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Als der Omnibus des bundesdeutschen Reiseveranstalters Greif Reisen A. Manthey GmbH die Oder erreichte, hatte er die 55 Teilnehmer der von der Kreisgemeinschaft Wehlau organisierten Reise in die Heimat bereits in Witten-Heven, Bochum, Hannover, Hamburg und Berlin aufgesammelt. Der Grenzübergang verlief problemlos. Nach kurzer Wartezeit verabschiedeten sich die deutschen und polnischen Grenzbeamte n mit „Gute Reise“ und ohne Paßkontrolle. Von dort ging es mit einer Übernachtung in Schneidemühl weiter nach Elbing. Dort wechselte der Bus auf die alte deutsche Autobahn in Richtung Königsberg, von der nur eine Fahrbahn mit zwei Fahrsteifen bis zum Kriegsbeginn gebaut werden konnte und die sich heute, nach 70 Jahren, in einem schlimmen Zustand befindet. Erste kleine Anzeichen im Raum Elbing scheinen darauf hinzuweisen, daß vielleicht doch mit einem künftigen Ausbau zu rechnen ist, über den schon lange geredet wird. Nach der Einführung der Autobahnmaut in der Bundesrepublik wird der Bundeskanzler sicher mit der Begründung, daß dies die „wundersame Versöhnung“ fördere, mit „ein paar Milliarden“ leicht aushelfen, damit die im Gespräch befindliche Magistrale St. Petersburg–Riga–Willna–Königsberg–Stettin mit Anschluß an die A 20 realisiert werden kann. Noch ist die Autobahnbrücke über das Tal der Passarge nach der Sprengung im Krieg nicht wieder aufgebaut worden, so daß man vorher abbiegen muß, um über eine Landstraße Braunsberg zu erreichen, wo man wieder auf die Reichsstraße 1 trifft. Acht Kilometer nördlich von Braunsberg wurde die polnisch-russische Staatsgrenze erreicht, die vor Kriegsende von Stalin mit einem Rotstift-Strich quer über eine Landkarte von Ostdeutschland gezogen worden ist. Er wollte nicht das ganze Preußen östlich der Oder den Polen allein überlassen, sondern sich auch einen Teil der Kriegsbeute sichern, und da war ihm das Königsberger Gebiet mit dem eisfreien Hafen Pillau für seine baltische Flotte gerade gut genug. Im Gegensatz zu der vorher überquerten, ist diese noch eine Staatsgrenze alten Stils. Sie ist auch heute noch mit Zäunen, Wachtürmen und ständig geharktem Todesstreifen gesichert, wie es die innerdeutsche Grenze bis 1990 einmal war. Die Reisenden müssen bei den Russen den Bus verlassen und durch eine Halle gehen, in der sich eine Sperre mit Abfertigungsschalter befindet. Hier werden die Reisepässe und Visa geprüft und ein zusätzlich auszufüllendes Papier abgegeben, dessen Kopie man mit Stempel des Hotels, in dem man übernachtet hat, bei der Ausreise wieder abgeben muß. Diese Prozedur dauert seine Zeit. Die Abfertigung des Fahrzeuges dauert noch deutlich länger. Im Gegensatz zu früher benötigte die Reisegruppe diesmal allerdings nur noch etwas mehr als eineinhalb Stunden. Danach ging es weiter auf der Reichsstraße 1 über Heiligenbeil nach Königsberg. Hier kam die Gruppe gegen Abend an und bezog ihre Zimmer im größten und bekanntesten Hotel der Stadt mit dem Namen „Kaliningrad“, in dem sie während ihres Ostdeutschlandaufenthaltes wohnte. Gleich am ersten Tag ging es mit dem Bus an Tapiau vorbei auf der Reichsstraße 1 nach Wehlau. Der Bürgermeister Iwan Rombak hatte Urlaub und war verreist, so daß die Gruppe den von ihm aufbewahrten Kirchenschlüssel nicht erhalten konnte. Der Meister des nebenan befindlichen Heizwerkes verstand es aber, die Tür zur Kirchenruine zu öffnen. Seit dem Gottesdienst und der Kranzniederlegung im Jahr zuvor hatte anscheinend niemand mehr den Innenraum betreten. Fast ein Meter hohes Unkraut empfing die Gruppe. Auch sonst sind dringend Erhaltungs- und Reparaturarbeiten am Turm und dem Mauerwerk