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Ein zweischneidiges Schwert

 
     
 
Beim jüngsten Besuch von Bundesinnenminister Otto Schily in Warschau ging es vor allem um die Abschottung der polnischen Ostgrenze und die dadurch bedingte Verschlechterung der gewachsenen nachbarschaftlichen Beziehungen Polens besonders zur Ukraine. Die Lage an der innerostdeutschen Grenze zwischen Polen und Rußland ist anders. Besondere Kontakte ins Königsberger Gebiet
hatten sich auch nach dem Ende des Kommunismus nicht entwickelt, lediglich eine Invasion von Kleinhändlern ins südliche Ostdeutschland hatte es gegeben. Aber schon 1997 hatte Polen ein verschärftes Ausländergesetz erlassen und stoppte die Lawine damit. Die Züge waren nur noch zu einem Drittel belegt, der Busverkehr der Linie Allenstein – Königsberg ging um zwölf Prozent zurück. Im Gegenzug wurde dadurch natürlich auch der grenzüberschreitende Handel der in Polen ansässigen Kaufleute über Nacht fast unterbunden. Vollends versiegen wird der Händlerstrom, wenn die Russen ab 2001 ein Visum zur Einreise nach Polen brauchen.

Beliebt waren die russischen Händler mit ihren billigen Waren in Ostdeutschland nur bei den Käufern, auch bei vielen Deutschstämmigen, vor allem bei Rentnern und Pensionären mit ihren Mini-Einkommen. Den örtlichen Händlern waren sie immer ein Dorn im Auge. Weil die Russen keinerlei Steuern und Abgaben bezahlen, können sie ihre Preise konkurrenzlos niedrig halten. Das führte jüngst in Lötzen und in Osterode zu einem Aufstand der örtlichen Händler, die von ihren Stadtverwaltungen kategorisch eine Ausweisung der ausländischen Konkurrenz verlangten, da sie ihre Existenz bedroht sehen.

Polen ist zu einer Drehscheibe des Ost-Westverkehrs geworden. Das gilt ganz besonders für den jetzt polnisch verwalteten Teil Ostdeutschlands. 3,5 Millionen Grenzübertritte gab es dort im letzten Jahr an dem 200 Kilometer langen, quer durch Ostdeutschland laufenden einzigen Grenzabschnitt zu Rußland. Gerade diese Grenze besonders abzudichten fordert das Schengener Abkommen als Vorleistung zum EU-Beitritt. Wenn Polen Mitglied ist, fällt an dieser Grenze auch die Entscheidung, wer in die Bundesrepublik darf, denn innerhalb der EU herrscht Freizügigkeit.

Die ersten Fortschritte sind sichtbar. Die Zahl der in Deutschland aufgegriffenen illegalen Einwanderer, die über Polen kamen, ist seit 1997 um 60 Prozent zurückgegangen. Der erfolgreiche Beginn der Grenzabdichtung gegen die illegale Einreise war Voraussetzung, um dem nächsten drängenden Problem zu Leibe zu rücken, dem exorbitanten Schmuggel, der die Schwelle zum organisierten Verbrechen längst überschritten hat. Im Bereich des Allensteiner Bezirks passieren pro Monat 315 000 Personen die Grenze, die meisten immer noch bei Bartenstein.

Mit Beginn des neuen Jahres traten in Polen Gesetzesverschärfungen in Kraft, die es Grenzschutz und Zoll erlauben, Ausländern mit zuviel Alkohol und Zigaretten im Gepäck die Einreise zu verweigern. Über 6000 Personen wurden seitdem abgewiesen. Polnische Bürger, die beim Schmuggeln erwischt werden, drohen nun drakonische Strafen.

