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Der Georg Dehio-Buchpreis, der seit 2004 vom "Deutschen Kulturforum östliches Europa" verliehen wird, versteht sich im Sinne des großen deutschen Kunsthistorikers, der 1850 in Reval/Tallinn in Estland geboren wurde. Berühmt ist seine Herausgabe des "Handbuches der deutschen Kunstdenkmäler" seit 1905. Nach seinem Tode 1932 wurde diese für die Kunstgeschichte wichtige Arbeit weitergeführt. Mit dem Dehio-Preis würdigt das Kulturforum herausragende Leistungen in der Erforschung, Bewahrung und Präsentation des kulturellen Erbes, das Deutschland mit seinen östlichen Nachbarn verbindet. Dieser Anspruch ist ein ganz wichtiger Stein in der Erhaltung ostdeutscher Geschichte und Kultur im kollektiv en Gedächtnis unseres Volkes. Würde dieser Anspruch aufgegeben, würde das historische Ostdeutschland und die weiter im Nordosten, Osten und Südosten Europas gelegenen meist ehemaligen Siedlungsgebiete von Deutschen zu einer Fußnote in der nationalen Geschichte verkümmern. Das muß auch die weit verstreuten Siedlungen im ehemaligen zaristischen Rußland einbeziehen. Einer der ersten Preisträger des Buchpreises war 2004 der Osteuropahistoriker und Publizist Karl Schlögel; er lehrt an der Europa-Universität Viadrina zu Frankfurt / Oder.
Ende 2006 wurde nun der bekannte Journalist Thomas Urban für sein neuestes Buch "Der Verlust - Die Vertreibung der Deutschen und Polen im 20. Jahrhundert" mit dem Ehrenpreis ausgezeichnet. Urban ist Kenner des deutsch-polnischen Verhältnisses. Das wird auch durch seine Biographie begründet; 1954 als Sohn geflohener Eltern aus Breslau in Leipzig geboren, verheiratet mit einer polnischen Breslauerin, Studium der Slawistik und Osteuropäischen Geschichte in Moskau und Kiew, seit 1988 Korrespondent der "Süddeutschen Zeitung" in Warschau sowie freier Mitarbeiter für die polnische "Rzeczpospolita". Zum deutsch-polnischen Verhältnis hat er mehrere Bücher veröffentlicht; stellvertretend sei "Von Krakau bis Danzig - eine Reise durch die deutsch-polnische Geschichte" genannt.
Die Verleihung des Preises an Urban fand in einem festlichen Rahmen im Atrium der Deutschen Bank Unter den Linden in Berlin statt. Sie war sehr gut besucht mit zahlreicher Prominenz wie Erika Steinbach, Helga Hirsch, Abgeordneten des Bundestages, des Berliner Abgeordnetenhauses sowie zahlreichen polnischen Journalisten. Die Laudatio auf Thomas Urban hielt der ehemalige Kultusminister des Freistaates Bayern, Hans Maier. Zwei zentrale Aussagen aus der Rede von Maier: "Wenn Zeitgeschichte Geschichte ist, die noch qualmt, so ist das gerade bei diesem Thema wörtlich zu nehmen", und "Thomas Urban gelingt es in seinem 223 Seiten starken, knapp und schlüssig formulierten Werk, die historischen Ereignisse so sachkundig und objektiv zu berichten, daß eigentlich niemand seinen Feststellungen ernsthaft widersprechen kann".