erforderlich. Hier in Wehlau blieb ein Teil der Reisenden zurück, die das, was von der Stadt übrig geblieben ist, durchstreifen wollten. Die übrigen fuhren mit dem Bus in das wenige Kilometer südlicher gelegene Paterswalde und besichtigten von außen die leider abgeschlossene evangelische Kirche, die jetzt von den Russisch-Orthodoxen in Anspruch genommen wird. Anschließend gingen sie in das Gemeindehaus der rußlanddeutschen evangelischen Gemeinde und sprachen mit deren Leiter Alexander Meibach, der zugleich Vorsitzender des rußlanddeutschen Vereins Samland in Tapiau ist. Über Wehlau ging es anschließend nach Petersdorf. Der Ort macht einen sehr traurigen Eindruck. Wenige Häuser sind leidlich erhalten. Das vor wenigen Jahren noch existierende stabile Mauerwerk der alten Schule ist mittlerweile verschwunden. Das Kriegerehrenmal für die Gefallenen des Ersten Weltkrieges ist nach der Renovierung durch Albert Schulz unverändert geblieben. Weiter ging es über Taplacken, Kuglacken, Kallehnen nach Plibischken. Die Kirche, seit Kriegsende ohne Turm, einen sogenannten „Dachreiter“, scheint ausgebrannt gewesen zu sein und wurde von den Russen mit den dort üblichen Asbestzement-Wellplatten (Eternit) gedeckt und zu einem Clubhaus umgebaut. Neben einer Bühne, die jetzt den Platz des früheren Altars einnimmt, gibt es einen separaten Raum mit zwei Billardtischen. Es dürfte kürzlich einen neuen Außenanstrich erhalten haben. Das überaus schmutzige Grau, das noch im Juni letzten Jahres vorhanden war, ist einem sauberen hellen Grau gewichen. Beim alten Kriegerehrenmal vor der Kirche, wie in Petersdorf ein wuchtiger Findling, war bereits 2003 die alte Inschrift erneuert worden. Die beiden Treppenreihen und der schräge Platz dazwischen sind von Unkraut und Gras befreit worden, und es wurden dankenswerterweise sogar einige Blumen gepflanzt. In Groß Ponnau hat sich in der letzten Zeit nichts Nennenswertes verändert. Die Rückfahrt zum Hotel nach Königsberg erfolgte dann wieder über Wehlau, wo die Dortgebliebenen aufgenommen wurden. Am darauffolgenden Tag wurde unter anderem Pillau angelaufen. In dieser Stadt merkt man, daß die Marine beziehungsweise das Militär das Sagen hat. Pillau ist nach wie vor der wichtigste Stützpunkt der Baltischen Flotte. An der Nordmole entstand im vergangenen Jahr ein gewaltiges Denkmal, das die Zarin Elisabeth (1709– 1762) auf einem sich bäumenden Pferde darstellt. Das sechseinhalb Meter hohe Bronzedenkmal ist sichtbare Geschichtspolitik, soll mit der Erinnerung an die Herrscherin Ostdeutschlands von 1758 bis 1762 doch suggeriert werden, daß Rußlands Herrschaft über diesen Raum Tradition und Geschichte habe. Am nächsten Tag ging es nach Georgenburg und Trakehnen. Georgenburg wird wieder durch die Pferdezucht und Reitturniere beherrscht. Mit viel Geld aus Moskau, man sagt, Frau Luschkowa, die Frau des Bürgermeisters von Moskau, habe hier investiert, ist ein gepflegtes Gestüt mit Reitsportanlage entstanden, das die Gruppe gegen Entrichtung von vier Euro pro Person, besichtigte. Aus der Zeit vor der Besetzung durch die Russen sind Ställe und andere Gebäude erhalten geblieben, die mit Sachverstand und guten Handwerkern restauriert und modernisiert wurden. Über die edlen Pferde, die hier wieder stehen, kann sich jedes Preußenherz nur freuen. Von dem weltbekannten Gestüt Trakehnen ist nur noch das Landstallmeisterhaus mit dem bekannten Trakehner Tor und das Reitburschenhaus erhalten geblieben. Ein deutscher Verein ist dabei, mit Spenden von Landsleuten, über die Jahre diese Bauten mühsam vor dem Verfall zu retten und zu restaurieren. Im Landstallmeisterhaus befindet sich eine russische Mittelschule, die