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Flucht ins globale Dorf

 
     
 
Kein offizielles Institut der Bundesrepublik Deutschland könnte einen bekannteren, gewichtigeren, berühmteren Namen tragen als das "Goethe-Institut", das seit seiner Gründung im Jahre 1951 ein kulturpolitisches Instrument der Kulturabteilung des Auswärtigen Amtes war und seit 1976 den Status eines unabhängigen Kulturinstituts in vertraglich geregelter Bindung an das Auswärtige Amt
hat.

Letzteres bedeutet, daß das "Goethe-Institut" nach wie vor aus dem Etat des Außenministers finanziert wird, ansonsten jedoch so ziemlich tun und lassen kann, was es will, also was seine Statuten an Auftragsrichtung und Programmzielen hergeben. In der offiziellen Sprache des Instituts lesen diese sich so: "Wir fördern die Kenntnis der deutschen Sprache im Ausland und pflegen die internationale kulturelle Zusammenarbeit. Darüber hinaus vermitteln wir ein umfassendes Deutschlandbild durch Informationen über das kulturelle, gesellschaftliche und politische Leben."

Die konkrete Arbeit, die sich daraus ergibt, wird zur Zeit weltweit in 128 Instituten im Ausland und 13 Dependencen im Inland geleistet. An der Spitze des "Goethe-Instituts" steht seit längerem die Juristin und ehemalige Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts Jutta Limbach (SPD). Daß sich die kaderpolitische Auswahl im Leitungsbereich der Zentrale wie der einzelnen Institute überwiegend und seit langem vom Personaltableau des sozialliberalen Mainstreams bedient - 1970 formulierte der Soziologe Ralf Dahrendorf in offiziellem Auftrag "Leitsätze für die auswärtige Kulturpolitik" -, in der Fischer-Ära angereichert um gut zu versorgende und zahm gewordene Alt-68er-Kulturkämpfer, versteht sich naturgemäß von selbst.

Die bundesrepublikanische Linke hat, im Unterschied zu den Konservativen des Landes, immer einen ebenso aggressiven wie hegemonialen Kulturbegriff operativer Natur gehabt und praktiziert. Da viele von ihnen mit einem geradezu metaphysisch verankerten antideutschen Ressentiment ausgestattet sind, hat man mit ihnen in nicht wenigen Fällen Böcke zu Gärtnern gemacht: So sagte der Leiter des Krakauer "Goethe-Instituts" einmal in schöner oder besser: zynischer Offenheit zu einem Schriftsteller-Stipendiaten aus Deutschland, daß er für deutsche Kultur eigentlich nichts übrig habe.

Logisch auch, daß entspannungskritische Schriftsteller und Journalisten in den 80er Jahren nur ungern gesehene Gäste des "Goethe-Instituts" waren und kaum eingesetzt wurden. Für dezidiert konservative Autoren und Intellektuelle, die dem rot-grünen Gesellschaftsprojekt kritisch gegenüberstanden, hat sich das bis heute nicht geändert.

Eine diesbezügliche programmatische Binnenpluralität ist daher beim "Goethe-Institut" nur spurenelementhaft auszumachen. Daran wird auch eine große Koalition unter einer CDU-Kanzlerin nichts ändern: Zum einen liegt der ministerielle Zugriff bei der SPD, zum anderen ist CDU-Kulturpolitik seit langem nicht viel mehr als ein forcierter Anpassungsprozeß an "moderne" global-multikulturell ausgerichtete Nivellierungsprozesse, wie sie sich gesellschaftsstrukturell und politikphraseologisch eingeschliffen haben. Seit einigen Tagen nun sind Institut und Präsidentin jedoch ein weiteres Mal ins Gerede gekommen, vor allem ins feuilletonistische. Denn ein weiteres Mal basteln sie und ihre Finanz- wie Programmstrategen innerhalb des Hauses angesichts erneut knapper werdender Finanzen an "perspektivreichen Auswegen" aus der Misere. Die paradoxe Formel kann in ihrem dramatischen Gehalt am besten an konkreten Zahlen verdeutlicht werden: Gab es für die weltweite Arbeit im Jahre 2001 noch gut 123 Millionen Euro, so stehen in diesem Jahr nur knapp 107 Millionen Euro zur Verfügung. Deutschlands seit Jahrzehnten wuchernde Finanzmisere - das Werk einer parteienübergreifenden politischen Funktionselite, die ideologiebesoffen oder klientelhörig in der Vergangenheit Milliarden und Abermilliarden in unüberbietbarer Verantwortungslosigkeit zum Fenster hinausgeschleudert hat -, diese immer deutlicher werdende Strukturkatastrophe deutscher Politik macht natürlich auch nicht Halt vor einem Institut, dessen Arbeit zu Beginn der 70er Jahre immerhin noch der Rang einer "dritten Säule" der deutschen Außenpolitik zuerkannt wurde.

