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Einträchtig hängen die Wappen von Tilsit und Sowjetsk, wie die Russen diese nordostdeutsche Metropole nennen, nebeneinander am Podium. Flankiert vom Wappen des gemeinsamen Partners Kiel. Wer erst jetzt vom Schicksal der Stadt an der Memel gehört hat, mag das selbstverständlich finden. Wer die jüngere Geschichte kennt, erblickt den radikalen Wandel - und die ungeahnte Hoffnung, die solche Symbolik verströmt.
450 Jahre ist die Stadt nun alt, und deutsche Vertriebene wie Vertreter der russischen Einwohnerschaft wollten das gemeinsam im Ratssaal der schleswig-holsteinischen Landeshauptstadt feiern. Unter den über 200 geladenen Gästen waren auch die Stadtpräsidenten der Städte Kiel und Sowjetsk.
Horst Mertineit, Vorsitzender der Stadtgemeinschaft Tilsit, wußte gleichwohl Nachdenkliches anzumerken, als er in seiner Festrede gleichermaßen auf die starken Kontinuitäten und tiefen Brüche in der Geschichte seiner Heimatstadt hinwies: "Wo ist die Stadt, wo sind wir? Haben wir einen Grund zum Feiern?" fragte er sein Auditorium, und räumte ein: "Unser Tilsit existiert in der Tat nicht mehr", aber: "Die Stadt, in der unsere Wurzeln sind, das geschichtsträchtige Tilsit, das man in der ganzen Welt kennt, existiert sehr wohl noch."
Der Sprecher der Freundeskreis Ostdeutschland, Erika Steinbach, stellte in seinem Grußwort eben diese historische Dimension in den Mittelpunkt.
Mit dem Frieden von Tilsit 1807 sei die Stadt zunächst auf traurige Weise in den Fokus der Weltgeschichte getreten. Doch hier sei es auch gewesen, von wo der Widerstand gegen Napoleon, die Befreiung Deutschlands ihren Anfang genommen hätten.
Mertineit stellte die Kontinui-tät der Stadtgeschichte über die Katastrophe von Vertreibung und Zerstörung hinweg in der Vordergrund: Eine Stadt sei ein eigenes Lebewesen, sie verändere ihr Gesicht, nicht jedoch ihren Charakter. So präge die Stadt ihre Bewohner, wer sie auch seien und woher sie auch kämen.
Dem pflichtete die russische Stadtpräsidentin Sokolowa bei, indem sie herausstellte, daß Tilsit/Sowjetsk auch für seine russischen Einwohner längst eine Heimat geworden sei. Neben der Freude über die Öffnung der Region und die neu gewonnenen Freiheiten hätten die vergangenen zehn Jahre indes auch viele schwierige Veränderungen mit sich gebracht: "Das Leben war nicht leicht für uns, da standen Sie uns zur Seite!", so die Stadtpräsidentin an die Adresse der vertriebenen Tilsiter.
Kiels Stadtpräsident Heinemann würdigte den Einsatz der Tilsiter in ihrer alten Heimat als beispielhaft für ein friedliches Zusammenleben der Völker. Auch das Kieler Engagement diene diesem Ziel, etwa durch die Unterstützung des Hauses für Straßenkinder.
Ein Symbol für die Wiederbegegnung zweier durch Krieg und Vertreibung entfremdeter Völker ist die "Stadtgemeinschaft Tilsit in Sowjetsk", eine offiziell anerkannte Vereinigung in der Stadt. Die Selbstverständlichkeit des Miteinander markierte auch eine Gesangsgruppe junger Russinnen, die sich "Cantabile Tilsit" nennt und deutsche wie russische Weisen vortrug. Dem schlossen sich nahtlos die "Mädchen" der alten Königin-Luise-Schule an, die im Chor den Saal mit beliebten Volksliedern füllten. |
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