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Lange hatte der Philosoph aus Königsberg auf eine Professur warten müssen. Erst mit 46 Jahren ging sein lang ersehnter Wunsch in Erfüllung, an der heimatlichen Universität den Lehrstuhl für Logik und Metaphysik zu besetzen. Am 21. August 1770 trat Immanuel Kant mit dem in lateinischer Sprache gehaltenen Einführungsvortrag über "Die Form und die Prinzipien der Sinnes- und Verstandeswelt" die Professur an. Dieser Vortrag, mit Spannung erwartet, denn Kant war ja kein Unbekannter in der Universitätsstadt, behandelte die beiden Pole seiner gedanklichen Welt, nämlich welche Erkenntnisse sich aus der tatsächlich vorhandenen Umwelt begründen lassen, und welche Ergebnisse das reine Nachdenken erbringt, wenn die Mittel der sinnlichen Wahrnehmung versagen.
Der Weg zum Verständnis der Kantischen Philosophie sollte eigentlich bei den naturwissenschaftlichen und theologischen Spekulationen beginnen. Erst dann verfolge man seinen Weg durch das "Tor der drei Kritiken", deren abstrakte Untersuchungen der "reinen Erkenntnis" dem Normalbürger nur schwerlich eine Lebensorientierung zu bieten vermögen.
In Kants Lebensabschnitt als Lehrstuhlinhaber in Königsberg fällt die Herausgabe der drei Kritiken. Die beiden ersten Hauptwerke, die "Kritik der reinen Vernunft" und die "Kritik der praktischen Vernunft" wurden in den Jahren 1781 beziehungsweise 1788 bei Johann Friedrich Hartknoch in Riga, das mit Königsberg geistige Beziehungen unterhielt, verlegt. Das dritte Hauptwerk, die "Kritik der Urteilskraft", erschien aus technischen Gründen nicht mehr bei Hartknoch, sondern 1790 bei Lagarde und Friedrich in Berlin und Libau.
Außer diesen drei Hauptwerken der Erkenntnislehre, die vor allem akademische Philosophen interessieren, existieren eine Reihe von Veröffentlichungen Kants, sowohl in Buchform als auch in Zeitschriften. Sie betreffen die Sittenlehre (Kategorischer Imperativ), Fragen der Ästhetik und der Naturwissenschaften sowie Staatsphilosophische Probleme. Bis in die Gegenwart sind seine Publikationen von vielen Verlagen in mancherlei Ländern immer wieder herausgebracht worden.
Während Kant in seiner Sittenlehre als oberstes Sittengesetz die Pflichterfüllung in den Mittelpunkt der sittlichen Wertordnung stellte, erklärte er in seiner Erkenntnislehre die Idee der Freiheit als eine der letzten Forderungen der Vernunft. Die Freiheit ist eine rein transzendentale Idee, "sie ist im praktischen Sinne die Unabhängigkeit der Willkür von der Nötigung durch Antriebe der Sinnlichkeit". Weil den Menschen das Vermögen beiwohnt, sich unabhängig von der Nötigung durch sinnliche Antriebe, von selbst zu bestimmen, ist die menschliche Willkür keine triebhafte, sondern eine freie Willkür. In seiner "Kritik derreinen Vernunft" ist Freiheit die "sittliche Selbstgesetzgebung (Autonomie)", wobei mit "transzendental" die aus Vernunftgründen (a priori) mögliche Erkenntnisart von Begriffen bedeutet.
Derzeitige Politiker verwenden gerne Sprüche wie "Deutschlands Freiheit wird am Hindukusch verteidigt" oder "Lassen Sie uns mehr Freiheit wagen". Welche Freiheit ist damit gemeint: Freiheit der Meinung oder der Rede, politische Freiheit, wirtschaftliche Freiheit?
Freiheit bedeutet Unabhängigkeit, die Freiheit, das zu tun, was man will. Philosophisch gesehen ist Freiheit die Grundvoraussetzung menschlichen Handelns oder nach Kant die sittliche Selbstgesetzgebung. Aber wie frei ist eigentlich der Mensch? Für den Molekulargenetiker ist die Spanne ziemlich gering, der Mensch ist so frei, wie seine erbbedingten Gene es zulassen, man kann auch sagen, die DNS determiniert die Freiheitsgrade des Menschen.
Natürlich gibt es keine absolute Freiheit. Politische Freiheit ist nach John Keynes auf die Dauer nicht möglich, wenn es an der wirtschaftlichen Freiheit fehlt. Ökonomische Freiheit wiederum kann in Unfreiheit umschlagen, wenn deren einzige Perspektive in Kaufen oder Verkaufen besteht.
Immanuel Kant war der erste deutsche Philosoph, der seine großen Werke in deutscher Sprache geschrieben hat. Zwar drückt er sich in seinen Schriften teilweise umständlich aus, aber niemals zweideutig oder orakelnd. Auf jene Klagen, über die Schwierigkeit des Verständnisses seiner Schriften, antwortete er: "Ich schreibe eigentlich nur für Denker von Profession, und diesen gewährt eine bestimmte Kunstsprache den Vorteil der Kürze."
