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Da unten ist doch Krieg

 
     
 
"Überall war jetzt Nacht; die Inseln, die Felseneilande, die Scoglien schliefen. Das Meer stieß leise rauschend an die Küsten, das alte Illyrien schlief, der diokletianische Rebgarten schlief. Wie die Glieder einer Kette, wie eine reiche Perlenschnur lagen die Inseln im silbernen Mondlicht (...). Der Südost wehte leise, sehr leise über sie hin."

Friedrich Georg Jüngers Erzählung "Dalmatinische Nacht" ist ein wunderbarer Reisebegleiter. In einer ebenso schlichten wie schönen Sprache ist in ihr der bacchantische, sonnentrunkene Charakter dieses kroatischen Küstenstreifens eingefangen, der seinen vollen Zauber an milden Frühlings- und Sommerabende
n entfaltet. Aber auch tagsüber fällt es dem Besucher leicht, die Seele baumeln zu lassen. Man genießt das kristallklare Meer samt dem Ausblick auf die vorgelagerten Inseln, die sich wie gewölbte weiße Schilde aus dem Azurblau erheben, sowie auf die jäh aufragenden Karstberge, die den schmalen Küstenstreifen vom Hinterland trennen. Und man erfreut sich der fischreichen Küche und des tiefroten Weines.

Dennoch spürt der Dalmatien-Reisende in diesen Wochen unweigerlich, daß sich allem friedlichen Anschein zum Trotz dunkle Sturmwolken aus dem Osten ankündigen. Die Turbulenzen eines Krieges, der zwar geographisch relativ weit weg ist – zwischen Split und der Kosovo-Hauptstadt Pristina liegen immerhin 640 Kilometer –, der jedoch die kroatische Volkswirtschaft schwer erschüttern könnte. Denn nach wie vor leben sehr viele Kroaten vom Tourismus, und für sie könnte es in der Hauptsaison 1999 ein böses Erwachen geben.

Dem erst seit April amtierenden Tourismusminister Herak sind bei diesem Thema die Sorgenfalten ins Gesicht geschrieben. Immer wieder betont der aus Istrien stammende, das Deutsche ebenso wie das Italienische beherrschende Minister die Sicherheit der Urlauber in den kroatischen Feriengebieten. Und natürlich hat er recht, denn es gibt keinen Grund zur Annahme, daß Kroatien in diesen Krieg direkt mit hineingezogen wird.

Doch Herak weiß auch, daß sich gegen fehlende Geographiekenntnisse und das tiefsitzende Gefühl, "da unten in Jugoslawien ist Krieg", schlecht argumentieren läßt. Insbesondere in Deutschland lebt das untergegangene Jugoslawien in den Grenzen der Tito-Ära bis heute in den Köpfen vieler Menschen fort. Solche Zeitgenossen werden zwar auch 1999 selbstverständlich nach Österreich oder Ungarn fahren, aber gewiß nicht nach Kroatien oder Slowenien. Daß sie dabei teilweise näher an den Zielen der Nato-Bomber dran sind als sie es in Istrien oder Dalmatien wären, kommt ihnen nicht in den Sinn.

Schon über Ostern gab es für den kroatischen Fremdenverkehr herbe Einbußen, vor allem bei den Pauschalreisenden. Herak bezifferte das Minus auf 30 Prozent gegenüber den erwarteten Besucherzahlen, wobei die südlichen Regionen am meisten betroffen waren. Sollten sich die diffusen Ängste bis zum Sommer nicht zertreut haben, droht der durch den Krieg von 1991/92 bereits gebeulten Tourismusbranche eine neuerliche Katastrophe.

Im letzten Jahr kamen sechs Millionen ausländische Gäste ins Land. Dies entspricht 30 Millionen Übernachtungen, von denen 80 bis 85 Prozent auf die Monate Juli und August entfielen. Die größte Gruppe der Kroatien-Reisenden stellten mit 700 000 Personen immer noch die Deutschen aus der Bundesrepublik, gefolgt von den Slowenen, Österreichern und Italienern.

Gegenüber der Zeit vor dem Zerfall Jugoslawiens bedeutet das einen massiven Rückgang um 50 Prozent. Bei anderen Nationalitäten fällt der Unterschied interessanterweise deutlich geringer aus. Entweder sind sie weniger ängstlich oder einfach besser informiert als die Deutschen.

So wie es zu Beginn der 90er Jahre ein Geheimtip war, seinen Urlaub an den leeren Stränden Dalmatiens zu verbringen, wo nicht ein einziger Tourist durch den Krieg zu Schaden gekommen ist und nur Dubrovnik von wenigen Raketen in Mitleidenschaft gezogen wurde (die dramatisierenden Fernsehbilder erweckten einen falschen Eindruck der tatsächlichen Zerstörung), so gilt dies erst recht für 1999.

