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Es ist ein höchst bemerkenswerter Vorgang, über die kulturpolitische Arbeit einer Stiftung berichten zu dürfen, die es offiziell überhaupt nicht mehr gibt, die aber weiterhin Tagungen veranstaltet, die Gewicht haben und Resonanz finden.
Die in Bonn tätige „Kulturstiftung der deutschen Vertriebenen“ ist eine der 18 Institutionen, die seit Jahrzehnten Kenntnisse über Geschichte und Kultur der einstigen deutschen Ostgebiete verbreiten und der wie der Bonner „Stiftung Ostdeutscher Kulturrat “ und der „Stiftung Kulturwerk Schlesien“ in Würzburg im Jahr 2000 von Kulturstaatsminister Dr. Michael Naumann die staatlichen Fördermittel entzogen wurden.
Nun hatte die Kulturstiftung in der Bonner Kaiserstraße 113, die mit dem im gleichen Haus arbeitenden Ostdeutschen Kulturrat inzwischen eine Arbeitsgemeinschaft gebildet hat, zu einer zeitgeschichtlichen Fachtagung „Polen, Tschechen, Deutsche. Geschichtsbild in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft“ in die Bonner „Karl-Arnold-Bildungsstätte“ eingeladen, zu der über 120 Teilnehmer, oft noch der Flucht- und Vertreibungsgeneration angehörend, erschienen waren. Geboten wurden neun Vorträge, wobei der tschechische Aspekt leider zu kurz kam, und eine abschließende Podiumsdis-kussion.
Von den fünf Beiträgen polnischer Referenten war der erste von Karol Sauerland aus Thorn einem Thema gewidmet, das nicht unmittelbar auf deutsch-polnische Geschichte bezogen war. Es ging um den „Kulturtransfer“ aus dem Deutschen in slawische Völker und Sprachen, worüber der polnische Germanist im Verlag der Kulturstiftung zwei Sammelbände vorgelegt hat. Dem Deutschen wies der Referent eine erhebliche Mittlerrolle zwischen dem Lateinischen und Polnischen zu, wovon die zahlreichen Lehnworte und Lehnübersetzungen zeugten. Die Vermittler dieser Kulturübergabe von einem Volk ins andere seien Kaufleute, Geistliche, Handwerker, Juden, Gelehrte und Drucker gewesen.
Die vier anderen polnischen Vorträge zeigten eindrucksvoll, daß sich die polnische Geschichtsschreibung zunehmend ostdeutscher Themen annimmt, wofür dann im Laufe der kommenden Jahrzehnte die deutsche Geschichtsschreibung ihre Kompetenz verlieren wird. Wenn beispielsweise der Danziger Marek Andschejewski über „Danzig in der Zwischenkriegszeit“ sprach und ausführlich auf „Die Rolle Hermann Rauschnings in der Bewertung der polnischen Forschung“ einging, dann war man erstaunt, mit welcher Akribie die Rolle des Danziger Senatspräsidenten (1887-1982) im heutigen Polen erforscht wird. Auch der Vortrag des aus Thorn stammenden Janusz Mallek über den Krakauer Vertrag von 1525, mit dem der Ordensstaat durch das Herzogtum Preußen abgelöst wurde und Albrecht von Brandenburg-Ansbach (1490-1568) sich unter polnische Lehnshoheit begab, und über die Krönung 1701 des Kurfürsten Friedrichs III. zum „König in Preußen“ in Königsberg, war von beachtlicher Sachkunde.
Was dagegen aus dem Referat Wlodimierz Jaschtschemskis aus Bromberg über „Polen und Deutschland im 20. Jahrhundert“, bezogen auf die Daten 1918, 1945 und 1989, vorgetragen wurde, war abgestandenes Wissen aus der Zeit vor 1989 und wirkte streckenweise wie eine Aufzählung von Selbstverständlichkeiten. Da der Referent selbst nicht erschienen war, konnte er auch nicht befragt werden und Stellung beziehen. Sein Bromberger Schüler Witold Stankowski, der den heutigen Stand der „polnischen Forschung zur Vertreibung der Deutschen“ vortrug, wirkte da wesentlich aufgeschlossener, auch wenn es polnischen Historikern immer noch schwerfällt, den Begriff „Vertreibung“ anzuwenden statt des harmloseren „Aussiedlung“. Der Referent habilitiert sich in Bromberg über das Thema „Die Lager für die deutsche Zivilbevölkerung in Polen 1944-1950“, ein Thema, wofür an deutschen Universitäten kaum ein Doktorand zu finden ist.
