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Es ist mein Land das ihr wollt

 
     
 
Es ist mein Land, das ihr wollt!" lauteten die bitteren Worte von "Ohm" Paul Krüger. "Nonsense", antwortete der britische Premier Lord Salisbury dem Präsidenten der in Transvaal entstandenen Südafrikanischen Republik und fuhr fort: "Wir wollen lediglich britischen Bürgern helfen. Wir wollen kein Gold, wir wollen kein Territorium."

Doch genau darum ging es vor hundert Jahren der maritimen Welt- und Kolonialmacht
Großbritannien in diesem Teil des südlichen Afrikas. Nachdem die Annexion Transvaals im Jahre 1877 durch den unerwartet erfolgreichen Burenaufstand von 1881 letztlich gescheitert war, zeichnete sich bis 1899 eine neue geopolitische Realität ab, die den Briten auf Dauer nicht hinnehmbar erschien: die Existenz einer deutschfreundlichen Burenrepublik. Man sah die strategisch wichtige Kaproute bedroht und zugleich durch die dortigen Bodenschätze den Einfluß des europäischen Rivalen gefährlich wachsen. Transvaal hatte somit einen globalstrategischen Wert erlangt, der selbst einen militärischen Eingriff zu rechtfertigen schien.

Für die fadenscheinige moralische Rechtfertigung sorgten die britischen Einwanderer, die sogenannten "Uitlanders". Diese hatten sich vor allem rund um die Gold- und Diamantenfelder niedergelassen und waren durch ihr Heimatland ermutigt worden, politische Rechte einzufordern. Unter den Buren stieß dies auf breiten Widerstand, hatte man sich doch auf Suche nach Selbstbestimmung erst ein halbes Jahrhundert zuvor durch den "Großen Treck" dem britischen Joch entzogen.

Dreizehn Republiken waren zu unterschiedlichen Zeitpunkten ausgerufen worden, elf davon scheiterten. Die nördlicher gelegene Zuid Afrikaanse Republiek und die Republik Oranje Vrystaat waren die einzigen, die sich halten konnten. Nun schien aus Sicht der dort lebenden Buren alles Erreichte erneut auf dem Spiel zu stehen. Eine großzügige Aufnahmepolitik und kurzsichtige wirtschaftliche Überlegungen hatten eine immer dreister werdende britische Dia-spora enstehen lassen.

Schon im Januar 1896 war ein – inoffiziell aus der benachbarten Natalkolonie unterstützter – Putsch der britischen Loyalisten (der sogenannte "Jameson Raid") außerhalb von Johannesburg blutig niedergeschlagen worden. Dieser Umsturzversuch durch die Fünfte Kolonne des Empire sei der eigentliche Auftakt des im Oktober 1899 begonnenen Burenkrieges gewesen, betonte der legendäre Burengeneral und spätere südafrikanische Präsident Jan Smuts in seinen Kriegsmemoiren. Im Gegensatz zu den zugewanderten Briten schlugen sich die holländischen und deutschen Ausländer in den Minengebieten 1899 sofort auf die Seite der burischen "Vettern". Sie bildeten eigene Einheiten und führten in Natal die ersten Schläge gegen die britische Übermacht.

Vorausgegangen waren der Abbruch der Verhandlungen und ein vierwöchiges Ultimatum Krügers, das die Einstellung britischer Truppenaufmärsche in Natal und in der Kapprovinz forderte. Mit dem intern umstrittenen Ultimatum gaben die Buren den Überraschungsmoment preis. Präsident Steyn aus dem verbündeten Oranje-Freistaat und die verzweifelt auf eine friedliche Regelung hoffende Krüger-Regierung hatten sich gegen den jungen General Smuts und dessen "Blitzkrieg"-Strategie durchgesetzt.

Smuts Pläne, schon im September die bis dahin immer noch relativ schwachen Kräfte der Briten entscheidend zu schlagen und die strategisch bedeutsamen Häfen des Subkontinentes im Handstreich zu erobern, wurden auf eine "kleine Lösung" reduziert. Nur die Hafenstadt Durban blieb als militärisches Ziel im Visier. Taktisch offensiv und strategisch defensiv wollten die Buren den Gegner zum Einlenken bewegen.

