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Das Lügengebäude bricht zusammen

 
     
 
Michael Naumann, der heutige Mitherausgeber der Wochenzeitung Die Zeit, hat in einem bemerkenswerten Artikel am 29. Januar 2004 in seiner Zeitung zum Urteil des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte bezüglich der Klagen der ehemaligen DDR
-Neubauern wegen Verletzung ihrer Eigentumsrechte Stellung bezogen. Unter der Überschrift "Am Anfang der Einheit stand eine Lüge" stellt Naumann nüchtern fest, daß die damalige CDU-FDP-Bundesregierung unter Kanzler Kohl Verfassungsbruch begangen habe, weil sie das im Artikel 14 GG garantierte Recht auf Eigentum mißachtet habe.

Dem Vorwurf Naumanns liegt die von sowjetischen Besatzern und deutschen Kommunisten durchgeführte Enteignung von Bauern, Gutsbesitzern, Mittelständlern und Fabrikbesitzern zwischen 1945 und 1949 in der damaligen SBZ zugrunde. Es war nicht nur eine entschädigungslose Enteignung, sondern sie ging häufig mit schwerer Drangsal, Verschleppung, Inhaftierung und - in weniger zahlreichen Fällen - auch mit der Ermordung der Betroffenen einher.

Die Bundesregierung hatte 1990 behauptet, die Sowjets hätten ihre Zustimmung zur Wiedervereinigung von der Bedingung abhängig gemacht, daß die auf besatzungsrechtlicher Grundlage durchgeführten Enteignungsmaßnahmen zwischen 1945 und 1949 nicht rückgängig gemacht werden dürften. Es ist schon lange nicht mehr strittig, daß dies eine Lüge war.

In vielen Zeitungsartikeln und Anzeigen haben damals die Betroffenen auf das Unrecht der sogenannten Bodenreform aufmerksam gemacht. In zwei Prozessen vor dem Bundesverfassungsgericht haben sie versucht, ihr Recht mit Hilfe des Verfassungsrechtes durchzusetzen. Sie blieben - abgesehen von einem zu vernachlässigenden Trostpflästerchen - erfolglos, weil das oberste Gericht unter seinem Präsidenten Roman Herzog das Recht der Enteignungsopfer zugunsten der Politik der Bundesregierung mißachtete.

Die gesamte politische Klasse, auch die damalige rot-grüne Opposition, hatte zu dem skandalösen Vorgang geschwiegen. Weder die politischen Magazine des öffentlich-rechtlichen Fernsehens noch Spiegel, Focus, Stern oder die Wochenzeitung Die Zeit hatten den Verfassungsbruch nachhaltig angeprangert. Die Verfassungsorgane blieben passiv.

Die Geschädigten prozessierten sich bis vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg. Im Januar entschied dieser in einem parallel laufenden Verfahren, daß die entschädigungslose Enteignung der ehemaligen "DDR-Neubauern" Unrecht ist. Die entschädigungslose Konfiszierung gelang auf Grund eines Bundesgesetzes von 1992.

Nun ist in Straßburg noch die Klage der Enteignungsopfer von 1945 bis 1949 anhängig. Auf Grund des Januar-Urteils ist zu vermuten, daß auch diesem Personenkreis Gerechtigkeit widerfahren wird.

Es bleibt die Frage, warum erst jetzt die Wochenzeitung Die Zeit die Vorgänge um die verbrecherische Enteignung in der SBZ - bis heute verharmlosend Bodenreform genannt - und die politische Aufarbeitung dieses Vorgangs nach der Wende durch die Kohl-Regierung in der gebotenen Klarheit beschreibt und bewertet. Autor Michael Naumann war von 1998 bis 2000 als Kulturstaatsminister Kabinettsmitglied der rot-grünen Bundesregierung, ehe er zur Hamburger Die Zeit abwanderte. Ihm waren die Details des Vorgangs seit langem bekannt. Seine Zeitung hätte viel eher die Möglichkeit gehabt, der Wahrheit zum Durchbruch zu verhelfen.

Die Motive der Verantwortlichen der Wochenzeitung Die Zeit, jetzt für die Enteignungsopfer Partei zu ergreifen, liegen auf der Hand. Die Begründung für die Unumkehrbarkeit der Enteignungsmaßnahmen in der SBZ ist nicht mehr haltbar. Das dazu errichtete Lügengebäude stürzt ein. Nunmehr will auch Die Zeit eine für dieses Thema bisher nicht wahrgenommene Aufgabe der Printmedien erfüllen, nämlich Skandale in Politik und Wirtschaft offenlegen, anprangern und auf Beseitigung drängen.

Naumanns Artikel in der linksliberalen Die Zeit ist auch ein Ablenkungsmanöver für die schwer unter Druck stehende Bundesregierung. Die Zustimmungswerte für die SPD sind tief im Keller. Seit dem Regierungsantritt Schröders 1998 haben 120.000 Mitglieder die Partei verlassen.

In dieser Situation ist es für Rot-Grün höchst willkommen, wenn eine ihr nahestehende bedeutsame Wochenzeitung den laxen Umgang der Vorgängerregierung mit dem Verfassungsrecht in gebotener Schärfe anprangert.
 
     
     
 
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