paul hatte recht gehabt. Es war losgegangen, und wie! Als ich an diesem Mittwoch von meiner Arbeit nach Hause kam, waren die Einfahrt und die Straße derart voll mit Kleintransportern und Autos von Journalisten und Fernsehteams, daß ich mein Auto irgendwo anders parken mußte."
Doch auch diese Unterstützung änderte nichts daran, daß van Buitenen von der Finanzkontrolle in die Verwaltungsstelle beim Gebäudedienst der EU-Kommission versetzt wurde. Diese Versetzung hat auch die neue Kommission bisher nicht aufgehoben. Das Disziplinarverfahren wurde jedoch abgeschlossen. Van Buitenen wurde abgemahnt, weil er mit der Weitergabe vertraulicher Informationen den EU-Beamtenstatus verletzt hat. Über seine weitere Zukunft als EU-Beamter sagte der Niederländer, er wolle in der Kommission weiterarbeiten, allerdings in der Finanzkontrolle, in der Betrugsbekämpfungsbehörde OLAF oder im Rechnungshof, nur wegen des Gehalts bleibe er nicht bei einer sinnlosen Tätigkeit.
Die Hoffnung auf eine Zukunft in der EU-Kommission dürfte van Buitenen jedoch schon aufgegeben haben. So hat er bereits den Wunsch geäußert, im Europäischen Parlament zu arbeiten, sollte Aussicht auf eine interessante Tätigkeit bestehen. Von der EU-Kommission droht van Buitenen bereits neues Unheil. Zwar hat er sein Buch bereits Anfang September zur Begutachtung eingereicht; die Bewilligung zur Veröffentlichung wurde jedoch nicht erteilt, so daß der Beamte das Werk schließlich auf eigenes Risiko veröffentlichte. Die darin negativ beschriebenen Beamten erhielten zwar Pseudonyme, doch dürfte deren Enttarnung angesichts ihrer geschilderten Zuständigkeiten möglich sein. Der für die innere Reform der Kommission verantwortliche britische Kommissar Neil Kinnock hat sich denn auch bereits kritisch zu dem Buch "Unbestechlich für Europa" geäußert: "Das Buch in seiner aktuellen Form enthält viele Hinweise, die als diffamierend betrachtet werden könnten. Herr van Buitenen ist vor möglichen juristischen Folgen gewarnt worden, sollte das Buch in dieser Form veröffentlicht werden."
Vom Verein Europäischer Steuerzahler ist van Buitenen in Brüssel jüngst für seine Verdienste mit dem "Europäischen Stier" ausgezeichnet worden. Es bleibt zu hoffen, daß auch andere EU-Beamte die Kommission sowie andere Behörden in Brüssel und in den 15 Mitgliedsstaaten künftig stärker bei den Hörnern packen werden.
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