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Er wollte nie heiraten; die Vorstellung, von früh bis spät von einer Frau, von herumtollenden Kindern umgeben zu sein, dünkte ihm geradezu ein Graus, existenzbedrohend. Um schreiben zu können, brauchte er Ruhe, Einsamkeit. Als studierter Mediziner und Theologe, als längst berühmter Dramatiker, wissenschaftlicher Publizist, als Verleger und Chefredakteur der Zeitung "Gelehrte Artikel", als Verfasser der "Hamburgischen Dramaturgie" und letztendlich als Hofbibliothek ar und Hofrat des Herzogs in Wolfenbüttel-Braunschweig hatte er keinen Gedanken an Ehe verschwendet. Das heißt aber nicht, daß der 1729 in Kamenz / Niederlausitz geborene Pastorensohn Gotthold Ephraim Lessing zur Liebe unfähig gewesen wäre. Allerdings fühlte er sich zu einem bestimmten Frauentypus hingezogen, es war die couragierte, selbstbewußte, handlungsaktive und hoch gebildete Frau.
Zu seinen ersten Jugendlieben zählte die witzig-kecke Schauspielerin Esther Brandes. Sie soll das Vorbild von Lessings beherztem, sächsischen Fräulein "Minna von Barnhelm" gewesen sein. Die Tochter des Ehepaares Brandes wurde auf den Namen "Minna" getauft; Lessing war Pate.
1767 wurde er in Hamburg Dramaturg des ehemaligen "Schauspielhauses am Gänsemarkt", das sich nun von privaten Mäzenen finanziert, "Nationaltheater" nannte. In diesem Kreis erlesener Hanseaten galt Lessing als einer von ihnen, er war sozusagen ihr Schmuckstück. Im Salon des Seiden- und Tapetenfabrikanten Engelbert König lernte er dessen Frau Eva kennen. Sie entstammte einer Heidelberger Großhandelsfamilie und bewegte sich mit der Sicherheit der Frau, die in gediegenen Verhältnissen aufgewachsen war. In Hamburg brillierte sie als Gastgeberin und darüber hinaus als geschäftstüchtige Partnerin ihres Mannes. Sie war zierlich, die braunen, wachsamen Augen beherrschten das Gesicht. Wenn sie sprach, lauschte man, egal ob sie Ernstes oder Heiteres erzählte. Es dauerte gar nicht lange, bis Lessing bewußt wurde, daß er diese für ihn unerreichbare Frau liebte. "Kein Glück mehr in der Welt für mich ist, wenn ich es nicht mit Ihnen teilen soll", wird er ihr später sagen.
Im Spätsommer des Jahres 1769 machte sich Engelbert König auf die Reise nach Italien, um für seine beiden in Wien ansässigen großen Fabriken seltene Seidengarne einzukaufen. Er führte ein langes Freundschaftsgespräch mit Lessing, in dem er ihn bat, sich seiner Frau und ihrer vier Kinder anzunehmen, falls ihm etwas zustoßen sollte, denn man wisse ja nie ... Der liebende Lessing versprach es innigen Herzens. Im September des selben Jahres erhielt er das Angebot des Braunschweiger Erbprinzen Karl Friedrich Ferdinand, Hofbibliothekar in Wolfenbüttel zu werden. Das war eine Lebensstellung.
Lessing zögerte nicht, denn die Hamburger Theater- und Verlagsprojekte hatten sich als undurchführbar erwiesen. Er fuhr zur Vertragsunterzeichnung nach Wolfenbüttel, kehrte nach Hamburg zurück; seine Wohnung mußte aufgelöst und Abschied von den Freunden genommen werden. Anfang 1770 war er zur Abreise bereit. Da erhielt Eva amtliche Post aus Italien. Ihr Mann war in Venedig an einer Infektion gestorben und gleich auf dem Friedhof San Cristoforo della Pace beerdigt worden. Lessing wollte sie jetzt nicht allein lassen. Er teilte seine spätere Ankunft nach Wolfenbüttel mit. Mit wachsender Bewunderung sah er Eva die Geschäfte ihres Mannes weiterführen, die Verwaltung des riesigen Vermögens übernehmen. Eva war verfügungsberechtigte Alleinerbin. Aber eines war ihr klar, die Fabriken in Wien mußten veräußert werden. Beide Betriebe in Hamburg und in Wien zu leiten, war nur in Gemeinschaftsarbeit der Eheleute möglich gewesen. Kurzerhand entschloß sie sich, nach Wien zu reisen. Sie sagte es Lessing. "Ich schätze, sieben Wochen wird es dauern, dann sehen wir uns wieder." Er nahm ihre Hand. "Für immer?" fragte er eindringlich. "Für immer", erwiderte sie. Eva hatte sich verschätzt. Sie kam zwar nach Hamburg zurück, aber nur, um die Betreuung ihrer Kinder und des Hauses zu sichern. Lessing kam aus Wolfenbüttel. Er berichtete ihr, wie gut er dort lebe, er wohnte im Schloß mit persönlichem Sekretär, Diener und Hausmeister. Da der Erbprinz in Braunschweig residierte, war Lessing alleiniger Herrscher im Reich der Bücher.
