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Verzaubert von sonniger Schönheit

 
     
 
Auch zehn Jahre nach der Wiedervereinigung von Mittel- und Westdeutschland sind viel reizvolle Gegenden in der ehemaligen DDR für manche Westdeutsche noch "terr incognita", also unbekanntes Land. Oft fehlte der Anreiz, auf Erkundungsfahrt zu gehen. Wie wär’s denn, einmal ostdeutschen Spuren in Mitteldeutschland nachzugehen?

Immer wieder hat es in den vergangenen Jahrhunderten Künstler, Gelehrte un Wissenschaftler aus Ostdeutschland etwa gegeben, die es in diesen Teil Deutschlands zog, w sie Höhen und Tiefen erlebten. Der Maler Alfred Partikel aus Goldap (1888–1945) ka 1925 nach Ahrenshoop, ein kleines Fischerdorf an der mecklenburgischen Küste, da Künstler und Schriftsteller seit langem gleichermaßen begeisterte. Direkt an de Ahrenshooper Düne
richtete er für sich und seine Familie ein stattliches Haus ein, u dort in der Dorfstraße 32 ungestört arbeiten zu können. Bereits 1920/21 war Partike auf das Fischland gelangt, vermutlich durch seinen Lehrer Ludwig Dettman (1865–1944). Der Direktor der Königsberger Kunstakademie war schon vor 1900 in Ahrenshoop gewesen, um dort zu malen. Sein großes Bild "Fischerfriedhof in Ahrenshoop" ist heute im Besitz der Nationalgalerie Berlin.

"Entdeckt" hatte dieses idyllische Plätzchen der Maler Paul Müller-Kaemp (1861–1941). In seinen Erinnerungen (nachzulesen in dem kleinen Bändche "Ahrenshoop – Eine Künstlerkolonie an der Ostsee", Verlag Atelier in Bauernhaus, Fischerhude) schreibt er: "Im Spätsommer 1889 hielt ich mich mit meine Kollegen, dem Tiermaler Oskar Frenzel, in Wustrow auf dem Fischlande auf, um zu malen Gelegentlich einer Wanderung am Hohen Ufer lag plötzlich, als wir die letzte Anhöh erreicht hatten, zu unseren Füßen ein Dorf: Ahrenshoop. Wir hatten von seiner Existen keine Ahnung und blickten überrascht und entzückt auf dieses Bild des Friedens und de Einsamkeit. Kein Mensch war zu sehen, die altersgrauen Rohrdächer, die grauen Weiden un grauen Dünen gaben dem ganzen Bilde einen Zug tiefsten Ernstes und vollkommene Unberührtheit: So sah Ahrenshoop damals aus ..." Das sollte sich bald ändern Mit den Malern kamen schließlich auch die ersten Badegäste, von den Einheimische argwöhnisch "als Spione" beäugt, da diese Fremden keine Malutensilien mit sic trugen.

Für Alfred Partikel ist Ahrenshoop und die unvergleichliche Landschaft immer wiede ein Quell des Schaffens. Dort entstanden viele seiner Bilder. Dort aber ist er wohl auc gestorben – von einer Wanderung in den Niehagener Wald am 20. Oktober 1945 kehrte e nicht mehr zurück. Vor seinem Haus in der Dorfstraße kündet ein gewaltiger Findling mi der Aufschrift "Dem Maler Alfred Partikel" von dem ostdeutschen Künstler.

Potsdam, im Süden Berlins gelegen, hat schon seit jeher die Touristen angezogen, die vor allem Schloß Sanssouci bewundern. Wesentlich jünger, aber nicht minder sehenswer ist ein anderes Bauwerk in Potsdam: der 1920/21 von dem aus Allenstein stammende Architekten Erich Mendelsohn (1887–1953) erbaute sogenannte Einsteinturm, der die Karriere des jungen Baumeisters begründete. Das Observatorium und astrophysikalisch Laboratorium auf dem Telegrafenberg in Potsdam gilt heute als eines der prägnanteste Gebäude der Moderne.

Keine sichtbaren Spuren hinterließen in Potsdam zwei Königsberger, die sich als Wissenschaftler einen Namen machten. Otto Wallach (1847–1931), Nobelpreisträger fü Chemie (1910), ging in Potsdam zur Schule, und Erich v. Drygalski (1865–1949), de Geograph und "Forscher im ewigen Eis", der vor bald 100 Jahren die Antarkti erforschte, war in Potsdam Assistent am Geodätischen Institut. Dessen Direkto Helmert der zugleich Präsident der Internationalen Erdvermessung war, regte den Ostdeutschland zu seiner Doktorarbeit an, die Drygalski zu seinem späteren Spezialthema, der Erforschun des Südpols, führte.

