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Die englische Sprache dominiert die Wissenschaftskommunikation. Wer von der Scientific Community wahrgenommen werden will, muß englisch publizieren", so die Kurzfassung eines Artikels von Jürgen Trabant, Professor für Romanische Sprachwissenschaft der Freien Universität Berlin, im Österreichischen Rundfunk. Der Romanist setzt sich darin jedoch für Deutsch und somit für das Gegenteil ein. Das Fremde verdreht die Botschaft, statt "wissenschaftlicher Gemeinschaft" versteht der Leser den Professor falsch - Englisch als sprachverwirrendes Element ist folgenreich wie das Beispiel zeigt.
Die Verweigerung der eigenen Sprache ist kein Einzelfall. Weil die Denglish-Community - unterstützt von der EU - Wissenschaftsenglisch zum Muß erklärt, versteppt die Muttersprache, läßt sich Anerkennung zunehmend nur mit fremden Idiomen erlangen. Die Folgen: Wissenschaftler wandern ab, die weltweite Verständigung leidet, weil sich nicht alle dem Sprachdiktat fügen - Franzosen und Chinesen sowie die islamische Welt schon gar nicht. Investitionen in hiesige Bildung verwandeln sich in Förderung fremder Wissenschaftsstandorte.
Daß junge Popsternchen ihre "choreo" mit "attitude" rüberbringen oder "flat" singen, daran mußten wir uns im Fernseh-Alltag gewöhnen. Aber nicht nur dort ist Deutsch auf dem Rückzug, auch in der Wissenschaft. Eine Generation von schulisch früh angloamerikanisch Geübten will sich beweisen. Daß jedoch selbst in der Germanistik Vorlesungen in englischer Sprache als fachlich bessere Alternative gelten, ist eine neue, deutsche Besonderheit. Früher betraf es Bücher, jetzt das gesprochene akademische Wort. In kaum einem Land der Welt wird die Muttersprache so unterdrückt, wenn sie wissenschaftliches Neuland prägen könnte. Ein Problem, zumal präzise Unterschiede mit angelernten Begriffen einer fremden Sprachwelt ungenau zu erfassen sind. Deutsche Wörter gehen so in der Gegenwart kaum in andere Sprachen über. Diese Zurückhaltung im Umgang mit dem eigenen Wort hat mit Globalisierung und Internationalität wenig zu tun. Denn obwohl Hochschulen heute auf internationale Elitenbildung und ausländische Studierende setzen, ließe die große Zahl der Studierenden und Wissenschaftler, die Deutsch als Muttersprache angeben, einen lebensfähigen, deutschsprachigen akademischen Betrieb erwarten.
Dennoch gilt selbst vor ausschließlich heimischem Publikum der englischsprachige Dozent mehr. Er ist heute der Regelfall, der widerspenstige Akademiker, der die Sprache Goethes bevorzugt, gilt als Auslaufmodell. An Philosophie-Instituten kommen Heidegger, Kant und Fichte nur noch in Nischen vor. Mit der neuen Sprache ändern sich so auch Inhalte. Der Politikprofessor, der seinen trockenen Lehrverpflichtungen nach einem USA-Aufenthalt mit Lesungen in gebrochenem Schulenglisch nachkommt, ist nur ein Beispiel. In den Naturwissenschaften ist der Prozeß noch weiter fortgeschritten. Medizinische Fachsprache ist Englisch, Latein wird zurückgedrängt. An Schulen, die auf sich halten, werden naturwissenschaftliche Grundkenntnisse auf Englisch vermittelt - diese Schüler würden deutsche Ausdrücke für derartige Zusammenhänge womöglich nie hören, sagt Trabant.
Englischen Muttersprachlern von universitären Fremdspracheninstituten graut davor. Sie dürfen die Schäden reparieren und versuchen, die Akademiker mit ihrer eigenen Sprache zu versöhnen. Sie schärfen ihnen ein: "Englisch verstehen ist gut, aber doziert und publiziert lieber deutsch, wenn ihr verstanden werden wollt."
