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Wie immer wenn er sich in internationalen Krisensituationen unbeachtet fühlt, stößt Nordkoreas Diktator Kim Jong-il wüste Drohungen aus. Und er macht sie auch wahr: Daß Nordkorea jetzt einen nuklearen Sprengsatz gezündet hat, um damit offiziell zur Atommacht aufzusteigen, konnte nicht mehr überraschen.
Der Wahnsinn hat Methode: Im August drohte Kim anläßlich von südkoreanisch-amerikanischen Routinemanövern, er werde wegen dieser Provokation das Waffenstillstandsabkommen von 1953 aufkündigen. Im Juli ließ er acht Raketen in internationale Gewässer abfeuern, darunter eine Langstreckenrakete, Taepodong 2, die mit 6000 Kilometern Reichweite Alaska hätte erreichen sollen, jedoch nach 40 Sekunden schon vor Nachodka an der russischen Küste ins Japanische Meer plumpste. 1998 hatte er eine Taepodong 1 mit 2000 Kilometern Reichweite über Japan hinweg in den Pazifik schießen lassen.
Der Uno-Sicherheitsrat wird auf Betreiben der USA über mögliche Verschärfungen der im Juli gegen Nordkorea verhängten Sanktionen beraten. Auch China ist über die Unbotmäßigkeit seines koreanischen Bundesgenossen sehr verärgert. Hat es doch immer auf Verhandlungslösungen gesetzt und Sanktionen abgelehnt, so ist diese Politik unter chinesischem Gesichtsverlust gescheitert. Bei der bevorstehenden Destabilisierung der strategischen Lage in Nordostasien muß sich Japan mehr und mehr gezwungen sehen, selbst Atomwaffen zu entwickeln, auch dies ein Albtraum aus chinesischer Sicht. Bis zu zehn Plutoniumbomben soll das Regime bereits besitzen, möglicherweise auch schon solche aus angereichertem Uran. Kim Jong-il hat den Zeitpunkt gewählt, der ihm die höchste Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit bringt. Sanktionen können ihn nicht schrecken, Verhandlungen und die Geldgeschenke des Südens nicht locken. Das Leiden der Bevölkerung rührt ihn im Jahre 2006 genausowenig wie vor einem Jahrzehnt, als zwei Millionen verhungerten.
In diesem Winter erwartet das von Lebensmittelimporten und Nahrungsmittelhilfe abhängige Land nach Ernteausfällen eine neue Hungersnot. Nach dem Raketentest im Juli hatte Südkorea seine jährliche Nahrungsmittelhilfe von 500000 Tonnen ganz ausgesetzt. China hatte seine Getreidespenden von 300000 Tonnen auf 100000 Tonnen reduziert. Die internationalen Lieferungen gehen ohnehin vorrangig an die Parteikader, das Militär und die politisch zuverlässige Bevölkerung von Pjöngjang. Das überschüssige Getreide wird von Offizieren dann auf dem Schwarzmarkt verkauft. Die Koreaner, die als zur unzuverlässigen oder gar feindlichen Klasse zugehörig gebranntmarkt sind und in Kleinstädte beziehungsweise abgelegene Bergdörfer verbannt wurden, müssen selbst sehen wie sie nach der Zwangsabgabe des landwirtschaftlichen Plansolls überleben.
Kim Jong-il wird oft als Wahnsinniger dargestellt, der sich seiner Leidenschaft für Cognac, Rotwein, schöne Frauen und billige Aktionfilme hingebend, an gewalttätigen Allmachtsphantasien berauscht und jähzornig Opfer sucht.
Das ist ein Teil der Wahrheit. Andererseits ist er ein kaltblütiger, hochintelligenter Stratege, der in der gewaltsamen Erpressung des Rests der Welt die einzige Chance für das Überleben seines bankrotten Regimes sieht. Könnte er die Welt nicht mit Raketen und Atomwaffen und Seoul, die Hauptstadt des Südens, mit einem Artillerieüberfall aus 13000 verbunkerten Geschützrohren bedrohen, kein Hahn würde nach dem halbverhungerten, energielosen Armenhaus krähen, dessen Wirtschafts- und Technologieleistungen auf den Stand der 50er Jahre zurückgefallen sind.
