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Der Fall Kurnaz füllt die Schlagzeilen, obschon er bestenfalls das Zeug zum Randthema hat. Der Masse der Deutschen sind die Geschichten jenes mutmaßlichen Islamisten herzlich egal. Warum dann die Aufregung in Parteien und Medien? Für den Normalbürger ist kaum noch zu überblicken, wer welches Süppchen auf dem Medienspektakel um Murat Kurnaz kocht.
Am einfachsten haben es FDP und Linkspartei. Kommunisten und Postkommunisten nehmen jede Möglichkeit wahr, um angebliche Verfehlungen von Demokraten in Sachen Menschenrechte n anzuprangern. Das ist Tradition bei ihnen seit über 100 Jahren und keiner weiteren Beachtung wert.
Die Liberalen ihrerseits waren schon 2002 in der Opposition und sind es heute noch, weshalb sie frei von jeder Verantwortung sind. Sie versuchen, sich vor dem nebligen Gewirr aus Gerüchten, Anschuldigungen und Rechtfertigungen um Schicksal und Charakter des 24jährigen Türken als Menschenrechtspartei schlechthin zu profilieren.
Die Grünen überböten die FDP gern in dieser moralischen Pose, waren aber zur entscheidenden Zeit an der Regierung. Die bündnisgrünen Empörungs- und Betroffenheitsadressen fallen daher ziemlich fahrig aus und erschöpfen sich in der Nullachtfünfzehn-Forderung nach "rascher Aufklärung".
Die Union hielt sich zunächst zurück, konnte der Versuchung letztlich aber doch nicht widerstehen und ging Anfang der Woche ebenfalls auf Distanz zu Außenminister Frank-Walter Steinmeier. Der SPD-Mann ist der bei den Deutschen beliebteste Kopf an Merkels Kabinettstisch. Das reizt den schwarzen Partner. Also hielten ihm führende CDU-Politiker sein Bekenntnis vor, er würde heute in gleicher Lage genauso handeln wie damals 2002. Immer die nächste Wahl vor Augen beschädigen sich die Partner der Koalition halt gegenseitig, wo sie können.
Weitgehend hinter die parteipolitischen Winkelzüge zurückgetreten ist die tatsächliche Rolle von Murat Kurnaz selbst. Seine Vorwürfe, etwa der, er sei gefoltert worden und sogar deutsche Sicherheitskräfte hätten ihn mißhandelt, werden so oft wiederholt, bis sie beinahe wie Wahrheiten im Umlauf sind. Dabei handelt es sich bislang ausschließlich um Behauptungen des jungen Türken. Eine zweifelhafte Quelle: Ermittlungsergebnisse - die weit mehr aufbieten können als Gerüchte und Behauptungen - zeigen Kurnaz als fanatischen Islamisten, der den bewaffneten Kampf aufnehmen wollte und daran vermutlich nur durch seine frühzeitige Gefangennahme gehindert wurde. Dennoch gilt sein Wort anscheinend mehr als das eines deutschen Ministers und der deutschen Sicherheitskräfte.
Daß staatstragende Parteien da mitmachen, wirft ein fahles Licht auf ihr Verantwortungsbewußtsein. Billigend nehmen sie in Kauf, daß das Ansehen des deutschen Staates in Mitleidenschaft gezogen wird durch Attacken aus einem Umfeld, das der freiheitlich-demokratischen Ordnung weltweit den Untergang wünscht und aktiv darauf hinarbeitet. Kurnaz, der nach Informationen aus seiner engsten Umgebung Täter werden wollte für die Sache der islamistischen Guerilla, erscheint nur noch als "Opfer".