Die vier deutschen Vorträge wurden von zwei Professoren und zwei Nachwuchswissenschaftlern bestritten, denen man anmerkte, daß sie ihre Themen vollauf beherrschten. Friedrich Prinz beispielsweise, 1928 in Tetschen geboren, Emeritus in München und Verfasser des Siedler-Bandes „Böhmen und Mähren“ (1933), konnten den Zuhörern überzeugend erklären, warum die „Konfliktgemeinschaft zwischen Deutschen und Tschechen“ nach dem Ersten Weltkrieg scheitern mußte, während der Bonner Udo Arnold, 1940 in Leitmeritz geboren, am Stand der Deutsch-Ordens-Forschung die schwierige Entwicklung der Wissenschaftskooperation zwischen deutschen und polnischen Historikern vor und nach 1989 nachzeichnete.
Thomas Krause aus Chemnitz sprach unter dem Titel „Das fremde Land“ über den literarischen Niederschlag der deutschen Ostsiedlung im Mittelalter, von Hans Grimms (1875-1959) Roman „Volk ohne Raum“ (1926), der dem Nationalsozialismus das ideologische Rüstzeug lieferte, und dem Werk von Hans Venatier (1903-1959) „Vogt Bartold“ (1939), worin die Polen als „faule Slawen mit Hundeaugen“ bezeichnet werden, bis zu den tschechischen Aufarbeitungen des Themas in den Novellen von Jaroslav Durych, „Gottes Regenbogen“ (1969), und von Zdenek Smid, „Unterm Mittagsstein“ (1992). Frank-Lothar Kroll, ebenfalls aus Chemnitz, widmete seine Ausführungen „Deutschen und Russen in ihrem geschichtlichen Verständnis“ vom 18. Jahrhundert, als nach dem Nordischen Krieg 1700/21 Preußen ins Blickfeld russischer Politik geriet, bis zum Zweiten Weltkrieg, als das deutsch-russische Verhältnis durch Adolf Hitler zerstört wurde. Der Referent konnte eine Fülle von Beispielen der Kooperation, im Siebenjährigen Krieg 1756/63, bei der ersten Teilung Polens in den Petersburger Verträgen 1772, in den zwanziger Jahren, anführen und zeigte sich auch der sich anschließenden Diskussion durchaus gewachsen. In der abschließenden Podiums-diskussion, die unter der wirklich umsichtigen Leitung des Siegener Rechtsanwalts und Vorsitzenden der Kulturstiftung Reinold Schleifenbaum stand, ging es um den „Einfluß der Geschichtswissenschaft auf das Geschichtsbewußtsein“.
Unter den vier Teilnehmern sprach sich der Bonner Privatdozent Jörg-Dieter Gauger dagegen aus, deutsche Geschichte immer nur als Vorgeschichte des „Dritten Reichs“ zu begreifen. Statt dessen solle das Thema „Flucht und Vertreibung“ in den Geschichtsunterricht eingebaut werden. Von einer „Flucht aus der Geschichte“ auch in Polen sprach Witold Stankoweski, während die Oberstudienrätin Dorothea Schleifenbaum drei Typen von Nationalhymnen vorstellte. Privatdozent Frank-Lothar Kroll deutete schließlich, wenn auch in Frageform, einen „Verlust der Geschichte“ an, wofür Jörg-Dieter Gauger ein treffendes Beispiel anführte, daß heute nämlich von Schlesien und Ostdeutschland nur noch als von „Siedlungsgebieten“ gesprochen und damit die Zugehörigkeit zu Preußen und zum Deutschen Reich 1871/45 geleugnet und ausgelöscht werde. Wie man sieht, hat die Kulturstiftung einen schwierigen Weg und eine Fülle von Aufgaben vor sich. Jörg Bernhard Bilke
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