Bislang konnte Kim alle von der internationalen Staatengemeinschaft gezogenen "roten Linien" straflos überschreiten. Nichts passierte. China hielt seine schützende Hand über ihn und ließ den Austausch von Raketentechnologien (aus Nordkorea) und Nukleartechnologien (aus Pakistan) seiner beiden Verbündeten über sein Territorium geschehen. Südkorea hielt weiter gegen besseres Wissen an seiner Willy Brandt nachempfundenen "Sonnenscheinpolitik", der scheckbuchbestimmten Entspannungspolitik gegenüber dem Norden fest, auch wenn dieser alle Abmachungen, humanitäre Erleichterungen und neue Verkehrsanbindungen sofort brach. Insgesamt finanziert Südkorea seit 2002 dem Norden Nahrungsmittel- und Projekthilfen in Höhe von vier Milliarden Euro. Im Gegenzug gab es einige kurzzeitige freundliche Gesten, die jedoch bald wieder den üblichen wüsten Beschimpfungen, Drohungen und der totalen Abgrenzung wichen.
Mit den von den Amerikanern betriebenen Sanktionen vom Juli 2006, an denen sich erstmals auch China beteiligt, wird durch die Einschränkung des Handels und der Devisenbeschaffung, die das Rüstungsprogramm finanzieren, auch die privilegierte Nomenklatura Pjöngjangs betroffen. Systematisch werden auf amerikanischen Druck internationale Bankverbindungen des nordkoreanischen Militärs und seiner Außenhandelsgesellschaften eingefroren. Selbst im chinesisch kontrollierten Macao wurde eine ihrer Geldwaschanlagen trockengelegt. Auch Japan fror die Überweisungen der im Lande lebenden 600000 Nordkoreaner ein, die dort unter anderem die Pachinko-Spielhöllen kontrollieren, und beendete den Fährverkehr und die Charterflüge nach Nordkorea.
Wie gefährlich ist Nordkorea wirklich? Mit 1,2 Millionen Mann unter Waffen, die acht Jahre lang uniformierte Zwangsarbeiterdienste leisten müssen, und 7,7 Millionen Reservisten hat es eine der größten Armeen der Welt. Seine Luft- und Panzerwaffe hat bestenfalls Schrottwert und kommt mangels Sprit kaum zum Einsatz. Auch die Marine hat gegen die Seestreitkräfte Südkoreas, Japans und der 8. US Flotte keine Chance. Was bleibt, wäre ein massiver Artillerie- und Raketenüberfall auf die 60 Kilometer von der Waffenstillstandslinie gelegene Acht-Millionen-Stadt Seoul, in der alle wichtigen Wirtschafts-, Kultur- und Verwaltungseinrichtungen des Südens konzentriert sind. Das macht ganz Südkorea zur Geisel der unberechenbaren Launen von Kim und seinen Generalen.
Die Mittel- und Langstreckenraketen, mit denen Kim Japan und die USA bedrohen will, sind dagegen wegen ungelöster Probleme im Steuerungssystem zu unpräzise in der Zielauswahl, um eine ernsthafte Bedrohung darzustellen. Sie sind wahrscheinlich auch nicht geeignet, die derzeit entwickelten Atomwaffen zu tragen. Für die USA allerdings stellt sich die Frage, ob sie solange warten wollen, bis Nordkorea für ihre Westküste wirklich gefährlich geworden ist.
Demonstration gegen Kim Jong-il: Südkoreaner klagen ihre Regierung dafür an, daß sie noch mit dem nordkoreanischen Diktatur kooperiert, obwohl er skrupellos Menschen verhungern lässt. (AfP / Getty) |
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