Verschärfte Kontrollen brachten allein bei Bartenstein seit Jahresbeginn Funde von gut 70 000 Schachteln Zigaretten und mehr als 1700 Litern Alkohol, was einem Warenwert von 300 000 Zloty entspricht. Das hatte zur Folge, daß sich gerade der organisierte Schmuggel ein neues Mekka suchte: die Bahnverbindung Königsberg – Gdingen, die jetzt außerhalb der Tourismussaison hauptsächlich von Schmugglern benutzt wird. Nutzten noch im Dezember höchstens jeweils dreißig bis vierzig Reisende die Verbindung, waren es im Januar schlagartig zehnmal mehr. Einsatzgruppen von Zoll und Grenzschutz begannen verstärkt zu kontrollieren und förderten immer mehr Konterbande zutage. Selbst bei oberflächlichen Kontrollen waren es immer mehrere hundert Liter Alkohol und viele tausend Schachteln Zigaretten pro Zug, die beschlagnahmt wurden. Natürlich fand sich nie ein Eigentümer, dem die Ware zuzuweisen war. Die Schmuggelwelle drohte die Grenzer zu überrollen. Als Mitte Februar ein Zug an der Grenze bei Braunsberg stundenlang angehalten und kontrolliert worden war, kamen die Waggons vollkommen demoliert am Zielbahnhof Gdingen an. Gegenseitige Schuldzuweisungen zwischen Grenzschutz und Zoll einerseits sowie der polnischen Eisenbahn PKP andererseits ließen die Emotionen aufwallen. Doch die Vernunft siegte, man vereinbarte einen Katalog von Maßnahmen gegen die Schmuggelei.

So wird es künftig auf dieser Strecke keine Erste Wagenklasse mehr geben, und die Wagen der Zweiten Klasse werden an der Grenze getauscht. Die Reisenden müssen dann in Braunsberg den Zug verlassen, durch die Grenzkontrolle gehen und in die bereitgestellten Wagen steigen, die mit weniger Versteckmöglichkeiten ausgestattet sind.

Was es nützt, wird man sehen, denn die professionellen Schmuggler sind bestens organisiert und mit Handys ausgerüstet. Sie werden im Zug von Komplizen gewarnt, wenn diese den Allensteiner Zoll zur Razzia anrücken sehen, so daß die Schmuggler noch reichlich Zeit haben, vor der Kontrolle ihr Waren aus dem Fenster zu werfen und einsammeln zu lassen. Kilometerweit könne man auf den Feldern ganze Warenarsenale finden, erklärte Ryszard Chudy vom Allensteiner Zoll der Zeitung "Gazeta Wyborcza". In jedem Falle würde der Zoll aber seine Kontrollen noch weiter ausdehnen, selbst wenn das zu stundenlangen Verspätungen im Zugverkehr führen würde. So rüstet Polen weiter auf, personell und mit modernster Technik.

Keiner der mehr als 11 000 Grenzer soll mehr im Nebel tappen gegen immer besser ausgerüstete Grenzverletzer. Das Netz der Grenzposten soll noch dichter werden, modernste geländegängige Fahrzeuge, Funkgeräte, Dokumentenlesegeräte mit Anschluß an ein internationales Computernetz zur Fahndung, Infrarotkameras, Nachtsichtgeräte sowie ein ganzes Arsenal modernster Technik für die Schiffe vor allem auf dem Haff werden aus Phare-Mitteln der EU angeschafft. Überdies wird beim Grenzschutz-Kommando in Rastenburg ein ebenfalls mit modernster Fahndungstechnik vollgestopftes Flugzeug stationiert, das ausschließlich die Grenze zum Königsberger Gebiet überwachen soll. Dies berichtete Franciszek Jaronski, der Pressesprecher des Grenzschutzes, kürzlich der "Gazeta Wyborcza".

Der Preis für die Freizügigkeit innerhalb der EU ist die möglichst lückenlose Abschottung der Außengrenzen. Der Teil dieser Grenzen, der durch Ostdeutschland verläuft, wird für lange Zeit überdies eine Wohlstandsgrenze sein. Für alle Ostdeutschland ist das ein zweischneidiges Schwert. Einerseits müssen auch sie daran interessiert sein, die Außengrenzen gut bewacht zu wissen. Auf der anderen Seite zementiert gerade die Abschottung gegen Osten die Grenze quer durch Ostdeutschland, stellt sie quasi unverrückbar in einen europäischen Kontext. BD

 
     
     
 
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