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Einladung zum Betrug

 
     
 
Das weitverbreitete Unbehagen in der EU hängt teils mit der "ständigen Bevormundung durch Brüssel" zusammen, ganz wesentlich aber auch mit dem Eindruck, daß der EU-Apparat Verschwendung betreibe und daß Mißbräuche bei Subventionen und Förderungen allgemein üblich seien.

Meldungen der letzten Wochen scheinen diesen Eindruck zu bestärken: Vom Europäischen Rechnungshof (ERH) verlautet, daß bei neun geprüften Beihilfen für Olivenöl in Spanien, Italien und Griechenland in allen Fällen "Unregelmäßigkeiten" festgestellt wurden. In Slowenien entdeckte der ERH, daß dort nur halb so viele Rinder existieren, wie von den Bauern angegeben wurden. Und generell sei die Auszahlung von Agrar-Zuschüssen und Strukturbeihilfen "in einem wesentlichen Ausmaß durch Fehler geprägt".

Offenbar gibt es in diesen und allen ähnlichen Fällen zwischen Geldempfängern und lokalen Behörden "Synergien" - höflich ausgedrückt. Dabei schneidet Slowenien mit Platz 28 auf der von "Transparency International
" veröffentlichten Korruptions-Skala noch recht gut ab - nur wenig schlechter als Spanien (24) und viel besser als Italien (45) oder Griechenland (54). Polen (61) liegt sogar hinter der Türkei (60), und Rumänien (84) gleichauf mit Sri Lanka - da wird noch einiges auf die Rechnungsprüfer zukommen.

Daß aufgedeckte Fälle meist mit dem Agrarsektor zu tun haben, heißt nicht, daß Landwirte die größten Gauner sind. Es unterstreicht nur, daß von dem 112-Milliarden-EU-Budget der größte Nutznießer - mit knapp 50 Milliarden - eben der Agrarsektor ist. Leider nicht "die Bauern", denn das Bauernsterben geht weiter. In Ländern wie Ungarn oder Polen braut sich noch mehr zusammen: Viele Bauern wurden zur "Vorbereitung auf die EU" in die Schuldenfalle gelockt und stehen vor dem Ruin. Sehr zur Freude von Kredithaien und Landaufkäufern - Konzerne und neue Feudalherren lieben großflächige Monokulturen.

"Agrarisch" begründet ist auch der "Britenrabatt", den Margaret Thatcher einst mit dem Argument durchdrücken konnte, daß ihr Land wenig Landwirtschaft habe und daher wenig an Subventionen kriegen würde. Konsequent durchgedacht heißt das aber, daß die Brutto-Zahlungen an die EU nach dem bemessen werden, was man davon wieder zurückholen kann. Warum dann überhaupt der Umweg über Brüssel? Warum soll nicht jedes Land selber subventionieren, was es für nützlich erachtet - und damit zugleich das Betrugsrisiko reduzieren?

Geht natürlich nicht, denn das würde der EU-Ideologie widersprechen - und Beamte überflüssig machen. Dazu zwei andere aktuelle Meldungen: Die EU-Kommission klagt Frankreich wegen nicht erfolgter Rückforderung von Beihilfen in Form unerlaubter Steuerbefreiungen für Unternehmen an. Und Brüssel droht Österreich wegen der für die Gewerkschaftsbank "Bawag" übernommenen Bundeshaftung. Nun sind die Franzosen zwar Europameister im verbotenen Protektionismus, doch andererseits sollte sich Europa fragen, ob dieser in manchen Fällen nicht ein kleineres Übel ist als Konkurse, Arbeitslosigkeit und Vermögensverschleuderung an Heuschrecken.

Zurück zur Landwirtschaft: Die Subventionen sichern nicht das bevölkerungspolitisch so wichtige Überleben des heimischen Bauernstandes, sondern erhöhen primär den Profit von Großbetrieben. Man denke an die südspanischen Plastik-Landschaften, in denen illegale Einwanderer für Hungerlöhne Schwarzarbeit verrichten. Und die Subventionen haben Auswirkungen sogar über Europa hinaus: Denn Überschüsse, die man unter den Produktionskosten an Entwicklungsländer verschleudert, ruinieren die dortigen Bauern.

