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Bollwerk und Brücke zugleich

 
     
 
Das Brukenthal-Lyzeum im siebenbürgischen Hermannstadt feierte im vorigen Jahr sein 625. Jubiläum. Jenes Datum markierte zugleich das Jubiläum eines der interessantesten Schulwesen Europas: des siebenbürgisch-sächsischen.

Zu diesem Jubiläum wurde von den siebenbürgischen Historikern Harald Roth und Ulrich A. Wien ein Sammelwerk, "Schola seminarium rei publicae", herausgegeben. und dieses wirft gleich eine Frage auf, deren Beantwortung, wie man es auch dreht, keine Euphorie auslösen wird. 625 Jahre sind respektabel, aber die Zahl der Jahre kommt eher oval denn rund vor. Warum erschien es nicht vor 25 Jahren, warum erscheint es nicht erst in einem Vierteljahrhundert?

Dabei ist die Frage leicht zu beantworten: Vor 25 Jahren herrschte in Rumänien noch der Sozialismus unter dem KP-Chef Nicolae Ceausescu, der durch seine "wertvollen Hinweise" die Geschichte so zurechtbog, wie es ihm gerade einfiel. Und ihm fiel viel ein ...

Die Siebenbürger Sachsen, dieser kaum noch 200000 Menschen zählende Volkssplitter Südosteuropas, schickten schon im Mittelalter ihre Söhne an weit von der Heimat entfernte europäische Hochschulen, als wäre das die normalste Sache der Welt. Vor allem Wien zog vor der Reformation die Studenten an: zwischen 1377 und 1530 haben 1019 Siebenbürger Sachsen in der Donaumetropole studiert. Ihr Fortkommen an den Elitehochschulen jener Epoche
setzte ein Netz sehr gut funktionierender Schulanstalten in Siebenbürger voraus.

Ein spektakulärer Durchbruch gelang hier mit der Reformation, für die der Reformator der Siebenbürger Sachsen, Johannes Honterus, den Anstoß gab. Er gründete 1541 das erste humanistische Gymnasium in Südosteuropa, die "Schola Coroniensis" in Kronstadt. Die "Constitutio", das heißt die Schulordnung von 1543, war die erste Schulordnung eines siebenbürgisch-sächsischen Gymnasiums. Sie ermöglicht eine weitgehende Schülerselbstverwaltung, die in Abwandlung an den Gymnasien bis 1940 bestand und in den sogenannten "Coeten", einer Variante der Schülerverbindungen, praktiziert wurde.

Johannes Honterus (1498-1549) schloß sein Studium in Wien 1525 als Magister Artium ab. Er wurde für das Sachsenland "Luther und Melanchthon zugleich". Auch Honterus verschrieb sich dem Ziel des Humanismus, der "Menschwerdung des Menschen durch umfassende Bildung". Er kam 1533 nach Kronstadt zurück.

Seine bildungspolitischen Initiativen entwickelte Honterus 1542 in dem selbst von Luther und Melanchthon sehr positiv beurteilten "Reformationsbüchlein". Der Stadtrat von Kronstadt nahm das Reformationsbüchlein als Grundlage für die evangelische Lehre in seiner Stadt, wobei der Abschnitt "Von der Schule" wesentlicher Bestandteil der Kirchenreform wurde. Auch in der "Kirchenordnung aller Deutschen in Sybembürgen", 1550 zum Gesetz erhoben, war das Kapitel über die Schulen ein Kernstück. Mit Honterus beginnt in Siebenbürgen eine für Europa einmalige Schulgeschichte, die im Gegensatz zu den sich später entwickelnden Tendenzen zur Trennung von Staat und Kirche bis ins späte 19. Jahrhundert eben durch die Verflechtung der Interessen von Volk und Kirche zu einer echten Erfolgsgeschichte wurde.

Der Besuch von Universitäten im Ausland nahm infolge der Reformation zu, wobei nun die Hochschulen im protestantischen Deutschland in den Vordergrund rückten. Im 16. und 17. Jahrhundert studierten rund 4500 Siebenbürger außerhalb ihres Landes.

Dabei stellte die Anzahl der Studenten nur die Spitze eines zu seiner Zeit europaweit einmaligen Bildungsnetzes dar. "Es ist kein Ort in der ganzen Nation, Euer Majestät, wo wir nicht eine Schule hätten, wenn er auch noch so klein ist", wurde dem Kaiser Joseph II. in Jahre 1773 in Hermannstadt erklärt, "daher kommt s auch, daß beinah die meisten sächsischen Bauern lesen und schreiben können".