Anders war es bei mündlichen Vorträgen. In den Vorlesungen über die Logik beispielsweise hatte er nicht die Absicht, die Ergebnisse der Wissenschaft den Zuhörern vollständig zu vermitteln, vielmehr wollte er die Studenten das "Denken" lehren. ("Nicht glauben, sondern denken", nannte es Schopenhauer später). In den Kollegs über die Moral zeigte sich Kant nicht bloß als spekulativer Philosoph, dort trat er auch als geistvoller Redner auf, der Herz und Gefühl ebenso ansprach, wie er den Verstand befriedigte.
Kant hatte sechsmal das Amt eines Dekans der philosophischen Fakultät übernommen. Mit dem Dekanat waren damals die Prüfungen der Studenten verbunden, die sich in erster Linie auf die Kenntnisse der lateinischen Sprache richteten. Da in jedem Semester (Halbjahr) 80 bis 120 Neuzugänge die Universität bezogen, war das eine erhebliche Belastung. Aber der Königsberger Philosoph war kein strenger Prüfer, er trat den Studierenden als Freund und Helfer entgegen.
Seinen Ruhm schon zu Lebzeiten verdankte Kant vor allem seinen Aufsehen erregenden Publikationen. So zeugen unter anderem die erhalten gebliebenen Briefe des preußischen Staatsministers Karl von Zedlitz (1731-1793) von einer hohen wissenschaftlichen und persönlichen Achtung für den Professor der Albertina. Freiherr v. Zedlitz hatte die Oberaufsicht über alle Lehranstalten Preußens, gleichzeitig beauftragte ihn Friedrich der Große, eine Reform des höheren Schulwesens in die Wege zu leiten (Abitur und Reifezeugnis). Von den sechs Universitäten Preußens besaß die Martin-Luther-Universität in Halle / Saale als Mittelpunkt der Aufklärung einen hervorragenden Ruf; Minister v. Zedlitz war darum sehr bemüht, Kant einen Wechsel nach Halle schmackhaft zu machen. Er bot ihm ein höheres Salär von 800 Talern an, zudem warteten dort auf den Königsberger mit 1200 Studenten mehr Zuhörer als in seiner Heimat. Doch Immanuel Kant blieb seiner Vaterstadt treu.
In Kants erste Amtszeit als Rektor der Albertina fiel der Tod Friedrichs des Großen (17.8.1786) und die Huldigung seines Nachfolgers Friedrich Wilhelm II. im September desselben Jahres in Königsberg. Auf die Huldigungsrede, die Kant an der Spitze des Akademischen Senats zu halten hatte, erwiderte König Friedrich Wilhelm II. "auf die huldreichste Weise, indem er den Rektor der Universität in seiner ausgezeichneten Stellung unter den Philosophen Deutschlands begrüßte".
Kant hatte mit seinem System der Kritischen Philosophie eine allgemeine geistige Bewegung an den meisten deutschen Universitäten ausgelöst. Mittels Schriften und akademischen Vorträgen breitete sich seine Denkart über die Grenzen Deutschlands aus, und auch das Ausland bewunderte den Königsberger Philosophen, den Begründer einer neuen Philosophie, als eines der größten Talente des Jahrhunderts. Inzwischen hatte Friedrich Wilhelm II. bald nach seiner Thronbesteigung den Minister v. Zedlitz, einen aufrichtigen Verehrer und Mentor Kants, durch den früheren Prediger Johann Wöllner ersetzt. Zum Staatsminister erhoben, gab Wöllner einen ersten "Glaubensbefehl" heraus, der warnend darauf hinwies, daß in "unverschämter Weise versucht wird, die Glaubenswahrheiten der Schrift zu untergraben". Der König setzte eine Prüfungskommission aus Oberkonsistorialräten ein, die alle der Aufklärung verdächtigen Schriften einer Zensur unterzog. Jede freie geistige Forschung, die auch nur am Rande das Gebiet der Religion berührte, war zu verbieten. Die Prüfungskommission schlug Friedrich Wilhelm II. vor, dem Begründer der Kritischen Philosophie das weitere Schreiben zu untersagen. Kant hatte 1793 die Schrift "Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft" herausgebracht, gedruckt bei Friedrich Nicolovius in Königsberg. Daraufhin erwirkte der orthodoxe Minister Wöllner eine königliche Kabinettsorder vom 1. Oktober 1794, die ein strenges Verbot unter Androhung allerhöchster Ungnade aussprach. Kant wurde verpflichtet, dergleichen Schriften und Lehren zu unterlassen. Auch alle theologischen und philosophischen Dozenten der Universität Königsberg mußten ein Revers unterschreiben, nichts vorzutragen, was dem Preußischen Religionsedikt entgegensteht.
Kant mußte sich fügen. Er betonte zwar, daß die Philosophie volle geistige Freiheit haben müsse, es jedoch nicht Pflicht sei, alle Wahrheit auch öffentlich zu verbreiten.
Foto: Großer Lehrer: Standbild des Philosophen Immanuel Kant in d |
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