Im Verhältnis der beiden Staaten steigen seit geraumer Zeit immer wieder Rauchbomben auf - jüngstes Beispiel ist die Ankündigung der "Preußischen Treuhand", vor das Europäische Gericht für Menschenrechte zu ziehen. Diese atmosphärischen Störungen auf oberster Ebene schlagen dann durch bis zu den Beziehungen auf der kommunalen Ebene. Interessant dabei ist aber, daß sich viele Menschen gerade in den Oder-Neiße-Gebieten nicht oder kaum davon beeinflussen lassen, weil ihre Erfahrungen aus persönlichen Kontakten vielfach mit ehemaligen deutschen Bewohnern ihrer jetzigen Heimat eine ganz andere Sprache sprechen. Das Bild vom revanchelüsternen Deutschen ist offensichtlich abgeklungen. Urban möchte in dem Buch Fakten darstellen, um damit auch der vielfach auf Nichtwissen beruhenden deutsch-polnischen Debatte konkrete Informationen zu bieten. "Falls diese von polnischer und deutscher Seite unterschiedlich interpretiert werden, so ist dies ausdrücklich ausgewiesen." Das ist ihm gelungen, wenn man einmal die Kenntnisdefizite über die Vorläufer der Ereignisse, die den Jahren 1944-47 vorausgingen, und die bis ins 19. Jahrhundert zurückreichen, oder über die Vertreibungen der Polen bei den meisten Deutschen berücksichtigt. So muß noch viel Aufklärungsarbeit geleistet werden. Folgerichtig beginnt Urban seine Darstellung mit dem Kulturkampf gegen Kirche und Polentum in der Ära Bismarck, er zeigt auf, wie die Summe der preußischen Maßnahmen vornehmlich in den Regionen Posen und Westpreußen nur den Willen und die Forderungen der Polen nach einem eigenen Staat verfestigten, der dann nach 1918 Realität wurde.
Wie aufgeheizt die Atmosphäre war, zeigen Gebietsforderungen des von der polnischen Regierung unterstützten Westbundes, die ganz Sachsen und weite Teile des heutigen Bundeslandes Brandenburg für Polen reklamierte; zur Begründung wurde angeführt, daß es sich um traditionelle Siedlungsgebiete der Westslawen handelt. Auf deutscher Seite fand 1938 die berüchtigte Polenaktion statt; Zehntausende polnischer Juden wurden nach Polen abgeschoben. Ein prominenter Zeitzeuge für die Ereignisse ist Marcel Reich-Ranicki. Breiten Raum nimmt die Behandlung der großen Tragödie beider Völker in den Jahren des Zweiten Weltkrieges ein: die NS-Besatzungspolitik, die territorialen Veränderungen Polens, die Konferenzen der "Großen Drei", wo Polen und Deutschland Objekte waren, die Massenvertreibungen der Deutschen, das Schicksal der polnischen Bevölkerung im früheren Osten Polens, der nach 1945 sowjetisch wurde. Aus der Darstellung wird deutlich, wie alle diese Ereignisse erschreckende Belege dafür sind, was Menschen anderen Menschen antun können, wie hoch der Leidensdruck für Menschen werden kann.
Ohne daß Urban es ausspricht, wird dem Leser deutlich, daß es einem Wunder gleichkommt, wie sich nach den jahrzehntelangen, aufgestauten Antagonismen das deutsch-polnische Verhältnis qualitativ verändert hat. Daran sollte auch gegenwärtiger Pulverdampf nichts ändern.
Entscheidend ist, daß mehr und mehr Menschen östlich und westlich der Oder Normalisierung wünschen. Einige Anmerkungen: Auch Urban scheint nicht zu wissen, daß zu den Vertreibungsgebieten auch das frühere Ost-Brandenburg zählt - mit der höchsten Rate an Menschenverlusten. Seine Einschätzung der gemeinsamen deutsch-polnischen Schulbuchempfehlungen ist überholt. Die nach 1989 weitergeführten Arbeiten berücksichtigen den Hitler-Stalin-Pakt, Katyn und benennen auch die Vertreibung. Viele frühere Dissenspunkte wie der Gebrauch von Ortsnamen spielen überhaupt keine Rolle mehr.
Richtig ist sein wiederholter Hinweis auf die Darstellung jener Ereignisse in polnischen Schulbüchern, hier muß zweifellos "nachgebessert" werden. Darauf muß die Schulbuchkommission drängen. Die Potsdamer Konferenz sah de facto eine Übergabe des nördlichen Teiles Ostdeutschlands an die UdSSR vor im Gegensatz zu den polnisch verwalteten Gebieten.
Ein künftiges "Zentrum gegen Vertreibungen" muß mehr sein als Gedenkstätte für die Opfer der Vertreibungen, wie Urban im Vorwort schreibt, es muß Auskunft geben über die Bedeutung und den Wert der verlorenen Ostgebiete für die deutsche Geschichte und für |
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