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Ein Rußlanddeutscher, der in der Sowjetunion alle Schreck-nisse von GULag und Verfolgung miterleiden mußte, sagte mir dieser Tage, am meisten ärgere ihn, daß in der Diskussion um den "Fall Hohmann" immer wieder betont werde, man dürfe die Verbrechen der Kommunisten nicht mit jenen der Nationalsozialisten vergleichen. Ja, warum denn eigentlich nicht, fragte der Deutsche aus Rußland - und meinte dann, Hohmann habe nur die bolschewistischen Verbrechen der Revolutionsjahre erwähnt. Von den 20er und 30er Jahren habe er nicht einmal gesprochen - obwohl diese gewiß auch interessantes Material geboten hätten.
Nun ist also die Schlacht um Hohmann geschlagen - und sie verlief, wie nicht anders zu erwarten, nach der Devise: "Operation gelungen, Patient tot." Dabei muß zu denken geben, daß der Abgeordnete Hohmann ein schlichter bekennender Katholik und - wie man hört - vorbildlicher Familienvater ist. Er zählt also gewiß nicht zu den Spitzen-Intellektuellen, die alles stets besser wissen als alle anderen. Aber darin liegt doch auch seine Stärke: Daß er in diesem Sinne "volksnah" ist. Die Bonner politische Klasse aber hat durch die plumpe, ungekonnte Art, wie sie sich das Problem vom Hals schaffen wollte, nur eines bewiesen: daß sie sich vom einfachen Volk losgelöst hat und ihr eigenes Spiel hinter verschlossenen Türen treibt. Allein die Tatsache, daß einem Mann, dem man allenfalls vorwerfen kann, sich nicht vorsichtig und geschickt genug ausgedrückt zu haben, Knall auf Fall der Stuhl vor die Tür gesetzt wird - während das gleiche politische Establishment einen gewissen Michel Friedmann neuerdings als verlorenen Sohn feiert (und seine triumphale Rückkehr in die TV-Talk-Szene vorbereitet) -, zeigt, in welchem Zustand sich die tonangebende Klasse der Bundesrepublik befindet.
Als das Ausmaß des angerichteten Flurschadens sichtbar wurde, beeilte sich CDU-Chefin Angela Merkel zu versichern, die Konservativen hätten auch in Zukunft einen Platz in der Union - aber gerade deshalb habe man eine "Schneise" ziehen und sich Hohmanns entledigen müssen. Das klingt so, als sei das Abschießen und (politische) "Liquidieren" von Konservativen die beste Garantie dafür, die CDU als (auch) konservativ oder gar nationalbewußt darstellen zu lassen. Überspitzt könnte man dieser Logik mit der Behauptung folgen: Erst wenn der letzte Konservative in den eigenen Reihen beseitigt ist, kann die Union die Interessen der Konservativen richtig vertreten. Eine groteskere Fehleinschätzung ist kaum noch vorstellbar.
Darüber hinaus hat sich in diesen Tagen gezeigt, daß die CDU - leider - nicht (oder nicht mehr) patriotisch, nationalbewußt und konservativ agiert. Statt dessen huldigt sie einer Eigenschaft, die man als "beschränkten Pluralismus" (analog zur seinerzeitigen "beschränkten Souveränität" Breschnews) bezeichnen möchte. Der Fall Hohmann hat gezeigt, daß es mit der Meinungsfreiheit in Deutschland nicht weit her ist. Wenn jedermann sich zuvor ängstlich rückversichern muß, ob man ihm aus seiner Meinungsäußerung nicht einen Strick drehen könnte, dann sind wir wieder dort, wo wir im damaligen Deutschen Reich vor 1945 und in der DDR vor dem Fall der Mauer 1989 waren: daß man nämlich dem sogenannten "deutschen Blick" huldigt und sich, bevor man etwas sagt, furchtsam umschaut, ob die Luft auch rein ist. Ein derartig beschränkter "Pluralismus" muß dazu führen, daß die Opportunisten und Schönredner die Szene für sich haben.
Das einfache Volk, das - laut ersten Meinungsumfragen - zu 90 Prozent gegen den Ausschluß Hohmanns votierte, interessiert sich nicht so sehr für die Geschichte des Bolschewismus und der russischen Revolution. Das ist für viele der Schnee von gestern. Es interessiert vielmehr die Frage, ob man in Deutschland heu- te noch seine Meinung sagen darf, ohne schlimme existentielle und psychische Folgen befürchten zu müssen. So haben viele, welche die Meinung Hohmanns gar nicht teilten, für ihn Partei ergriffen - aus Gerechtigkeitssinn (hier geschah nach ihrer Meinung an einem Mitmenschen schreiendes Unrecht) und weil sie befürchteten, es könne ihnen selber eines Tages auch so ergehen.
