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Das ist sozialistische Malerei, da ist ein Spruchband zu sehen, auf dem steht: ‚Es lebe die DDR. " Carl-Wolfgang Holzapfel ist wütend, wenn er über den schmucklosen kleinen Platz vor dem Bundesfinanzministerium spricht. Kein Wunder: Holzapfel ist seit vier Tagen im Hungerstreik.
Die Malerei ist ein Überbleibsel aus der Zeit, als der heutige Amtssitz Hans Eichel s noch "Haus der Ministerien" der DDR war. Noch früher war das Gebäude an der Wilhelmstraße Ecke Leipziger Straße Hermann Görings Reichsluftfahrtministerium (RLM). Der hatte im Eingangsbereich zwei kleine Gedenkräume eingerichtet, in denen "Helden aus dem Weltkrieg" geehrt wurden. Seit Eichel Deutschlands Finanzen verwaltet, sind es kommunistische Agenten, denen man heute im Ministerium huldigt. Eine Gedenktafel erinnert an Angehörige von Stalins Spionagetrupp "Rote Kapelle", die einst hier ihrem Handwerk nachgegangen waren.
Ums Gedenken geht es auch Carl-Wolfgang Holzapfel. Und zwar um das an den Volksaufstand vom 17. Juni 1953. Wer denkt heute noch an die Arbeiter, die vor 52 Jahren gegen die russischen T34-Panzer Sturm liefen, was genau an jener Stelle eskalierte, wo das Haus der Ministerien stand?
Männer wie Holzapfel tun es. Der gebürtige West-Berliner hatte sein ganzes Leben dem Kampf gegen das SED-Unrecht gewidmet. Der 61jährige ist Vorsitzender des Vereins 17. Juni e.V. Als die Mauer noch stand, demonstrierte er immer medienwirksam - auch auf Ostgelände. Mitte der 70er Jahre wurde er von der Grenzpolizei aufgegriffen und eingelocht. Es folgten mehrere Monate Bautzen. "Das war schlimm", sagt er und schildert anschaulich die SED-Schikanierungen. 15 Jahre nach der Vereinigung klingen diese Dinge fast schon wie aus dem Mittelalter.
Jetzt war er wieder wegen einer Feierstunde anläßlich des 17. Juni nach Berlin gekommen. Am 20. Juni wollte er zurück-fliegen - nach Bayern, wo er seit Jahren wohnt. Dann aber erfuhren er und seine Mitstreiter, daß am Finanzministerium die Schautafeln, die an den Aufstand erinnern, abmontiert werden sollen. Morgens um sechs, damit niemand etwas davon mitbekommt. Holzapfel und andere frühere DDR-Bürgerrechtler und -häftlinge stellten sich den Bauarbeitern in den Weg, wurden von der Polizei abgeführt. Die Schautafeln wurden abgerissen. Der Finanzminister wollte nicht länger dulden, daß seine Fassade der Erinnerung an den Volksaufstand dient. Basta.
"Das soll alles gewesen sein?" Holzapfel wollte es nicht glauben und trat in den Hungerstreik - genau an der Stelle vor dem Ministerium. Erst hat sich niemand so richtig dafür interessiert. Am zweiten Tag erst kam ein Herr Kühne vom Ministerium und wollte Holzapfel zum gehen bewegen. Er blieb. Sechs Mal habe er schon solche Aktionen gestartet. "Ich wollte damals, daß sich die Uno des politischen Unrechts der deutschen Teilung annimmt." Im Winter 1963/64 hat er erstmals bei minus 15 Grad zehn Tage durchgehalten. Diesmal will er nur eine Zusicherung von Angela Merkel, daß eine neue unionsgeführte Regierung die Tafeln wieder anbringt. Immerhin: Die CDU/CSU-Fraktion hat dies bereits beschlossen. Aber der Mann hat schon zuviel erlebt und bleibt mißtrauisch: "Nachher fühlen die sich nicht daran gebunden." Deswegen sind ihm Absichtserklärungen nicht genug. Auch nicht die Zusicherungen von ersten Lokalpolitikern, die bereits da waren.
Die Passanten verfolgen seine Aktion mit Interesse. Holzapfel kommt richtig ins Schwärmen, wenn er von einer Schulklasse berichtet, die spontan einen Bericht für die Schülerzeitung verfaßte. Oder die zwei jungen Frauen, die nach dem Besuch am Wannsee noch einmal zurückkamen, um ihm Erfolg zu wünschen. 300, 400 - Holzapfel hat aufgehört, die Leute zu zählen, mit denen er gesprochen hat. Am Dienstag dann die erlösende Nachricht: Angela Merkel läßt schriftlich erklären, daß sie zu dem Beschluß ihrer Fraktion stehe. Holzapfel brach seinen Hungerstreik daraufhin ab. Nun bleibt ihm nur zu hoffen, daß eine Unionsregierung den Beschluß auch umsetzt. R.G.
Die Bilder des 17. Juni mußten weichen, geblieben aber sind die klobigen Wandmalereien, die die kommunistische Gewaltherrschaft verherrlichen: Carl-Wolfgang Holzapfel hat seinen Protest vor dem Berliner Bundesfinanzministerium solange fortgesetzt, bis er eine feste Zusage von Angela Merkel bekam. |
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