Ein Kapitel für sich ist der Lebendvieh-Export: Die erlaubten Fahrtzeiten werden überschritten - und die deshalb verendenden Tiere werden dank "hilfsbereiter" Beamter am Zielort wieder "lebendig". Die so ergaunerte Summe wird auf einen dreistelligen Millionenbetrag pro Jahr geschätzt. Bei Lebendrinder-Exporten in den Nahen Osten dient sogar die Religion als Vorwand: Für rituelle Schlachtungen schon in Europa gäbe es zwar die nötigen "Fachleute" - aber das würde weniger Exportstützung bringen.

Der erwähnte ERH und das "Amt für Betrugsbekämpfung" (Olaf) bemühen sich zwar redlich, etwas gegen Mißstände zu tun. Doch Experten schätzen die Dunkelziffern auf bis zu 90 Prozent. Da für ERH und Olaf "Hinweise" von Dritten lebenswichtig sind, sollen in Zukunft die ausbezahlten Gelder über das Internet allgemein einsehbar gemacht werden. Wie weit die Offenlegung im Detail gehen wird, ist allerdings noch umstritten. Manche befürchten eine "Neiddiskussion".

Das Kernproblem liegt jedoch im EU-Konstrukt selbst: Wie man schon lokal an Steuerhinterziehung und Sozialbetrug sieht, ist bei anonymen, also quasi eigentümerlosen Geldern die Hemmschwelle zum Mißbrauch am niedrigsten - und Brüssels Gelder sind "noch anonymer". Das erklärte Ziel, die Nationalstaaten auszulöschen, wird selbst die letzten Loyalitäten beseitigen - und zum Ausgleich wird eben der Kontrollapparat immer aufwendiger werden müssen. "Big Brother" läßt grüßen.

 

Transparency International

TI ist eine durch Spenden finanzierte Nicht-Regierungsorganisation. TI untersucht nicht einzelne Korruptionsvorwürfe, sondern erstellt Studien zum Thema Korruption. Veröffentlicht wird ein Korruptions-Index, der auf Studien Dritter und auf Befragungen beruht. Er ist somit nicht Statistik, sondern reflektiert den Eindruck, den die Ländern machen. Im Ländervergleich 2006 hält Finnland den Spitzenplatz, Österreich liegt auf Rang 11, Deutschland auf Rang 16, Schlußlicht ist Haiti.

 

Olaf, das Amt für Betrugsbekämpfung

Das "Europäische Amt für Betrugsbekämpfung", Olaf, wurde 1999 gegründet. Auslöser dafür war die Korruptions-Affäre um Edith Cresson, die als langjährige Vertraute von François Mitterand galt und von 1995 bis 1999 Kommissions-Mitglied war.

Olaf ist eine der EU-Kommission angegliederte Generaldirektion, die seit März 2000 vom deutschen Staatsanwalt Franz-Hermann Brüner geleitet wird. Olaf ist zuständig für Ermittlungen bei allen Verstößen, durch welche die EU finanziell geschädigt wird, also bei Korruption und Betrug in den EU-Institutionen, bei Subventionsmißbrauch und bei Betrug im Zollbereich.

Olaf kann selbst keine Strafen oder Sanktionen verhängen, sondern reicht Ermittlungsergebnisse an die betreffenden Mitgliedsländer weiter. Laut Jahresbericht 2005 wurde die EU durch Betrug oder andere Unregelmäßigkeiten um 1,93 Milliarden Euro geschädigt.

 

Europäischer Rechnungshof

Der 1975 gegründete und mit erweiterten Kompetenzen ausgestattete ERH bezeichnet sich selbst als das "finanzielle Gewissen" der EU. Er ist ein unabhängiges Kontrollorgan, in das jedes EU-Land je ein Mitglied entsendet. Der ERH ist für die Überprüfung der Ausgaben und Einnahmen aller Europäischen Institutionen zuständig und strebt ein besseres Finanzmanagement der EU-Mittel an. In seiner Tätigkeit stützt er sich auf rund 750 eigene Mitarbeiter und fallweise auch auf Olaf.
 
     
     
 
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