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Ist es nicht geradezu gespenstisch ruhig in der deutschen Jugend? Da wird vor unserer Haustür gebombt, vertrieben und gemordet wie in Europa seit 45 nicht mehr – und in meiner Generation regt sich kein Widerstand gegen den Krieg.

Vor gerade acht Jahren war alles noch ganz anders: Da standen wir ebenfalls einem bewaffneten Konflikt gegenüber. Der Golfkrieg beherrschte das Tagesgeschehen, und die Jugend ging mit Getöse an die Öffentlichkeit, bestreikte Schulen und Universitäten und demonstrierte in allen deutschen Großstädten unter dem Motto "Kein Blut für Öl!".

Heute finden keine Demonstrationen gegen den Krieg, die Vertreibungen und das Morden mehr statt. Natürlich gibt es vereinzelte Aufmärsche, dort schreien dann serbische Hitzköpfe, Seite an Seite mit stets der gleichen Menge Autonomer im Gepäck, gegen die Politik der Nato an. Indes, obwohl alles so viel näher ist, obwohl Deutsche sogar mitkämpfen – die unlängst noch so aufgebrachte Jugend rührt keinen Finger.

Hat die "unsichtbare
Generation", wie wir von Jugendforschern bis auf zahlenmäßig zu vernachlässigende Ausnahmen genannt werden, kein Interesse an dem Konflikt, der faktisch vor der Haustür stattfindet? Haben wir genug mit uns selbst zu tun?

Die Parteien erkundigen sich besorgt über die Situation der Jugend, auf ihre Fragen erhalten die Politiker unterdessen nur wenig erfreuliche Antworten. Die Anzahl junger Mitglieder in den beiden Volksparteien ist in den vergangenen zehn Jahren um mehr als ein Drittel zurückgegangen. Die Wahlbeteiligung von Erstwählern ist weit unterdurchschnittlich. Immer mehr männliche Jugendliche finden Gefallen am Zivildienst.

Das Vertrauen in den Staat oder die Parteien ist in der Jugend dermaßen geschrumpft, daß sie nicht viel mehr fordern von deren Institutionen als eine halbwegs sichere Rente.

Woher nur diese Abstinenz hinsichtlich der sogenannten "großen Themen", die seit den 60er Jahren soviel Furore machten beim Nachwuchs?

Zunächst: Heute sind die Jugendlichen ganz anderen Problemen ausgesetzt als zum Beispiel die 68er Generation. Was interessiert da ein Krieg in Europa, wo wir schon aufgewachsen sind mit der Bevölkerungsexplosion, globalen Umweltproblemen und dem spektakulären Supergau in einem sowjetischen Atomkraftwerk, nachdem Schüler und Studenten Generation für Generation mit der "Gewißheit" aufwuchsen, daß die "Revolution" oder irgendeine weltweite Katastrophe quasi unmittelbar bevorsteht? Wir haben schließlich erlebt, daß das Inferno jedesmal ausfiel.

So ziehen wir unser Selbstbewußtsein aus uns selbst und nicht mehr aus dem großartigen "Kampf" für oder gegen irgendeine "Sache". Keine Generation auf deutschen Boden hat sich überdies je so frei entfalten können wie wir. Alles geht: Von der "Glatze" bis zur "Matte", von Konsumverzicht bis Kaufrausch. Wir sind Individualisten.

Hinzu kommt, daß wir uns in ganz anderem Ausmaß recht konkreten Bedrohungen für unser weiteres Fortkommen ausgesetzt sehen. Dies unterscheidet uns von den meisten Neulingen der vorangegangenen Generationen. "Mein eigenes Leben ist am wichtigsten" ist keine pauschale Absage an jedwede Solidarität, sondern vor allem eine Reaktion auf Arbeitslosigkeit, ein zusammenwachsendes Europa, die Globalisierung und natürlich die Misere der deutschen Bildungspolitik. Mit allem müssen wir mehr oder weniger allein zu Rande kommen, und anders als der Krieg in Irgendwo fallen uns diese Dinge selbst direkt auf den Kopf.