An der Alster gingen beide spazieren. Dort machte ihr Lessing einen Heiratsantrag. Sie nickte. "Wir sind Verlobte", bekräftigte Lessing, "Ja, aber wir sollen es geheimhalten, Unvorhergesehenes kann noch Hindernis sein." Ihre Skepsis bestätigte sich.
Im Februar 1772 war sie wieder auf dem Weg nach Wien. Diesmal würden es vier Jahre werden. Der Verkauf der Fabriken mit allen Formalitäten gestaltete sich komplizierter als gedacht. Vier Jahre auf ein Wiedersehen zu warten, sind eine lange Zeit, geben Spielraum für Mißverständnisse. Oft las sie einen Brief Lessings, dessen Schluß lautete: "Ich umarme und küsse Sie tausendmal, meine liebste, beste, einzige Freundin!" Zweifel schlichen sich ein.
Gerüchte waren zu Eva gedrungen, daß Lessing während eines Besuchsaufenthaltes in Leipzig sich der Witwe des Arabistik-Professors Reiske zugewendet habe. Manches Gerücht enthält einen Funken Wahrheit. Tatsache ist, daß Lessing die Intellektualität der Ernestine Reiske bezauberte. Gab es etwas Köstlicheres, als mit ihr ironisch zu diskutieren, sich in bestrickendes Geplänkel zu verfangen? Sollte Lessing sich im Zwiespalt befunden haben, dann beendete ihn Evas Nachricht über den geglückten Abschluß des Fabrikenverkaufs. Die Schnellpostkutsche brachte ihn nach Wien.
Sie trafen sich im Hotelfoyer; vier Jahre waren wie ausgelöscht. Keine Entfremdung, keine Bängnis. Drei Wochen blieben sie in Wien, wurden bei Hof empfangen. Unter tosendem Beifall grüßte Lessing aus der Ehrenloge bei der Aufführung seiner "Emilia Galotti". Er war zum "Star" der Theaterenthusiasten geworden. Das Wiener "Sichwiederfinden" umspann sie mit Glückseligkeit. So würde es bleiben, lange, lange ... Doch "mit des Geschickes Mächten" ist bekanntlich "kein ewiger Bund zu flechten".
Am 8. Oktober 1776 heirateten der 47jährige Lessing und die 40jährige Eva König im Dörfchen Jork bei Hamburg im festlich geschmückten Landhaus des Generalkonsuls Johannes Schubak. Nach den Festtagen siedelte Eva mit ihren Kindern zu Lessing nach Wolfenbüttel. Erst hatte er sich vor lebhaften Kindern gefürchtet, jetzt spaßte er mit ihnen. Und er freute sich auf das Kind, das Eva gebären würde. Weihnachten 1777 hielt er seinen Sohn Traugott in den Armen. Er lebte nur 24 Stunden. Die Mutter starb am 10. Januar 1778 an Kindbettfieber. 15 Monate Eheglück. Nun war Lessing Witwer. Er verwand es nicht. Schwermut umklammerte ihn.
Der Künstler kann sich nur durch Arbeit aus der Umklammerung lösen. Lessing schrieb sein unvergängliches Werk "Nathan der Weise", eine auf gegenseitige Respektierung und Versöhnung zwischen Christen, Juden und Muslimen zielende grandiose Utopie.
Gotthold Ephraim Lessing: Er verschwendete kaum einen Gedanken an die Ehe. |
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