30 Kilometer südlich von Potsdam liegt im Landkreis Teltow-Fläming das Dor Blankensee mit dem gleichnamigen Schloß. Nach langen Restaurierungsarbeiten durch seine neuen Eigentümer, die Brandenburgische Schlösser GmbH Potsdam, ist das Schloß am 17 Oktober 1998 wieder der Öffentlichkeit übergeben worden. In dem jetzt von de Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften als Tagungs- und Kongreßgebäud genutzten Herrenhaus ist auch ein Gedenkzimmer für den ehemaligen Besitzer, den Dichte und Dramatiker Hermann Sudermann (1857–1928), eingerichtet worden. Nach alte Fotografien hat die Geschäftsführerin der Hermann-Sudermann-Stiftung, Dr. Gisela Henze das ehemalige Arbeitszimmer rekonstruiert. Aufgestellt wurden dort Möbel und ander Gegenstände, die nachweislich Sudermann gehört haben, allerdings geordnet nach heutige ästhetischen Maßstäben. Weiter wird mit Fotos und Texten an Leben und Werk des Dichter aus Matziken, Kreis Heydekrug, erinnert.

Sudermann hatte Blankensee 1897 von seinem Freund Victor von Thümen zunächs gepachtet, 1902 endgültig erworben. "Hierher gehört mein Herz", schrieb e 1899, "hier bin ich wieder Mensch geworden und darf es sein! Hierher kommt keine de Zurücksetzungen und Kränkungen, wie sie mein Berliner Leben jetzt ausfüllen." Un ein Jahr später schwärmte er: "In der Halle und in meinem Arbeitszimmer wird scho geheizt. Überall Astern, Georginen und Sonnenblumen, aber hie und da auch noch eine Rose Von Zeit zu Zeit guck’ ich zum Fenster hinaus, verträumt – verzaubert, von s viel sonniger Schönheit."

Der weitläufige Park (immerhin 4,5 Hektar groß) erinnerte Sudermann nicht zuletz auch an seine Heimat im Memelland. Aus dem ursprünglich verwilderten Gelände und de dringend sanierungsbedürftigen Herrenhaus schuf er nach eigenen Ideen ein wahres Kleinod Er ließ die Nieplitz, die den Blankensee mit dem Grössinsee verbindet, um das Haus heru leiten, ließ Brücken und Pavillons errichten und brachte aus Italien Statuen vo Göttern, Heiligen und Kaisern, um sie in seinem Park aufzustellen. Ein Marmorblock au seiner Sammlung wird in der dortigen Dorfkirche übrigens als Taufstein genutzt. Der au dem 12. Jahrhundert stammende Stein venezianischer Herkunft wurde ursprünglich als Brunneneinfassung verwendet. Nach dem Tod Sudermanns hielten sich bis 1945 gelegentlic auch dessen Stiefsohn, der Dramatiker Rolf Lauckner (1887–1954) aus Königsberg un dessen Ehefrau, die Malerin Elfriede Thum (Pseudonym Erich Thum, 1886–1952) in Schloß Blankensee auf.

Auch nach Leipzig, wo Pfingsten das glanzvolle Deutschlandtreffen der Ostpreuße stattfand (übrigens in der von dem Königsberger Volkwin Marg erbauten Neuen Messe) führten die Wege so mancher Ostdeutschland. Der Königsberger E.T.A. Hoffman (1776–1822) allerdings wird wenig glückvolle Erinnerungen mit Leipzig verbunde haben. 1813 war er von Bamberg nach Leipzig gegangen, um sich dort der Operntruppe Josep Secondas als Musikdirektor anzuschließen. Zuvor war Hoffmann in Dresden gewesen, wo e mit seinem Jugendfreund Theodor Gottlieb v. Hippel (1775–1843) aus Gerdaue zusammentraf, der sich dort als Staatsrat im Gefolge Hardenbergs aufhielt. Als Napoleon in Dresden einmarschiert, geht Hoffmann nach Leipzig. Unterwegs allerdings verunglückt de Postwagen, und Hoffmanns Frau Mischa wird schwer verletzt. Der Ostpreuße nimm schließlich seine Tätigkeit bei Seconda auf, geht aber während des Waffenstillstands in Juni 1813 wieder nach Dresden und erlebt dort im August die verheerende Schlacht be Dresden. In dieser schwierigen Zeit und trotz aller Not der Bevölkerung dirigier Hoffmann in der Stadt Opernvorstellungen, kehrt aber nach der Niederlage Napoleons nac Leipzig zurück. Dort überwirft er sich schließlich mit Seconda und gerät erneut in Not. In Leipzig beginnt er dann mit der Niederschrift der "Elixiere de Teufels", die später zu einem Bestseller werden, und beendet die Niederschrif seiner Oper "Undine", für die Karl Friedrich Schinkel das Bühnenbild entwirft.