Im Ergebnis des Deutschen Einigungskrieges von 1866 kam es 1867 zum österreichisch-ungarischen Ausgleich, der den Ungarn die lang ersehnte Gleichberechtigung innerhalb einer "Doppelmonarchie" brachte. Das zuvor recht autonome Siebenbürgen wurde nun jedoch Teil der ungarischen Reichshälfte. Während aber die Schule im übrigen Ungarn zum Instrument einer brutalen Magyarisierungspolitik wurde, entwickelte sie sich in Siebenbürgen zum Bollwerk gegen den Verlust der nationalen Eigenheit. Die Hinwendung zum Deutschtum war nahezu total, der Sedan-Tag beispielsweise, der dem Sieg der Deutschen über die Franzosen am 2. September 1870 gewidmet war, wurde wie ein Nationalfeiertag begangen. Eine gewaltige Rolle kam den Akademikern zu, die alle in deutschsprachigen Ländern studiert hatten, dort in Studentenverbindungen eingetreten waren und deren Sitten nun in Siebenbürgen weiterleben ließen.

Es klingt fast grotesk, daß ein Hermannstädter Historiker über die Hoch-Zeit des wilhelminischen Kaiserreichs behaupten kann: "Während im Jahr 1900 in Preußen eine Mittelschule auf 72000 Einwohner kam, in Österreich auf 110000, wurde bei den Siebenbürger Sachsen eine Mittelschule von nur 22000 Personen getragen".

Daß die Kirche 1876 nach der Auflösung der politischen Autonomie Siebenbürgens die Aufsicht über das deutsche Bildungssystem behielt, sicherte seine weiterhin hohe Qualität und Dichte. Trotz des Ersten Weltkriegs und seiner Folgen (Siebenbürgen wurde 1919 Rumänien angeschlossen) entwickelte sich das siebenbürgische Schulwesen daher kontinuierlich weiter. So verfügten die Siebenbürger Sachsen zu Beginn des Schuljahrs 1939/40 über 279 Volksschulen, neun Gymnasien, acht Lyzeen, zwölf Gewerbeschulen, eine Handelsschule, drei Seminare und drei Ackerbauschulen.

Die sächsische Schule war ein Teil der sächsischen Volksindividualität geworden und hat mitgeholfen, diese zu gestalten und zu erhalten. Dies ging bis in die Wirren des Zweiten Weltkriegs weiter.

1944 jedoch überschlugen sich plötzlich die Ereignisse. Zwar wußten fast alle, daß die Sowjets am Frontabschnitt Jassy-Kischinew an der heutigen Ostgrenze Rumäniens kurz vor dem Durchbruch standen, aber niemand glaubte so recht daran. Zudem erhoben sich die Ost- und Südkarpaten wie ein riesiger schützender Wall vor Siebenbürgen.

Und selbst das rumänische Volk rieb sich verwundert die Augen, als Radio Bukarest am 23. August um 22 Uhr eine Proklamation des jungen Königs Michael I. verlas, in welcher die rumänischen Truppen aufgefordert wurden, den Kampf einzustellen. Rumänien habe die von der Sowjetunion, Großbritannien und den USA angebotenen Waffenstillstandsbedingungen angenommen, "die Diktatur ist zu Ende und damit alle Unter- drückung".

Hunderte Kilometer rumänischen Gebiets fielen der Roten Armee nahezu kampflos in die Hände, die zusammen mit den nun an ihrer Seite kämpfenden rumänischen Verbänden am 25. Oktober 1944 die rumänisch-ungarische Grenze bei Groß-Karol (Carei) überschritt. Es kam zu sporadischen Ausschreitungen gegen Siebenbürger Sachsen, denen die Rechte einer Minderheit nicht zugesprochen worden waren, aber im großen und ganzen blieben die rund 150000 noch in Siebenbürgen lebenden Sachsen relativ ungeschoren. Jedoch nur vorerst, wie sich bald zeigen sollte: Im Januar 1945 wurden die arbeitsfähigen deutschen Frauen zwischen 18 und 30 Jahren und die Männer von 17 bis 45 Jahren von sowjetischen und rumänischen Militär-einheiten zur Zwangsarbeit in die Sowjetunion deportiert.

Im Herbst 1944 hatte die Rote Armee in nahezu allen deutschen Schulen Rumäniens Lazarette eingerichtet. Die evangelische Kirche, der das Schulwesen wieder provisorisch überlassen worden war, setzte trotzdem einen (fast) regulären Schulbetrieb fort.

Man hielt Unterricht ab, wo und wie es ging, und wich auf die Schulen der Dörfer um Hermannstadt aus. So mußten Zehn- und Elfjährigen täglich mehrere Kilometer bis zu ihren "Klassenräumen" stiefeln, die unter anderem in den Hammersdorfer "Pesthäusern" und sogar in Friedhofskapellen untergebracht waren.

Bald nach Kriegsende im Mai 1945 schienen sich die Verhältnisse sogar zu normalisieren, die Schüler bezogen wieder ihre alten Schulgebäude. Doch die Weltgeschichte hatte nur kurz Pause gemacht: Nachdem die Kommunisten den unerfahrenen König am 30. Dezember 1947 zur Abdankung gezwungen hatten, gingen sie sogleich an die rote Gleichschaltung auch des Schulwesens.