Beispiel Schule ("fürs Leben"): Da sind wir nun die Europäer von morgen und werden von Lehrkräften umsorgt, die weder die Zukunftstechnologien verstehen noch uns – ihre eigenen Schüler –, da sie im Durchschnitt schon ziemlich alt und in der Ideenwelt der 70er Jahre steckengeblieben sind. Und der Staat hat, so scheint es für den Nachwuchs, sowieso kein Geld mehr übrig, um Abhilfe zu schaffen.

Das Bild an den Universitäten ist kein anderes: Gerade dem Schulalltag entflohen, findet man sich wieder als eine anonyme Nummer unter Tausenden. Überfüllte Massenveranstaltungen prägen den Betrieb. Schon am ersten Tag wird den Studenten klargemacht, daß sie als "Bildungselite" eigentlich nicht benötigt werden. Das Wort von Führungskräften hat man immer im Ohr: "Selbst als guter Student haben Sie heute keine Arbeitsplatzgarantie mehr, durch das Studium können Sie vielleicht einen gehobenen Sachbearbeiterposten erlangen."

In der Parteienlandschaft finden die Jugendlichen keine attraktive Interessenvertretung. Nicht zuletzt deshalb sinkt das Politikinteresse. Unter Jugendlichen gilt der Satz: "Du redest wie ein Politiker" als schlimmer Vorwurf.

Jugendliche sind für die Parteien aus deren Sicht auch nur von Interesse, wenn Wahlen vor der Tür stehen. Dann gibt es Veranstaltungen für die Erstwähler und Partys für die "Älteren", aber nach der Wahl geraten die Versprechen schnell wieder in Vergessenheit.

In gleichem Maße werden wir als unpolitische Menschen abgestempelt von Politikern, die wir ihrerseits als unmenschlich anprangern und deren verordnete Vergangenheitsbewältigung wir als Gegenwartsbelästigung empfinden: Wo wir stets die Schuldigen sind nach dem Prinzip der Erbsünde, das in dieser Art nur die Deutschen kennen. Wie sollen wir eine Nation begreifen, deren größte Errungenschaft ihr Wohlstand sein soll, deren auffälligste unveränderliche Kennzeichen ihre Narben sind und die sich als Hymne ein Lied gegeben hat, dessen erste Strophe nicht gesungen werden darf?

So ziehen wir uns lieber ins Privatleben zurück und ordnen unsere persönlichen Dinge – was schwer genug ist angesichts der genannten Herausforderungen und Zumutungen. Dabei sind wir nicht unkritischer als die "kritischen" 68er oder die Friedensmarschierer der 80er Jahre, auch nicht eigentlich unpolitisch. Vielleicht sind wir einfach zu müde, zu desillusioniert zum Kritisieren. Wir leben mit unseren eignen Werten, mit Gemeinsinn und Nation können wir wenig anfangen, da wir die pure Eigennützigkeit und Doppelmoral in unserer Gemeinschaft täglich erleben.

Deutsch zu sein erscheint uns als Wert absurd, da wir von der Sandkiste bis zum ersten Girokonto den  Internationalismus der Pop-, Film-, Mode- und Cola-Industrie genossen haben. Deutschland ist für uns nicht so sehr Kultur- und Schicksalsgemeinschaft, sondern Arbeitsgemeinschaft.

Wir pflegen, wenn überhaupt, einen stillschweigenden Patriotismus, der allerdings nicht frei ist von klammheimlichem Chauvinismus: 45 Prozent der Jugendlichen fühlen sich als Deutsche anderen Völkern überlegen.

Im Sommer werden wir allerdings auch demonstrieren. Auf dem Kurfürstendamm in Berlin. Nicht gegen die Politik, globale Probleme oder Krieg, sondern um Spaß zu haben bei der größten Ansammlung von Jugendlichen aller Couleurs in diesem Jahrhundert, der "Love Parade".

 
     
     
 
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