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Bei der Suche nach frühen graphischen Belegen schlesischer Motive macht man immer wieder überraschende Ent- deckungen. Das Interesse dieses Beitrages soll auf das weite Feld der gediegenen Kalender, Almanache und Taschenbücher gelenkt werden, die im 18. und 19. Jahrhundert speziell beim kulturbewußten Bürgertum und Adel weite Verbreitung fanden.
Ansprechend gestaltet, gelegentlich mit üppiger Graphik ausgestattet, sind die zumeist kleinformatigen Bücher von der Forschung lange übersehen oder mit Geringschätzung bedacht worden. Neben den vertrauten mitteldeutschen Druck-orten Leipzig, Weimar , Gotha war es vor allem Berlin, wo zahlreiche Kalender, Almanache und Taschenbücher sich einer im Laufe der Zeit wachsenden Leserschaft erfreuten.
Gedruckte Kalender sind keine Erfindung der Neuzeit. Es gibt sie schon lange, ohne jedoch ein genaues Datum für den ersten deutschsprachigen Kalender nennen zu können. Sie enthielten außer dem üblichen Jahreskalendarium, den Hinweisen auf Fest- beziehungsweise Markttage und Mondfinsternisse häufig auch Bauern- und Wetterregeln sowie Empfehlungen zum Kauf bestimmter Bücher beziehungsweise Landkarten. Das anfänglich manchmal auch vom Aberglauben bestimmte Beiwerk verschwand langsam, aber stetig aus den zunächst dünnen Heften zugunsten von mehr geschichtsorientierten oder genealogischen Beiträgen über die in- und ausländischen Fürstenhäuser. Außerdem nahmen die literarischen Texte in Form von Romanen, Gedichten, Novellen oder sonstigen erbaulichen Beiträgen spürbar zu. Dadurch vergrößerte sich der Umfang eines Kalenders zwangsläufig auf 200 bis 300 Seiten. Illustrationen wurden den Kalendern erst seit Mitte des 18. Jahrhunderts beigegeben. Das Spektrum abbildungswürdiger Sujets ist weit gefaßt. Es enthält Porträts bedeutender Persönlichkeiten, Genredarstellungen, Tierabbildungen, Theaterfiguren, aber auch kleinformatige Stadtansichten sowie mehrfach gefaltete Landkarten bestimmter ost- und mitteldeutscher Kreise. Je nach Ausrichtung oder Gattung des Kalenders vervollständigen Gedichte, historische oder statistische Beiträge mit überaus praktischen Hinweisen unter anderem zur guten Haushaltsführung das bewußt bunt gestreute Angebot. Einige Kalender veröffentlichten darüber hinaus Münztabellen für Wechselgeschäfte oder die damals noch in Deutschland anzutreffenden Maß- und Gewichtsgrößen. Von großem allgemeinem Interesse müssen auch die über viele Seiten aufgeführten Entfernungstabellen und Post Course, die Fahrpreise und Fahrpläne der Reitenden und Fahrenden Post, gewesen sein.
Daß die normalerweise hübsch aufgemachten kleinformatigen Kalender dank ihres weitgefaßten, üppigen Angebots etwa bis zur Hälfte des 19. Jahrhunderts eine hohe Wertschätzung bei ihren Lesern erfuhren, belegen steigende Auflagenhöhen. Ähnlich der heutigen "Regenbogenpresse", jedoch auf wesentlich höherem Niveau, erklärt sich ihr großer Erfolg lapidar dadurch, daß die Kalender kurz und verläßlich über Dinge informierten, die von großem allgemeinem Interesse waren.
Mit Erfindung der Schnellpresse und dem billigeren Holzschliffpapier war es möglich geworden, größere Auflagen schnell zu drucken und mit großzügigerer Aufmachung als bisher den Leser für sich zu gewinnen, so daß speziell Kalender und Almanache das Nachsehen hatten und spürbar an Zustimmung einbüßten.