Unterstützung aus der Bundesrepublik Deutschland erfährt und ein sehenswertes Museum über das frühere Trakehnen eingerichtet hat. Von Stallungen, Scheunen und anderen zum Gestüt gehörenden Gebäuden sind nur noch Reste erkennbar. Am Ortsrand hat ein Verleger aus Kiel, dem es gelungen war, hohe Summen an Spenden zu erhalten, eine Siedlung mit schönen Häusern erbaut, die für Rußlanddeutsche gedacht waren. Alle Häuser stehen leer und „gammeln“ vor sich hin. Wie von dem zur Zeit dort lebenden deutschen Verwalter und Bewacher zu erfahren war, sind die Rußlanddeutschen, von denen einige eingezogen waren, inzwischen nach der Bundesrepublik Deutschland weitergezogen. Hier in Trakehnen und auch in der weiteren Umgebung fanden sie nirgends Arbeit, so daß sie noch nicht einmal in der Lage waren, die minimale Miete aufzubringen, die für die laufenden Abgaben gebraucht wird. Nun verlangt auch noch die russische Administration, daß für die Siedlung ein Klärwerk gebaut wird, und zwar in einer Größe, die mehr als die Abwässer des ganzen Ortes zu klären vermag. Als die Gruppe das Wehlauer Gymnasium, der „Deutsch Ordensschule“, die den Krieg und die Nachkriegszeit überstanden hat und den heutigen Bewohnern als Mittelschule dient, besuchte, stieß sie trotz Ferien in einem Klassenraum auf Schüler, die unter Aufsicht und Anleitung zweier Lehrerinnen Stadtpläne zeichneten, nach Vorlagen farbige Zeichnungen anfertigten und diese beschrifteten. Wie eine der beiden Lehrkräfte berichtete, wird mit dem Material, das der „Museumsmacher“ der Kreisgemeinschaft Wehlau Klaus Schröter aus seinen Beständen herausgesucht hatte, und das Heinrich und Sieglinde Kenzler nach Wehlau gebracht hatten, ein Geschichtskabinett ausgestaltet, das Schülern und Lehrern die Vergangenheit dieses Ortes und Landes näherbringen soll. Die Eröffnung werde am ersten Schultag nach den Ferien erfolgen, war von den Lehrerinnen zu erfahren. Vom Kirchdorf Grünhayn fand die Reisegruppe nichts mehr vor. Nicht ein Haus, auch keine Ruine, ist mehr vorhanden. Fliederbüsche und kleine Bodenerhebungen könnten Zeichen dafür sein, daß hier Gehöfte gestanden haben. Wie deutscherseits berichtet wird, soll das recht gut erhaltene Grünhayn nach 1945 beim Drehen eines Kriegsfilms abgebrannt worden sein. Jemand hat sich kürzlich eine sowjetische Wochenschau aus der damaligen Zeit ansehen können. In einer Szene brannte das Wehlauer Rathaus lichterloh. Obwohl dabei ein anderer Ort genannt wurde, gab es keinen Zweifel, es war Wehlau. Am letzen Tag des Aufenthalts ging es unter anderem nach Cranz, dem ältesten Ostseebad Ostdeutschlands. Im Gegensatz zu Rauschen gibt es hier eine öde Betonpromenade mit einer Bauruine. Der Sandstrand ist bis auf einen schmalen Streifen weggespült. Das heutige Cranz macht insgesamt gesehen einen etwas tristen Eindruck. Am nächsten Morgen wurden die Koffer im Bus verladen und die Rückreise angetreten. Bei Heiligenbeil ging es wieder über die innerostdeutsche Grenze,diesmal noch rascher als bei der Hinfahrt. Die Polen verzichteten auch hier auf eine Paßkontrolle. Im Hotel Panorama bei Stettin wurde noch einmal übernachtet, dann ging es auf der Autobahn über die deutsch-polnische Staatsgrenze zurück in die Bundesrepublik, auch hier wieder ohne Kontrolle. J. R. Potemkinsche Dörfer: Am Ortsrand von Trakehnen stößt der Besucher auf diese hübsch anzuschauende Siedlung, um bei näherem Hinsehen festzustellen, daß die Häuser mit den heimatbezogenen Fassadenmalereien leerstehen und „vergammeln“. Hier hatte man Rußlanddeutsche angesiedelt, die aber keine Arbeit fanden und gen Westen weiterzogen.
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