Die Briten hatten ihre Streitkräfte in Natal dank der Verzögerung auf 10 000 Mann verdreifachen können und rechneten mit der siegreichen Beendigung des sich anbahnenden Krieges noch vor Weihnachten. Um so überraschender waren die beachtlichen Anfangserfolge der irregulären Burenreiter. Nach den ersten Rückschlägen im Norden Natals entgingen die Briten einer vollständigen Niederlage nur durch den calvinistischen Fatalismus des burischen Befehlshabers General Joubert. Der reagierte auf das Drängen seiner Offiziere, die sich zurückziehenden Truppen sofort zu verfolgen, mit den Worten: "Wenn der Herr dir den kleinen Finger gibt, dann nimmt man nicht die ganze Hand."

Anstelle einer möglichen militärischen Entscheidung wurde ein Tag des Dankgebetes befohlen. Manches spricht dafür, daß damit die erste und letzte Chance der Buren auf einen Sieg über die überlegene Weltmacht verschenkt worden war. Zumindest unter den anfangs optimistischen jungen Generälen wie De Wet und Smuts machte man sich danach über die langfristigen Chancen für ein Patt keine Illusionen. Entscheidend war nämlich, daß die Briten Südafrika nicht von der See zurückerobern mußten und die wichtigen Hafenstädte in ihren Händen blieben, über die bis 1902 fast eine halbe Million Soldaten und riesige Mengen an Kriegsmaterial ins Landesinnere gelangten.

Das fehlende strategische Konzept der allzu starren burischen Kriegsführung machte sich schnell bemerkbar. Die Briten verstärkten ihre Truppen massiv und dämmten mit einigem Erfolg die antibritischen Regungen im eigenen Hinterland ein. Nur ein Teil der Buren in Natal und der Kapkolonie beteiligte sich fortan an dem Aufstand gegen die ungeliebten Kolonialherren. Die meisten erachteten den Sieg der Briten als sicher, so daß insgesamt nur 13 300 von ihnen für die Sache der Burenrepubliken kämpften. Hinzu kamen außerdem 2100 freiwillige Iren, Norweger, Schweden, Franzosen, Deutsche und Holländer. Diese "Rebellen" genossen nicht den Kriegsgegnerstatus der Streitkräfte aus den Burenrepubliken. Ihnen drohte bestenfalls eine verschärfte Gefangenschaft auf Ceylon oder St. Helena und schlimmstenfalls die Erschießung.

Trotz des eindeutigen Kräfteverhältnisses war der Feldzug gegen die 87 000 burischen Bauern für die Briten auch weiterhin kein leichtes Unterfangen. Es bedurfte der größten Truppenkonzentration der britischen Geschichte, um der Lage Herr zu werden. Allein die Verlegung von 450 000 Mann und deren Gerät war für die Mächtigen in London ein logistischer Alptraum. Die hohe Beweglichkeit der berittenen Buren und deren ausgezeichnete Bewaffnung mit Mausergewehren bereitete den Briten nicht nur eine Reihe von Niederlagen, sondern sorgte auch für außerordentlich empfindliche Verluste. Die Garnisonen in den Städten Kimberley, Ladysmith und Mafeking standen bis Anfang 1900 unter der Belagerung der Buren.

Die offizielle Meinung in England war von der moralischen Rechtmäßigkeit des Krieges alles andere als überzeugt. Anfang 1900 suchten die Briten daher nach einer schnellen und entscheidenden Veränderung auf dem Schlachtfeld. Sie eroberten die Hauptstädte der Burenrepubliken und zwangen Paul Krüger ins Exil nach Europa, wo er sich Unterstützung erhoffte. Die Buren ersetzten ihrerseits die militärische Führung, nachdem der Oberbefehlshaber Joubert an einer Krankheit gestorben und General Cronje mit 4000 Mann in Gefangenschaft geraten war. Ihre Strategie konzentrierte sich nun ganz auf den Guerillakampf. Die Briten sahen sich erneut mit einem schwierigen Krieg konfrontiert, der nach Ansicht der Politiker durch den Fall der Hauptstädte eigentlich schon beendet schien.

