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Auch wenn Politiker meinen, den Aufschwung herbeireden zu können, fahren die Unternehmen fort, Arbeitsplätze abzubauen oder in sogenannte Nied-riglohnländer auszulagern. Ohne einen Abbau der Besitzstände, die das Tarifkartell auf dem Arbeitsmarkt geschaffen hat, ist eine nachhaltige Überwindung der wirtschaftlichen Stagnation in Deutschland nicht mehr vorstellbar", so der Frankfurter Fachjournalist und Criticón-Autor Edgar Gärtner. Doch während Vertreter der Bundesregierung und der Opposition um Kompromißformeln für die Reform des deutschen Arbeitsmarktes ringen, seien Dienstleistungsunternehmen der Informationstechnik- und Telekommuni- kationsbranche längst gezwungen, Tatsachen zu schaffen.
So wird Siemens im großen Stil die Software-Entwicklung, Fertigung und Buchhaltungsfunktionen nach Osteuropa auslagern. "Wir müssen uns diesem Trend stellen, wie alle unsere Wettbewerber, und teilweise auch Aktivitäten dorthin verlagern", sagte Siemens-Zentralvorstand Johannes Feldmayer gegenüber der Financial Times Deutschland (FTD). Sein Konzern müsse die Kostenvorteile und das Potential hochqualifizierter Software-Ingenieure nutzen. "Wir treffen da auf ganz fantastische Mitarbei-ter mit hervorragender Ausbildung", so Feldmayer im FTD-Gespräch. Als einen wichtigen Grund nannte der Manager die schlechten Rahmenbedingungen in Deutschland. Feldmayer ist überzeugt davon, daß der in den USA und Großbritannien schon weit vorangeschrittene Trend zum Off-Shoring den Reformdruck in Deutschland erhöhen wird.
Selbst die IG Metall hat in einem internen Papier darauf hingewiesen, daß Kunden großer Anbieter von IT-Leistungen wie T-Systems bereits wie selbstverständlich Off-Shore-Anteile in der Angebotskalkulation erwarten und T-Systems dementsprechend Partnerschaften mit den indischen Firmen Syntel und Mas-cot-Systems eingegangen ist. Schon jetzt betrage der Off-Shore-Anteil deutscher IT-Firmen etwa drei Prozent des Umsatzes und werde nach Schätzungen von Unternehmensberatern in den nächsten fünf Jahren auf 20 Prozent ansteigen.
Über die konkreten Auswirkungen für die IT-Beschäftigten am Standort Deutschland durch die Aufnahme von Off-Shore-Leistungen kann derzeit nur spekuliert werden. "Problematisch wird es vor allem bei Leistungen, die im Ausland in gleicher Qualität günstiger zu bekommen sind", stellt die IG Metall fest. Maßnahmen gegen die Verlagerung ins Ausland könne die Gewerkschaft noch nicht anbieten, man möchte aber einen Beitrag dazu leisten, die Diskussion voranzutreiben und zu vertiefen.
In der öffentlichen Diskussion bewirkt die Haltung der Gewerkschaften Kopfschütteln: Die untergründige Botschaft der IG Metall lautet immer noch: Weiter so! "Statt uns dem Weltmarkt anzupassen, glauben unsere Gewerkschaften immer noch, es wäre besser, die ganze Welt richtete sich nach den deutschen Flächentarifen. Es ist aber wenig wahrscheinlich, daß uns die Welt diesen Gefallen tun wird", zweifelt der liberale Wirtschaftsexperte Edgar Gärtner.
Auch von wissenschaftlicher Seite beziehen die Gewerkschaften Prügel: "Heute müssen sich die Gewerkschaften die Frage gefallen lassen, warum sie nicht einsehen wollen, daß sie mit ihrer Hochlohnpolitik Gefahr laufen, unser Land zugrunde zu richten", sagt Hans-Werner Sinn, Präsident des Münchner ifo-Instituts.
Ein wesentliches Element des Ordoliberalismus von Ludwig Erhard und Alfred Müller-Armarck sind klare kartellrechtliche Spielregeln für die Konkurrenzwirtschaft. Um so erstaunlicher ist es nach Ansicht von Hans-Werner Sinn, daß die Tarifkartelle der
Gewerkschaften in Deutschland erlaubt und vom Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen ausgenommen sind. "Faktisch gewähren das Betriebsverfassungsrecht und das Tarifvertragsgesetz den Gewerkschaften umfangreiche Kartellrechte, die in fundamentalem Widerspruch zu den Regeln des Ordoliberalismus stehen und damit einen Fremdkörper in der Wirtschaftsverfassung der Bundesrepublik Deutschland darstellen", bemerkt Sinn.
Der Kampf gegen den Arbeitsplatzprotektionismus müßte auf der politischen Agenda ganz oben stehen. Denn wir bezahlen die Besitzstandsblockaden der Gewerkschaften mit Massenarbeitslosigkeit, Insolvenzen, Abwanderung von qualifizierten Mitarbeitern, verlorenem Wirtschaftswachstum und mangelnder Flexibilität. Oder verfahren wir nach dem Prinzip von Erich Honecker: "Der Letzte macht das Licht aus."
Gefahr für den deutschen Arbeitsmarkt: Siemens wird im Zuge der Osterweiterung in großem Stil Arbeitsplätze nach Osteuropa verlagern. In einigen Jahren könne ein Drittel der Software-Entwicklung von Siemens in Niedriglohnländern geleistet werden, so Siemens-Zentralvorstand Johannes Feldmayer. |
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