In Leipzig lebte auch ein anderer Großer der deutschen Literatur: Johann Christop Gottsched, 1700 in Juditten geboren. Er war 1724 nach Leipzig gekommen und wirkte dor zunächst als Privatlehrer; später hielt er als Professor Vorlesungen über Literatur un Poesie, die auch Goethe besuchte. Der Professor für Logik und Metaphysik war mehrfac Rektor der Leipziger Universität und gilt als der einflußreichste Sprachwissenschaftle des 18. Jahrhunderts. Bis zu seinem Tod 1766 lebte er im "Goldenen Bären" Universitätsstraße 11. Dort besuchte ihn auch Goethe, der diese Begegnung später im 7 Buch von "Dichtung und Wahrheit" mit wenig schmeichelhaften Zeilen schilderte.

Von Dresden und E.T.A. Hoffmann war bereits die Rede. Doch noch ein anderer Name au Ostdeutschland ist eng mit dieser Stadt verbunden, genauer gesagt mit Moritzburg bei Dresden Dorthin verschlug es gegen Ende des Zweiten Weltkriegs eine Frau, die mit ihre graphischen und bildhauerischen Werk so viele Menschen noch heute erfreut, aber auc aufrüttelt: Käthe Kollwitz, geboren 1867 in Königsberg. Im April 1945 starb sie dort fern ihrer Wirkungsstätte Berlin. Eine Gedächtnisstätte erinnert noch heute an die große Künstlerin.

Thüringen schließlich soll die Endstation dieser kleinen Rundreise auf den Spure ostdeutscher Persönlichkeiten in Mitteldeutschland sein. In Sondershausen, unweit de Kyffhäusers, erhielt der spätere Komponist Walter Kollo (1878–1940) aus Neidenbur eine erste Ausbildung. In Jena besuchte der Theologe und Botaniker George Andreas Helwin (1666–1748) aus Angerburg die Universität, legte dort 1688 sein Magisterexamen a und hielt Vorlesungen.

Die Krone Thüringens aber wird für die meisten Besucher die Klassikerstadt Weima sein, von einigen Besuchern auch scherzhaft "Goethedorf" genannt Selbstverständlich, daß auch dort Spuren ostdeutscher Persönlichkeiten zu finde sind.

Agnes Miegel (1879–964) war 15 Jahre alt, als sie 1894 nach Weimar ins Pensiona Koch geschickt wurde. Sie verlebte dort eine glückliche Zeit. "Ich bin", s erinnerte sie sich später, "noch heute dankbar, daß ich wie viele ander Ostdeutschland nicht ins Ausland, in eine Schweizer Pension, sondern nach Weimar kam. Es wa das Weimar Carl Alexanders, der die große, alte Tradition treu bewahrte. Und da ich in einer musikfrohen und theaterbegeisterten Verwandtschaft aufgewachsen war, erfüllte mic das Neue, das hier zu mir sprach, mit einer bis dahin unbekannten Begeisterung, aus de heraus ich damals meine ersten Verse schrieb ..."

In ihrer Weimar Zeit wird Agnes Miegel gewiß auch oft an einem Denkmal neben de Stadtkirche St. Peter und Paul vorbeigegangen sein, das 1850 für einen ostdeutsche Landsmann errichtet worden ist.

Man ehrte damit den Theologen und Schriftsteller Johann Gottfried Herde (1744–1803) aus Mohrungen, der schließlich 27 Jahre seines Lebens in Weima verbrachte. Ein Museum im Kirms-Krackow-Haus erinnert an diesen großen Ostdeutschland, de in Weimar begraben liegt und auf dessen Grabstein die Worte "Licht! Liebe Leben!" eingemeißelt sind
 
     
     
 
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