Es war die Mitleidslosigkeit des "Apparats" gegenüber einem einsamen Einzelkämpfer, die besonders erschreckte. Sie befremdete um so mehr, als Hohmann - vielleicht als "Parsifal" (aber wer wäre das nicht in dieser Situation) - schon vorher einige unbequeme Fragen gestellt hatte, die ihn bei den Arrivierten suspekt erscheinen ließen. So fragte Hohmann im Bundestag nach den deutschen Goldreserven, die bis heute in New York lagern und deren Herausgabe an Deutschland die amerikanischen Behörden bis heute verweigern. Hohmann interessierte sich also dafür, ob Deutschland wirklich ein souveräner Staat ist - denn zur Souveränität gehört doch wohl, über eigene Goldreserven verfügen zu können. Der Abgeordnete fragte ferner nach, warum deutsche Zwangsarbeiter, die nach 1945 im kommunistischen Osten und der Sow- jetunion Frondienste leisten mußten, bis jetzt keine Entschädigung erhielten - auch das hängt ja mit der oben zitierten Souveränität zusammen.
Da drängt sich dann doch der Verdacht auf, hier solle jemand mundtot gemacht werden, der den herrschenden "Eliten" unbequem geworden war. Sie wollten ihn offenbar um jeden Preis aus dem vielzitierten "Verfassungsbogen" entfernen, ihn marginalisieren, um ihn dann vollends in der Anonymität verschwinden zu lassen. Sie glauben immer noch (und es ist die Frage, ob sie dabei nicht sogar recht haben), daß jeder, der außerhalb der etablierten politischen Parteien agiert, faktisch eine "Unperson" ist: Er (oder sie) wird einfach nicht zur Kenntnis genommen. Wer aus der Partei ausgeschlossen wurde, ist ein toter Mann, heißt es da - also laßt uns ihn möglichst schnell ausschließen, dann brauchen wir auch seine unbequemen Fragen nicht zu beantworten.
Der Fall Hohmann wird nicht der letzte seiner Art sein - und ist auch nicht der erste. Seinerzeit kam der damalige Bundestagspräsident Jenninger mit einer angeblich "mißverständlichen" Rede ins Feuer. Er mußte gehen, verschwand in der Versenkung (eine Zeitlang war er noch deutscher Botschafter in Wien) - und heute kräht kein Hahn mehr nach ihm. Er hat auch nie einen Versuch gemacht, sich zu "rehabilitieren". Immerhin - zwischen Jenninger und Hohmann gibt es einen gravierenden Unterschied: damals gab es sowohl in der Bevölkerung als auch in der CDU/CSU-Basis kein deutliches Murren und keine Insubordination gegenüber den Parteigranden. Heute ist das anders: das Volk ist konsterniert und zumindest teilweise empört. Vielleicht wird Hohmann beziehungsweise die Art, wie der Fall von den Etablierten behandelt wurde, die Unionsparteien den nächsten Wahlsieg kosten. Es läßt sich durchaus denken, daß sich die ohnedies bereits erkleckliche Zahl von Nichtwählern vermehren wird, so daß am Ende die größte deutsche Partei die Partei der (enttäuschten) Nichtwähler sein könnte.
In einem durchaus nicht linksgerichteten politischen Kreis sagte dieser Tage jemand, es sei jetzt so weit gekommen, daß SPD und Grüne heute "mehr deutsche Politik vertreten als die CDU". Das mag nach beiden Seiten übertrieben sein, deutet aber auf einen weiteren, nicht unbedenklichen Aspekt der Behandlung der Hohmann-Affäre: Eine der nicht vorhergesehenen Folgen könnte eine Delegitimierung des deutschen Parteiensystems sein - und vor allem eine Delegitimierung der CDU. Die Union war in der vielgeschmähten Adenauer-Ära eine im Kern patriotische Partei. Adenauer sagte damals: "Wir danken unserem deutschen Volk", und wiederholte dann nochmals, er sage bewußt "unserem" und nicht "dem" deutschen Volk. Und Franz Josef Strauß (der übrigens sehr gute Beziehungen zu Israel unterhielt) kritisier-te die sogenannten "Sühnedeutschen". Von Strauß stammt auch die These, wenn alles versage, müßten "die Bayern die letzten Preußen sein". Demgegenüber nehmen sich die Auslassungen Stoibers ein wenig hilflos und politisch "überkorrekt" aus. Man hätte sich von der weiß-blauen Union mehr Führung und mehr Volksnähe erwartet.
Noch ist der "Frust", der in der Bevölkerung herrscht, nicht richtig artikuliert, um von "organisiert" nicht erst zu reden. Aber wenn die etablierten Parteien weiterhin fortfahren, die "Bodenhaftung" zum Volk zu verlieren, könnte sich eines Tages eine Bürgerbewegung bilden, die sich nicht mehr mit politisch korrekten TV-Shows abspeisen läßt. Man kann nur hoffen, daß es in der CDU - auch außerhalb des Kreises jener, die bei der Proskribierung Hohmanns mit Nein stimmten oder sich enthielten - einige Leute gibt, die im stillen Kämmerlein darüber nachdenken, wie die fast unvermeidlichen Folgen des Falles Hohmann aufzufangen sind. Sicher ist nur eines: der nächste Hohmann kommt bestimmt.
Verlieren die Bodenhaftung: Ob Merkel, Westerwelle, Fischer, Stoiber oder Schröder - die steigende Zahl der Nichtwähler verdeutlicht, daß keine Partei mehr wirklich überzeugt.
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