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Aufbau Ost vor dem Ende?

 
     
 
Blühende Landschaften hatte Helmut Kohl den Mitteldeutschen versprochen. Und nicht nur sein Finanzminister Theo Waigel träumte davon, die Einheit "aus der Portokasse" finanzieren zu können. Der "Portokasse" nützte auch die Finanzspritze in Form widerrechtlich vorenthaltener Entschädigungen für Enteignungsopfer nichts; sie ist leer. Und nicht nur notorische Skeptiker
fürchten, daß die blühenden Landschaften zur entvölkerten Steppe veröden. Der in wenigen Wochen anstehende Kraftakt der EU-Osterweiterung macht solche Ängste nicht geringer, im Gegenteil.

Das Jahrhundertwerk "Aufbau Ost" ist gründlich danebengegangen. Die Arbeitslosigkeit liegt fast überall über 20 Prozent, es gibt kaum Ausbildungsplätze (und wenn, dann gibt es für die nunmehr Ausgebildeten anschließend keine Arbeit - was ist eigentlich frustrierender für einen jungen Menschen?). Unternehmer, die expandieren oder verlagern wollen, springen gleich ein Stück weiter nach Osten, in die Tschechei oder nach Polen. Umgekehrt halten sich billige Arbeitskräfte aus diesen Ländern gar nicht erst in Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern oder Sachsen-Anhalt auf, sondern ziehen weiter in den Westen, wo es eher etwas zu verdienen gibt.

Bis auf Kernbereiche in Sachsen und Thüringen haben die jungen Länder den Anschluß verpaßt. Die Jugend wandert ab, es bleibt eine dramatisch überalterte, allmählich absterbende Gesellschaft inmitten teurer Investitionsruinen, letztere freilich oft auf höchstem architektonischen Niveau.

Was sind die Gründe für das Scheitern des Aufbaus Ost? Es scheint die Summe aus falschen Versprechungen und falscher Politik zu sein. Kohl und Waigel hätten 1990 nicht blühende Landschaften, sondern Blut, Schweiß und Tränen "versprechen" müssen. Aber sie wollten ja die nächste Wahl gewinnen, also überließen sie großzügig die Wahrheit und die Wahlniederlage dem SPD-Gegenkandidaten Lafontaine.

Dann der wahrhaft "kapitale" Fehler": das Schielen auf schnellen Geldsegen, indem wahrheitswidrig behauptet wurde, die Opfer der Enteignungen in der sowjetischen Besatzungszone in den Jahren 1945 bis 1949 dürften nicht entschädigt werden. Diese "Hehlerei" hat langfristig weitaus mehr geschadet als kurzfristig genützt, sie verhinderte nämlich einen zügigen Wiederaufbau des in 40 Jahren Sozialismus zerschlagenen Mittelstandes. Und ohne diese wichtigste Säule der sozialen Marktwirtschaft waren die blühenden Landschaften von vornherein eine Illusion.

Allerdings wäre es ungerecht und einseitig, die Probleme im Osten der Bundesrepublik Deutschland ausschließlich der Regierung Kohl anzulasten. Zu ihrer Entlastung sei daran erinnert: Als der "Ernstfall" eintrat, gab es in Deutschlands Bibliotheken Hunderte von Büchern, in denen der Umbau einer kapitalistischen in eine sozialistische Gesellschaft beschrieben wurde; der umgekehrte Vorgang war weder in der Fachliteratur noch im Denken der politischen Klasse vorgesehen. Die "Abwicklung" eines kompletten Staates namens DDR war Neuland, und da waren Fehler wohl unvermeidlich.

Hinzu kommt: Die katastrophal schlechte Politik, der Deutschland seit dem Amtsantritt von Rot-Grün ausgesetzt ist, wirkt natürlich da am schlimmsten, wo die Voraussetzungen ohnehin am ungünstigsten sind. So sind weite Teile Mitteldeutschlands in einen Teufelskreis geraten, dem sie weder aus eigener Kraft noch mit den derzeit angewandten Mitteln der Politik entrinnen können. Wenn überhaupt noch, dann gibt es nur eine Chance: einen radikalen Kurswechsel, wie ihn in diesen Tagen unabhängig voneinander der frühere Hamburger Bürgermeister Klaus von Dohnanyi (SPD) und der sächsische Ministerpräsident Georg Milbradt (CDU) fordern.

 
     
     
 
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