Beunruhigend lau bleibt leider auch, was Frank-Walter Steinmeier selbst zu seiner Verteidigung bislang vorbrachte. Gewiß, er will aus gutem Grund erst die Befragungen der beteiligten Beamten durch den Untersuchungsausschuß abwarten, bevor er sich ausführlich äußert. Aber einige grundsätzliche Dinge sollte der Minister im Interesse des Staates und seiner Person deutlicher hervorkehren, als er es bislang tat: Kurnaz ist Türke und hat bewußt davon abgesehen, deutscher Staatsbürger zu werden, obwohl er die Voraussetzung für einen entsprechenden Antrag erfüllt. Hat ihn also tatsächlich jemand bewußt "schmoren lassen", dann geht der Schwarze Peter an Ankara, nicht an Berlin. Nach dem internationalen Recht, das die Steinmeier-Kritiker jetzt so laut im Munde führen, ist die Türkei für ihren Bürger Kurnaz zuständig, nicht Deutschland.
Dieser entscheidende Sachverhalt spielt sowohl bei den Kontern Steinmeiers als auch seiner Parteifreunde praktisch keine Rolle. Sind die SPD-Politiker hier Gefangene der eigenen Propaganda? Es war Rot-Grün, das jahrelang das Ziel verfolgte, den klaren juristischen Unterschied zwischen der Stellung von Inländern und Ausländern zu verwischen. Die Initiativen zur Reform des Staatsbürgerschaftsrechts sollten nach dem Wunsch der Rot-Grünen - Stichwort "Doppelpaß" - noch sehr viel weiter gehen, als es im Kompromiß mit dem unionsbeherrschten Bundesrat schließlich durchgesetzt wurde. Im Geiste der multikulturellen Vision der Schröder-Jahre ergibt sich bereits aus dem Bremer Hauptwohnsitz eines Türken eine Art "Vollmitgliedschaft" in der "Gesellschaft der Bundesrepublik" mit entsprechenden Pflichten (für den deutschen Staat) und Rechten (für den ausländischen Bürger). Dahinter kann die SPD nun nicht spektakulär zurückfallen, ohne sich einigem Hohn auszusetzen.
Mehr als dünn ist auch das Argument von SPD-Vizekanzler Franz Müntefering, 2002 sei das "Gefühl der Bedrohung durch den Terrorismus" ausgeprägter gewesen als heute, weshalb man Verständnis aufbringen möge für die damalige Vorsicht. Was heißt das? Terrorabwehr nach aktueller Stimmungslage? Offenbar scheuen sich Politiker nicht einmal mehr, offen einzuräumen, daß ihre Politik eher auf den Sonntagszahlen der Meinungsforscher fußt als auf sachlicher Analyse. Die tatsächliche Bedrohung durch den islamistischen Terror ist heute jedenfalls keinen Deut geringer als 2002. Mit seinem Eingeständnis, es heute genauso zu machen wie damals, hat Außenminister Steinmeier daher Statur gezeigt.
Was aber will eigentlich Kurnaz erreichen? Nach Informationen des "Focus" hegten zumindest die US-Sicherheitsbehörden den Plan, Murat Kurnaz als Spion ("V-Mann") anzuwerben und in die Bremer Islamistenszene zu entlassen, was sie ihren deutschen Kollegen offen vorgeschlagen haben sollen. Fraglich, ob die US-Amerikaner von ganz allein auf diese Idee gekommen sind, oder ob auch deutscherseits entsprechende Gedanken rotierten.
Für einen militanten Islamisten jedenfalls wäre allein der Verdacht, er könnte für den "Feind" arbeiten, eine erhebliche Bedrohung - von seiten seiner islamistischen Freunde nämlich. Das könnte ein Motiv dafür sein, möglichst öffentlich seinen Leidensweg in Szene zu setzen, um den ungebrochenen Widerstandswillen zu belegen. Attacken gegen den deutschen Staat nach der Freilassung stünden als weiterer Beweis dafür da, daß man keinesfalls "umgedreht" worden ist und den Kampf mit anderen Mittel unverdrossen fortsetzt.
Und tatsächlich hält Murat Kurnaz die deutsche Politik in Atem, derweil die wirklich drängenden Probleme des Landes auf die hinteren Ränge der Aufmerksamkeit verbannt werden. Die handelnden Politiker scheint das nich |
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