Angesichts der sich anbahnenden Krise setzt die Regierung in Zagreb auf eine großangelegte internationale Werbekampagne. Außerdem sollen durch weitere Privatisierungen im Fremdenverkehrssektor Steuergelder gespart werden. Gleichzeitig will man mehr Anreize für ausländische Tourismus-Unternehmer schaffen. Größere eigene Anstrengungen in touristisch relevanten Bereichen gab es zuletzt angesichts knapper Kassen nur in Gestalt der Renovierung der Hauptstadt Zagreb sowie des zu Recht als "Perle der Adria" bezeichneten Dubrovniks.

Neben der kompletten Altstadt von Dubrovnik (Ragusa) gehört auf kroatischem Staatsgebiet auch der aus dem 4. Jahrhundert stammende Diokletian-Palast in Split (Spalato) zum Weltkulturerbe der Unesco. Bei diesem Alterssitz des in Dalmatien geborenen Kaisers Diokletian handelt es sich weltweit um den einzigen in großen Teilen erhaltenen römischen Palast. Seine Mauern begrenzen noch immer das alte Zentrum der 250 000-Einwohner-Stadt.

Im Mittelalter entstand hier eine extrem dichte Wohnbebauung, die sich mit den architektonischen Zeugnissen aus der Spätzeit des weströmischen Imperiums sowie den Spuren venezianischer und österreichischer Herrschaft zu einem hochinteressanten Wirrwarr schmaler Gassen und belebter Plätze vermischt. Auf dem Areal des Diokletian-Palastes leben heute rund 20 000 Menschen.

Eine Besichtigung der erhalten gebliebenen Untergeschosse des Palastes sollte bei einer Kroatien-Reise auf keinen Fall ausgelassen werden. Einige Teile sind erst vor kurzem freigelegt worden. Ihren hervorragenden Zustand verdanken die Gewölbe der jahrhundertelangen Nutzung als Kloake.

Insgesamt ist Split allerdings längst nicht so sehenswert wie Dubrovnik, Zagreb oder beispielsweise Rovinj in Istrien. Die von sozialistischen Hochhäusern und Industrieanlagen geprägten Außenbezirke sind sogar gesprochen häß-lich. Gleiches gilt für viele kleinere Ortschaften an der Küste, in denen zu Zeiten des florierenden Massentourismus eine Unzahl betonstrotzender Hotels entstanden ist, die ebenso wie die meisten Wohnhäuser die Gegend verschandeln. Doch wer hierher kommt, tut dies kaum aus architektonischem Interesse, sondern weil er in sauberem und warmen Wasser baden und die Kraft der Sonne genießen möchte. – Und das geht in Dalmatien schließlich besonders gut, vor allem auf den Inseln.

Wer in diesen Wochen beispielsweise auf der Promenade von Bol auf der Insel Brac entlangschlendert, in tiefen Atemzügen den Duft des Meeres und der Pinien genießt, für den ist der Kosovo-Krieg gedanklich wahrscheinlich weiter weg als für die Menschen in Deutschland. Die Welt der Politik ist in solchen Augenblicken des gedankenverlorenen Genusses nur durch den berühmten Kalksandstein der Insel gegenwärtig, der u. a. beim Bau des Berliner Reichstages und des Weißen Hauses in Washington verwendet wurde.

Daß man in Kroatien ist, läßt sich dagegen kaum vergessen. Dafür sorgen schon die an allen Ecken – an Gebäuden, auf Plätzen und in den meisten Geschäften – zur Schau gestellten rot-weiß-blauen Fahnen.

Der Stolz der Kroaten auf ihre 1991 wiedergewonnene Unabhängigkeit ist noch immer groß. Spricht man mit ihnen über den Krieg um das Kosovo, dann machen sie keinen Hehl daraus, daß sie den Serben die Nato-Bomben gönnen. Andererseits ist auch die Ablehnung der einem völlig anderen Kulturkreis zugehörigen Albaner leicht festzustellen.

Viele Kroaten sehen in diesem "Bergvolk" – vorsichtig ausgedrückt – nicht gerade die Kulturbringer Europas und fürchten die demographische Sprengkraft der Albanerfrage. Allen gemeinsam ist wohl das aus den eigenen Erfahrungen herrührende grundsätzliche Mißtrauen gegenüber multiethnischen Staatswesen.

Auch die Enttäuschung angesichts der nicht gerade rosigen Wirtschaftslage ist für die meisten ein Anlaß zur Klage. Die Lebenshaltungskosten sind in Kroatien kaum geringer als in Deutschland, und dies bei monatlichen Durchschnittslöhnen von um die 500,- Mark (aus der Sicht deutscher Urlauber sind nur die Kosten für Privatunterkünfte mit etwa 12,- bis 20,- DM wirklich günstig). Sollten nun auch noch die Touristen in größerer Zahl fernbleiben, so wird sich diese Stimmung zweifellos weiter verschlechtern. Für die regierende HDZ von Präsident Tudjman wäre dies mit Blick auf die Parlamentswahlen Ende 1999 eine denkbar ungünstige Ausgangsposition.

 
     
     
 
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