Fragt man nach dem Initiator, der die Anregung zur Herausgabe derartiger Kalender in Preußen gab, so stößt man auf den genialen Philosophen und Mathematiker Gottfried Wilhelm Leibniz (* 1. Juli 1646 in Leipzig, † 14. November 1716 in Hannover), der Kurfürst Friedrich III. von Brandenburg (später König Friedrich I. in Preußen) veranlaßte, durch ein Patent vom 7. Mai 1700 die Societät der Wissenschaften, die spätere Königliche Akademie der Wissenschaften, zu beauftragen, neue Wege zu finden, um die weitverbreitete Bildungsmisere unter der Bevölkerung mit Hilfe populärer allgemeinbildender Kalender wirkungsvoll zu bekämpfen. Da der brandenburgische Kurfürst die Idee von Leibniz lebhaft begrüßte, war die schnelle Umsetzung des kurfürstlichen Auftrages lediglich Formsache.
Die Königliche Akademie der Wissenschaften, der ab 1701 das Kalendermonopol in der Monarchie übertragen worden war, übertrug Herausgabe und künstlerische Gestaltung des Kalenders dem Hofkupferstecher Johann Georg Wolffgang, der die einzelnen Ausgaben kunstsinnig mit einem zeittypischen dekorativen Rokokoschmuck versah. Zu den bedeutendsten Künstlern, die in Kalendern und Almanachen mit Kupferstichen vertreten waren, zählten ab 1760 die sehr vielseitige und ungemein produktive Kupferstecherfamilie Schleuen, ab 1769 der Danziger Daniel Chodowiecki, der mit Recht behauptete, "die Jahrzehnte zwischen Sturm und Drang und Frühromantik als Epoche der Musenalmanache und Kalender zu bezeichnen". Auch Johann Wilhelm Meil und Meno Haas trugen in späteren Jahren zur künstlerischen Ausgestaltung der verschiedensten Jahrgänge bei, und es ist keineswegs übertrieben zu behaupten, daß ohne deren Kupferstiche und Illustrationen die Kalender vermutlich weniger Interesse gefunden hätten.
Bedauerlicherweise stellten viele Kalender jedoch im frühen 19. Jahrhundert entweder ihr Erscheinen ein oder mündeten in den heute von Sammlern gesuchten "Berliner Kalender" ein, der nur von 1827 bis 1850 erschien, uns aber wegen seiner schlesischen Veduten lebhaft interessiert. Herausgeber war die Königlich Preußische Kalender Deputation. Von dem seit 1701 verfügten Kalender-Monopol erhoffte man sich nennenswerte Einnahmen. Das im Vergleich zum vorher erwähnten Kalender größere Format, 13 mal 10,5 Zentimeter, des "Berliner Kalenders", die gefälligere Ausstattung, aufwendiger Goldschnitt sowie der dekorative Einband führten ihm schnell neue Leserschichten zu.
Das bereits 1701 verfügte Kalender-Monopol brachte der Königlich Preußischen Akademie der Wissenschaften im 18. Jahrhundert erhebliche Einnahmen. Ziel eines solchen Privilegs war es, vor lästiger ausländischer Konkurrenz zu schützen und der Akademie Einnahmen zu verschaffen. So waren beispielsweise alle Berliner Kalender auf dem Titelblatt mit einem runden kostenpflichtigen Stempel, hier Kalenderstempel mit Krone und Adler, versehen, ohne den ein Vertrieb in preußischen Landen nicht möglich war. Die Stempelgebühr wurde über den Herausgeber, Händler an den Käufer weitergegeben, was zu einer etwa 25prozentigen Verteuerung des Produktes führte. Schon damals gab es auch schon laute Klagen und mannigfache Proteste der Buchhändler und Interessenten, ohne daß jedoch von seiten des Staates darauf eingegangen worden wäre.