Großbritannien suchte nach neuen Methoden, die "unsichtbaren" Reiter wirksam zu bekämpfen. Die Errichtung von rund 8000 kleinen Forts, den sogenannten "Blockhäusern", und Tausende Kilometer Stacheldraht hatten deren Schlagkraft kaum beeinträchtigt. Die Buren sickerten nach Belieben weit ins eigene Hinterland ein und führten einen schleppenden Guerillakrieg, bei dem sie genauso plötzlich wieder verschwanden, wie sie erschienen waren. Der Oberbefehlshaber und Kolonialkriegsveteran Lord Kitchener entschloß sich deshalb dazu, seinem verbissen kämpfenden Gegner die Voraussetzungen für den fortgesetzten Widerstand zu nehmen. Er erkannte die logistische Abhängigkeit der burischen Kämpfer von ihren Farmen. Dort befanden sich die Nahrungsquellen für Menschen und Pferde, und dort gab es den Nachwuchs für die "Kommandos" sowie Schmieden für die Waffen. Indem Kitchener die Bauernhöfe der Buren niederbrennen und das Vieh abschlachten ließ, konnte er den Nachschub der ansonsten schwer aufspürbaren Guerilla-Einheiten fast gänzlich unterbinden.

32 000 Farmen gingen in Flammen auf, und Millionen von Rindern und Schafen wurden durch die Strategie der "Verbrannten Erde" vernichtet. Die Frauen und Kinder wurden zu Fuß oder in Kohlenwagen in Konzentrationslager verschleppt, denn der Feind sollte nicht nur ausgehungert, sondern auch demoralisiert werden. Auf Hungerration gehalten, wurden besonders die Kinder in den Lagern durch Seuchen massenweise dahingerafft. 6000 burische Frauen und 22 000 Kinder starben ebenso in den Lagern wie mindestens 14 000 schwarze Sympathisanten. Neue Studien beziffern die letztgenannte Zahl sogar auf etwa 30 000.

Ohne Ersatzpferde, mit schwindender Verpflegung und in Sorge um die eingesperrten Familien ergaben sich immer mehr Buren. Um ihre Angehörigen und ihr Hab und Gut zu retten, wechselten bis Kriegsende sogar über 5000 von ihnen die Seite. Lord Kitcheners Strategie hatte Erfolg.

Nach riesigen Gebietsverlusten – darunter die beiden Hauptstädte Bloemfontein und Pretoria – und angesichts des Massensterbens stimmten die Abgeordneten der Burenrepubliken am 31. Mai 1902 der Kapitulation zu. Für Großbritannien war dieser Sieg teuer erkauft worden – so teuer wie kein anderer Konflikt seit dem Ende der Napoleonischen Kriege. Insgesamt 365 693 Briten und 82 742 Kolonialtruppen befanden sich in Südafrika im Einsatz. Zweihundert Millionen Pfund mußten aufgebracht und 22 000 Soldaten sowie 400 346 Pferde bzw. Mulis in den endlosen Weiten des Landes begraben werden.

Nach Beendigung der Kämpfe kam es zu einem Exodus vieler Buren nach Argentinien und in andere Länder. Vor allem verließen jene ihre Heimat, die zu viele ihrer Verwandten in den Konzentrationslagern verloren hatten, um jemals in Frieden mit dem Kolonialherrn leben und die Schikanen der "Anglisierungsprogramme" ertragen zu können. Paul Krüger starb als gebrochener Mann 1904 im Schweizer Exil.

1998 wurde die britische Regierung um eine offizielle Entschuldigung für das brutale Vorgehen gegen Zivilisten während des Burenkrieges ersucht. Die Bitte wurde abgelehnt.

 
     
     
 
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