Die ständig steigenden Mittelkürzungen haben aber mitnichten die Führung des Instituts dazu veranlaßt, laut und deutlich in Protest zu gehen oder gar mit Rücktritt zu drohen. Vielmehr haben sie jene deutsche Politikeigenschaft inspiriert, der es auf Verwaltungsebene noch immer gelungen ist, aus der jeweiligen Not eine effektive Untugend werden zu lassen, die im primär ideologisch begründeten Eliminieren besteht. Auslöser für den öffentlichen Aufschrei waren die institutseigenen Überlegungen, aufgrund der Kündigung des Mietverhältnisses des "Goethe-Instituts" in Kopenhagen gleich das ganze Institut wegzusanieren. Natürlich wurde diese geplante Operation in den hausinternen und zu Papier gebrachten Überlegungen (in der Münchner Zentrale denkt man an die Schließung von 40 bis 60 Auslandsdependencen) sogleich ideologisch überhöht und als Konsequenz einer Entwicklung dargestellt, die "Goethe-Institute" in Europa, also im bisherigen und von der europäischen Geschichte her auch mehr als gerechtfertigten Kernzielgebiet des Auftrags, in Prinzip und Tendenz überflüssig machten. Mit den Worten Jutta Limbachs: "Seit dem Fall des Eisernen Vorhangs ist uns klar, daß wir nicht mehr 42 Prozent unseres Budgets nach Westeuropa geben können, sondern daß wir auch darüber nachdenken müssen: Was machen wir mit dem Nahen Osten? Was machen wir in Indien und Asien, und da müssen Umschichtungen des Budgets notwendigerweise stattfinden."

Was hier deutlich wird, ist zweierlei: Zum einen die stillschweigende Übernahme eines außenpolitischen Wirkungskonzeptes, das sich an der globalen Präsenz deutscher Militäreinheiten zur "Konfliktlösung" orientiert und der genuine Politikbeitrag der rot-grünen Bundesregierung war, deren Mitglieder früher nicht hysterisch genug in Pazifismus machen konnten, mit ihrem Machtantritt aber "Deutschland am

Hindukusch" zu verteidigen begannen oder demnächst Bundeswehrregimenter in den Kongo schicken.

Zum anderen hätte Deutschland, wenn das Kriterium wirklich der Fall des "Eisernen Vorhangs" wäre, wie Jutta Limbach sagt, alle Hände voll zu tun vor allem in Europa. Genauer: in Osteuropa! Denn dort gibt es ein elementares, historisch tief tradiertes Bedürfnis nach einem Austausch mit deutscher Kultur in ihrer ganzen Bandbreite. Das hätte auch deshalb seinen besonderen Sinn, weil Deutschland schon immer eine traditionelle Brückenfunktion zwischen dem Westen und Osten Europas innehatte und hier substantielle Mittlerdienste im Rahmen europäischer Einigungspolitik leisten könnte wie kein anderer. Von den darin liegenden ökonomischen Potenzen und Vorteilen ganz zu schweigen. Doch in geopolitischen Kategorien und Konzepten dieser Art vermag das vom westdeutschen Sonderbewußtsein geprägte Establishment der Spät-68er-Republik mitnichten zu denken. Es denkt noch immer zuerst und zuletzt in seinen internationalistischen, nun universalistisch aufdrapierten Fortschrittsideologemen. In der Sprache eines "Zehn Thesen"-Papiers "zur Rolle des Goethe-Instituts" aus der Zentrale in München klingt das so: "Im zusammenwachsenden Europa wird Kultur zunehmend transnational definiert, wie auch die Öffnung der deutschen Kultur seit der Nachkriegszeit gezeigt hat. Internationaler Kulturaustausch bedeutet zukünftig weniger nationale Repräsentanz als die Vermittlung in sich vielstimmiger, oft multikultureller Szenen ... Das Goethe-Institut ist eine europäische Kulturinstitution." Abgesehen davon, daß man Frau Limbach mit dieser These ja nach Brüssel schicken könnte, um dort das fehlende Geld zu holen - hätte man in München zuvor nicht bei Franzosen, Briten, Dänen, Norwegern, Polen, Tschechen und Russen nachfragen sollen, ob die ebenfalls so eisern an eine "transnationale" Definition von Kultur im zusammenwachsenden Europa glauben? Oder ob ihnen diese deutsche Tonlage nur fürchterlich bekannt vorkommt?
 
     
     
 
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