Ab 1735 gelang es der Akademie, das gewinnversprechende Kalender-Monopol unter erheblichen Auflagen und gegen eine stattliche Summe Geldes zu verpachten. Der Pächter konnte die Auflagenhöhe, die Zahl und Auswahl seiner Mitarbeiter selbst bestimmen, andererseits aber trug er das alleinige unternehmerische Risiko. Vom Kalenderpächter Tobias Köhler weiß man beispielsweise, daß er 1735 150 Thaler Pacht zahlen und circa 250 Freiexemplare an das Königliche Haus, die Minister, die Akademie und sonstige Nutznießer kostenlos abzuliefern hatte. Bei solchen Auflagen ist die Frage durchaus berechtigt, ob die damaligen Pachtverträge trotzdem noch ausreichende Gewinne für den Pächter abwarfen? Daß der Berliner Kalenderpächter Siwicki bereits vor rund 200 Jahren seine Kalender über die Postämter anbot und vertrieb, erinnert eindrucksvoll an die Gewitztheit einzelner Kalenderpächter und an die Vielseitigkeit der preußischen Post. Die Auflagenhöhe bewegte sich einst um 10.000 Exemplare, wuchs 1745 auf 11.000 und 1769 auf erstaunliche 15.000 Exemplare an. Der Kaufpreis für Kalender war unterschiedlich. Je nach Ausstattung, Umfang, Einband und Steuersatz kosteten sie zwischen acht Groschen und eineinhalb Thaler, was damals etwa dem Fünffachen des Tagelohns eines Zimmermanns entsprach. Die nur wenigen Zahlen respektive der Vergleich machen deutlich, daß ein solches Angebot nur von bestimmten Bevölkerungsschichten wahrgenommen werden konnte. Die Herausgabe der Kalender setzte folglich in mehrfacher Hinsicht schnell Grenzen.
Daß man es als Kalenderpächter durchaus zu Ruhm und Ehren bringen konnte, beweist der bedeutende Kartograph und Kriegsrat Carl Ludwig Oesfeld, der 1783 in das Geschäft einstieg und bereits 1786 wegen seiner großen Verdienste um das Kalender- und Landkartenwesen in Preußen geadelt wurde. Der Vertrieb der Berliner Kalender in Schlesien lief vornehmlich über das Breslauer Verlagshaus von W. Korn. Andererseits ist nicht auszuschließen, daß derartige Lektüre oftmals durch Reisende, Kaufleute, Adlige oder Militärpersonen nach Schlesien verbracht wurde. Mit der Einstellung der Beiheftung von Klappkarten in den preußischen Kalen- dern zu Beginn des 19. Jahrhunderts veränderte sich das bisherige Gesamtbild insofern, als man nun verstärkt Porträts, kleinformatige Stadtansichten und Bildbelege zum Leitthema brachte, die zur Auflockerung des mitunter langatmigen Textes dienten. Während der "Historisch - Genealogische Kalender auf das Schalt Jahr 1824" beispielsweise ausschließlich Abbildungen von Schlesiens Hauptstadt beziehungsweise zu seiner Geschichte enthält, zeigt der "Berliner Kalender auf das Schalt Jahr 1836" mit "Das Schloss von Erdmannsdorf zwischen Hirsch- berg und Schmiedeberg in Schlesien, Schloss Fürstenstein in Schlesien" und "Abtey in Buchwald bey Schmiedeberg" ausschließlich Motive im Format von sieben mal zehn Zentimetern, die auf die schlesische Landschaft respektive die zahlreichen Sehenswürdigkeiten hinweisen. Daß einprägsame Bilder die ersten Ansätze aufkommender Reiselust zu den landschaftlich schönen Regionen Schlesiens förderten, bedarf kaum zusätzlicher Erklärungen.
Es verdient hervorgehoben zu werden, daß die sechs Breslauer Veduten mit den Bildunterschriften "Das Nicolai Thor zu Breslau, das Rathhaus zu Breslau, der Parade Platz zu Breslau, die S(anc)t Elisabethkirche zu Breslau, das Universitätsgebäude zu Breslau, der Dom u(nd) die Kreutz Kirche von der Ziegel Bastion zu Breslau" nicht im Ausstellungskatalog von Rupert Schreiner, "Breslau-Ansichten aus sechs Jahrhunderten", herausgegeben von der Ostdeutschen Galerie Regensburg und dem Kulturwerk Schlesien, Berücksichtigung fanden. Das ist um so bedauerlicher, als ihr Radierer, Maximilian von Grossmann, lange Jahre Zeichenlehrer am Breslauer Matthias-Gymnasium war und zwischen 1820 und 1840 zahlreiche bemerkenswerte Umrißradierungen mit Breslauer Motiven "nach der Natur" schuf. Das biedermeierlich anmutende Breslau war sein Sujet. Er kannte sich aus. Motive gab es reichlich. Auch wenn seine Darstellungen überwiegend eine sonntägliche Stimmung und das Lebensgefühl des feinsinnigen Bürgers zeigen, den die Last der Arbeit nicht zu berühren scheint, tragen seine feinnervigen Stadtansichten in vielfacher Hinsicht dazu bei, das gewesene Breslau zu rekonstruieren. In Kupfer wurden die schnörkellosen Zeichnungen von Johann Baptist Hössel gestochen, der ab 1814 in Berlin tätig war.