Zunächst blieb den siebenbürgisch-sächsischen Schülern noch eine Gnadenfrist, der Schulalltag lief noch ein paar Monate lang fast genauso ab wie bis Anfang der 30er Jahre. Die Schüler merkten fast keinen Unterschied - wohl aber ihre Lehrkräfte, die bereits nach aus dem Rumänischen übersetzten Büchern unterrichten mußten. Der historische Materialismus marxi-stischer Prägung war ihnen allerdings ebensowenig geläufig wie den Schülern, die rumänische Geschichte, nunmehr fester Bestandteil des neuen Lehrplans, auch. Das führte oft zu Mißverständnissen.

Mit der Schulreform von 1948 wurde der Marxismus-Leninsmus endgültig zur alles bestimmenden Staatsideologie erklärt, für die Siebenbürger Sachsen bedeutete dies die größte Zäsur ihrer gesamten, jahrhundertealten Schulgeschichte, da die Kirche die Trägerschaft über die Lehranstalten nun an den Staat abtreten mußte. Zudem verlangten die neuen Machthaber, die Schüler atheistisch zu erziehen.

Das öffentliche Unterrichtswesen erhielt nach sowjetischem Vorbild eine strikt einheitliche Struktur: Russisch wurde nunmehr erste Fremdsprache, Rumänisch wurde bereits ab der ersten Klasse gelehrt. Der Großteil der Studienplätze war überdies nur noch für Arbeiter- und Bauernkinder reserviert.

Die Schüler wurden fast automatisch zu Mitgliedern der kommunistischen Jugendorganisation VkJ. Das hinderte sie indes nicht daran, die Sitten der ehemaligen Schülerverbindungen fortzuführen, Tanzschulen zu besuchen, Theatergruppen zu organisieren und die Tradition der Skilager in den Karpaten wiederzubeleben.

Erst die Ereignisse von 1989 hätten beinahe das Aus des deutschen Schulwesens in Rumänien bedeutet. Denn wie ein Dammbruch wirkte sich der Kollaps des roten Regimes auf die Ausreiselust der Rumäniendeutschen aus, 70 bis 90 Prozent von ihnen verließen das Land. Jedoch, es geschah Seltsames, die großen ehemaligen deutschen Schulen, an denen jetzt nur noch zehn Prozent Schüler Deutsche waren, lebten unverhofft wieder auf: Seit damals drängen rumänische Schüler auf die deutschen Schulbänke. Wie überall in Osteuropa erfreut sich Deutsch wachsender Beliebtheit.

Es gibt fünf selbständige Schulen, die ausschließlich Klassen mit deutscher Unterrichtssprache führen: das Theoretische Lyzeum "Nikolaus Lenau" in Temeswar (Banat) mit mehr als 1400 Schülern, das Deutsche Goethe-Kolleg in Bukarest (1450 Schüler, bis 2002 "Hermann-Oberth-Lyzeum"); das Kronstädter Theoretische Lyzeum "Johannes Honterus" (1100 Schüler), das Theoretische Lyzeum "Johann Ettinger" in Sathmar (630 Schüler) und das Nationalkolleg "Samuel von Brukenthal" in Hermannstadt (750 Schüler), wo im Unterschied zu den ersten vier Anstalten nicht alle Klassen, sondern nur die fünfte bis zwölfte (Abschlußklasse) auf deutsch unterrichtet werden. Dafür ist das Nationalkolleg "Samuel von Brukenthal" als einzige Schule Rumäniens mit dem Unesco-Diplom ausgezeichnet worden.

Walter König, emeritierter Professor für Schulpädagogik an den Pädagogischen Hochschulen Reutlingen und Ludwigsburg, schrieb in seinem Buch "Aufsätze zu Geschichte und Gegenwart des Schulwesens in Siebenbürgen und Rumänien": Die deutschen Schulen seien "Mittler, ja Brücken nach Mittel- und Westeuropa, sie behalten ihre Bedeutung nicht nur für die kleine Gruppe der Deutschen, sondern für die ganze Region. Und sie könnten zugleich Verständnis wecken für die Pflege und Erhaltung deutscher Kulturgüter in Rumänien - als Teil der Kultur und Geschichte der Region."

"Jeder Ort, auch der kleinste, hat eine eigene Schule"

Nach dem Einmarsch der Roten Armee ging zunächst alles weiter wie bis Anfang der 30er Jahre - doch 1948 folgte die Gleichschaltung

Alte Traditionen überlebten die roten Herrscher

Von der Unesco ausgezeichnet: Wie hier im Hermannstädter Brukenthal-Kolleg strömen heute vor allem rumänische Schüler in die deutschen Schulen ihres Landes.
 
     
     
 
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