Der Bologna-Prozeß, der seit Ende der 90er die akademischen Landschaften Europas harmonisiert, beschleunigt die sprachliche Selbstveräußerung. Um EU-weit vergleichbare Abschlüsse und Inhalte zu erreichen, werden der bachelor (verkürzter Studienabschluß), credits (Leistungspunkte), und europäisierte Doktorarbeiten eingeführt. Kurzum: Das Humboldtsche Ideal universeller Gelehrsamkeit und der Kern des einst weltweit bewunderten und Nobelpreisträger erzeugenden deutschen Bildungswesens geraten aus dieser Richtung unter Beschuß. Wenn deutsche Unis sich derart in schlechte Kopien angelsächsischer verwandeln, warum nicht gleich dort studieren und forschen, sagen sich schon heute viele Forscher. Wirtschaftliche Motive werden nicht nur seitens der EU für die Vereinheitlichung vorgeschoben. Richtig verwerten lassen sich wissenschaftliche Patente nur in Amerika. Private Universitäten in Deutschland werben mit der Zahl ihrer Veranstaltungen auf Englisch und locken so mehr zahlungswillige Studierende an. Der internationale Standard, das Hauptargument Deutsch zu streichen, entsteht in den USA. Nur die Proklamation vor den anderen dort sichert Ruhm und Ertrag. Der Prozeß hat somit Methode - Geistesleistungen werden transferiert. Das utopische Argument, eine westliche Geistessprache schaffen zu wollen, ist dagegen kaum ausschlaggebend. So übertrugen Wissenschaftler Sigmund Freud zwar problemlos ins Englische, Deutsche übersetzen heute aber keine amerikanischen Texte mehr in ihre Muttersprache.
Die erkenntnisstiftende Funktion der eigenen Sprache bleibt bei all dem auf der Strecke. Die Chance, daß Wissenschaftliches in den allgemeinen Sprachschatz übergeht, auch. Mit dem Verlust der National- als Wissenschaftssprache droht eine Trennung der gesellschaftlichen Schichten - so wie im Mittelalter, der großen Vorbildepoche der Englischbefürworter. Latein lernte und verstand damals der Engländer übrigens genauso wie der Deutsche - allerdings nur, wenn er Klerus oder Adel angehörte. Die wahre Motivation ist somit Abgrenzung, der Wunsch Avantgarde zu sein.
Eine wissenschaftliche Untersuchung, inwieweit das Englische tatsächlich geeigneter ist, steht aus. Es bleibt die Modeerscheinung - eben wie bei der "choreo", der Choreographie.
Zeitzeugen
Wilhelm v. Humboldt - Der gebürtige Potsdamer (1767-1835) gilt als Begründer des modernen deutschen Bildungswesens. Seine während der napoleonischen Besatzung Preußens erarbeiteten Reformen machten das deutsche Schul- und Universitätswesen zum Vorbild für die Welt. Dies trug wesentlich dazu bei, daß Deutsch zur weltweit angesehenen Bildungs- und Wissenschaftssprache aufstieg.
Johann Bayer - Der Sternenforscher brachte 1603 sein Werk "Uranometria" heraus, in welchem er sämtlichen für ihn sichtbaren Sternen des Firmaments einen Namen nach einem bestimmten System verlieh: Der von der Erde aus hellste Stern erhielt von Bayer den griechischen Buchstaben Alpha, gefolgt von Beta, Gamma und so weiter. Dann folgte der Name des Sternbildes im lateinischen Genitiv - der hellste Stern des Bildes Zentaur heißt somit "Alpha Centauri". Die Bezeichnungen des Deutschen sind bis heute international gültig.
Gottfried W. Leibniz - Der "letzte Universalgelehrte" (1646-1716) erfand nicht nur eine mechanische Rechenmaschine oder das Dualsystem, die Basis des heutigen Computerwesens. Als früher Aufklärer legte er die Grundlagen für die klassische deutsche Philosophie, mit der die deutsche Geisteskultur ein Niveau erreichte, das später den Ruf des "Volkes der Dichter und Denker" hervorbringen sollte.
Sigmund Freud - Der Arzt und Tiefenpsychologe (1856-1939) ist der Begründer der Psychoanalyse. Seine Werke sind bis in unsere Tage eine wesentliche Basis der modernen Seelenheilkunde. Mithin wurde durch Freuds Werke Deutsch zu jener Sprache, aus der andere, etwa englische Begriffe der Psychoanalyse erst nachträglich hergeleitet werden mußten.
Jacob und Wilhelm Grimm - Die Märchensammlung der Brüder (Jacob 1785-1863, Wilhelm 1786-1859) trug unzählige alte deutsche Erzählungen in alle Welt, wo sie heute wie selbstverständlich in die "eigene" Tradition der anderen Völker eingegangen sind. Mit ihren sprachwissenschaftlichen Studien setzten sie ebenfalls Weltmaßstäbe - "Grimm s law" nennen die Angelsachsen noch heute das Gesetz der sprachgeschichtlichen Lautverschiebung. |
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