Gänzlich anderer Provenienz sind die sechs Monatskupfer, die auf den langen Beitrag von Karl Adolf Menzel über die Stadtgeschichte Bezug nehmen. Unter den Bildunterschriften - "Bischof Nanker thut den König von Böhmen in den Bann, der Breslauer Rath weiset die Anträge des Königs von Polen zurück, die Breslauer zerstören das Raubschloß Rochlitz, Johann v(on) Capistrano verbrennt den Breslauern ihre Karten, Brettspiele u(nd) Gegenstände des Luxus, Einzug der päbstlichen Legaten, der päbstliche Legat schlägt nach den (sic!) Bischof Iudocus in Breslau" - vermerkt der Kupferstecher die jeweilige Bezugsseite im Text. Die sämtlich von Ludwig Wolf gezeichneten Vorlagen wurden von W. Jury auf die Kupferplatte übertragen. Auch wenn die sechs Kupferstiche zur Ikonographie der Stadt wenig beitragen, bleiben sie sichtbarer Teil der deutschen Stadtgeschichte.
Da der Adel und das wohlhabende Bürgertum bis zur Vertreibung der Deutschen das vielgerühmte Hirschberger Tal mit den Ausläufern des Riesengebirges als Wohnsitz oder Urlaubsdomizil überaus schätzten, ist es nicht verwunderlich, daß immer wieder dieser Teil Schlesiens den Künstlern mannigfaltige Motive and Anregungen bot. Daher erstaunt es wenig, wenn bereits im frühen 18. Jahrhundert die Schlösser von Erdmannsdorf oder Fürstenstein in Form von solchen oder aufwendigeren Abbildungen weite Verbreitung fanden. Als Künstler aller drei Ansichten wird S. Rösel unter den in Schwarzweiß gehaltenen Kupferstichen genannt. Während der Monatskupfer von Schloß Fürstenstein von dem seit 1807 in Dresden ansässigen Kupferstecher Ludwig Schütze gestochen wurde, ist unter der Ansicht von Schloß Erdmannsdorf J. Willmore in London genannt. Da es unwahrscheinlich ist, daß die Vorlage in London umgearbeitet wurde, ist eher zu vermuten, aber in der Literatur nicht stichhaltig nachzuweisen, daß der Kupferstecher vermutlich aus London stammte.
Mit der rasch steigenden Zunahme und Ausbreitung von Wochen- und Tageszeitungen in Preußen um die Mitte des 19. Jahrhunderts war andererseits ein abnehmendes Interesse an den nur jährlich einmal erscheinenden Kalendern festzustellen. Trotz gelungener Aufmachung und des vielseitig interessierenden Inhalts entzog die fortschreitende Entwicklung in der Medienlandschaft den bis dahin populären Bildungsmultiplikatoren zusehends den Boden. Nach und nach stellten in Berlin erscheinende Kalender, Almanache infolge dramatisch fallender Absatzzahlen ihr Erscheinen ein. Nur der "Gothaische Hof Kalender zum Nutzen und Vergnügen ...", kurz "der Gotha" genannt, über- lebte vermutlich wegen seiner einseitig ausgerichteten genealogischen Betonung bis ins Kriegsjahr 1944.
Die Buntheit und der Facettenreichtum der Beiträge macht deutlich, daß die künstlerische, genealogische, landeskundliche, literarische Erschließung der nationalen "Kalender-Landschaft" noch längst nicht abgeschlossen zu sein scheint. Bei der Suche und bibliographischen Erfassung graphischer Belege von Schlesien ist die Durchsicht aller Kalender, Almanache, Taschenbücher bisher nur in Ansätzen erfolgt, so daß durchaus damit zu rechnen ist, in seltenen derartigen Periodika weitere interessante Entdeckungen zu machen: Es lohnt sich für den heimatbewußten Schlesier, auf Entdeckungsreise zu gehen.
Beliebtes Motiv: Das Rathaus zu Breslau |
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