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Gewichtige Stimmen aus der Union haben deutlich Kritik an den Einwanderungsplänen von Innenminister Schily geübt. Nach dem bayerischen Ministerpräsidenten Stoiber meldete sich auch, auf Anfrage, der hessische Ministerpräsident Koch zu Wort. Für ihn ist das Konzept zu einseitig. In einem Telefongespräch mit dem sagte er: „Zunächst einmal kann es nicht sein, daß Arbeitsverwaltungen und Arbeitgeber sagen, es wäre für uns ganz gut, wenn da noch ein paar Zuwanderungen stattfinden, und alle anderen Probleme bleiben dann wieder bei der Gemeinschaft - bei Schule, Kindergarten und anderen. Wir müssen erst schauen, was wir mit den Menschen in unserem eigenen Lande zusammen gemeinschaftlich wirklich erarbeiten können. Und dann kann es einige Situationen geben, bei denen auch Zuwanderung geeignet ist. Da muß man aber abwägen zwischen den Fragen des Arbeitsmarktes, zwischen der Integration in unseren Städten und Gemeinden, zwischen dem, was der Staat bereit ist, aufzuwenden - auch dort wieder für Sprachunterricht, für Kindergarten und für viele andere Dinge, die damit zusammenhängen. Also nicht eindimensional den Arbeitsmarkt nach vorne stellen.“
Vorerst sei es nur Schilys persönlicher Entwurf. „Richtig diskutieren kann man erst, wenn man sieht, was Rot und Grün gemeinsam in Deutschland in der Lage sind, zustande zu bringen.“ Die Diskussion hat erst begonnen. Sie wird früher oder später auch mal die Situation in den Nachbarländern ins Auge nehmen.
Die Angelsachsen haben diesbezüglich ein ziemlich unbekümmertes, wenn auch nicht immer korrektes Verhältnis zu Ausländern. Sie sind zugleich weltoffen und zugeknöpft. Ihre Gesetze zur Einwanderung sind eher restriktiv und vor allem pragmatisch am Bedarf auf dem Arbeitsmarkt orientiert. Deshalb ist es auch nicht verwunderlich, daß Großbritannien im Vergleich zu den anderen großen EU-Staaten wie Frankreich und Deutschland sehr viel weniger Ausländer aufgenommen hat. Die restriktive und total pragmatische Einwanderungspolitik der USA, Kanadas, Neuseelands oder auch Australiens steht der der Briten keineswegs nach. Man denkt an den Nutzen, ist aber auch bereit, dafür eine Lebensperspektive zu bieten.
Auf dem europäischen Kontinent fließen in die Zuwanderungsfrage noch ideologische Erbschaften ein. Da ist nicht nur das Gespenst des nationalsozialistischen Rassenwahns der Deutschen, auch die Franzosen haben ihre Übermensch-Ideologen, etwa den Grafen von Gobineau, einen der Ahnherrn der braunen Ideologie. Sie haben aber auch ein Erbe der Französischen Revolution, den Paßzwang, der administrativ die Menschen einstuft. Eine in New York erschienene Studie über „Bürger und Fremde“ kommt zu dem Schluß: „Die Ideen der Französischen Revolution, welche die Ära des modernen, auf der Gleichheit aller Bürger beruhenden Nationalstaats einleiteten, haben viel dazu getan, die vielfältigen sozialen Unterschiede des Ancien Regime einzuebnen. Das Problem aber, das sie uns hinterlassen haben, besteht in der fortdauernden Ungleichheit zwischen Bürgern und Fremden.“
Diese Ungleichheit ist naturgegeben, ein Faktum, auch unabhängig vom staatlich steuerbaren Paßwesen. Es gibt den „anderen“. Wer wollte leugnen, daß auch „muslimische Mitbürger“ anders denken, sich anders verhalten, anders miteinander umgehen. Darin liegt noch keine Wertung, aber ein Problem insofern, als gerade Muslims, insbesondere Türken in Deutschland, sich zum größten Teil nicht integrieren wollen. Das haben Umfragen der letzten Jahrzehnte konstant ergeben. Ohne Integration aber wird das Zusammenleben schwierig, der Arbeitsplatz ist nicht das Leben. Aber selbst der Mangel an Integrationswillen sei ihnen unbenommen. Die Europäer - und hier besonders die Deutschen - sollten sich jedoch fragen, ob dieser Mangel kein Hindernis dafür sein könnte, vom deutschen Sozialsystem zu leben. Es geht ja nicht nur um den Paß und eine bunte Multi-Kulti-Atmosphäre, sondern in zunehmendem Maße eben auch um die Zukunftsfähigkeit unserer Systeme. Die läßt sich mit ideologischen Vorgaben nicht sichern. Erst recht nicht, wenn zivilisatorische Unterschiede (z. B. die Stellung der Frau oder die Definition von Familie) die Belastbarkeit der Systeme zu überfordern drohen. Auch das ist eine Form des von Huntington prophezeiten „Clash of civilisations“. Hier kann die prinzipielle Gleichheit der Menschen (vor Gott) nicht mehr das einzige Kriterium sein. Es muß ergänzt werden, um die Ungleichheiten der Zivilisationen auszugleichen oder ein Mindestmaß an Chancengleichheit zu schaffen. Ideologie alleine programmiert Konflikte.
In diesen beiden zentralen Punkten, Nutzen und Integration, bleibt das Zuwanderungskonzept Schilys merkwürdig offen und unbestimmt. Man will die Integration, nennt aber keine Kosten (Sprachunterricht, Betreuung, etc.) und schon gar nicht die Kostenträger. CSU-General Goppel weist zu Recht darauf hin, daß hier wieder einmal die Kommunen und Länder zur Kasse gebeten werden sollen. Es fällt nicht schwer zu prophezeien: Wird dieser Punkt nicht geklärt, wird der Bundesrat nicht zustimmen.
Auch beim Nutzeffekt für den Arbeitsmarkt bleibt Schilys Papier diffus. Es soll auch regional bedarfsorientiert sein. Aber wer von den Ausländern will schon in den Osten Deutschlands? Und wollen überhaupt so viele gut qualifizierte Fachkräfte kommen, wie wir brauchen? Vor den Toren der USA bewerben sich Millionen um eine Green card. In Deutschland sind keine neuntausend gekommen, obwohl mehr als das Doppelte an grünen Karten bereitlag. Schily hat keine Zahlen genannt, keine Kontingente, keine Obergrenzen. Aber Deutsche wollen wissen, was auf sie zukommt. Demographie zwingt zur Einwanderung, aber nicht zur Überfremdung.
Schilys Einwanderungskonzept enthält manche richtige Wegweisung. Zum Beispiel beim Nachzug für Familienangehörige, obwohl er auch damit im eigenen und gegnerischen Lager aneckt. Insgesamt hat Schily ideologische Klippen vermieden und sich stark an den Angelsachsen orientiert. Aber gerade das ist zu einseitig. Die Deutschen sind anders. Und wir brauchen, wie der hessische Ministerpräsident Koch sagt, ein Gesamtkonzept, das die Bedürfnisse des Arbeitsmarktes mit den Bedürfnissen und Fähigkeiten der Menschen, Ausländer und Deutsche, in Einklang bringt. Das leistet dieses Konzept noch nicht. So kommt es, daß ein auf Konsens angelegtes Papier plötzlich aus vielen Ecken kritisiert wird. Es wird nachgebessert werden müssen. Sonst wird in der Politik Schily bald der Fremde unter den Bürgern sein.
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