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Ende September wurde in Brüssel ein neues Rechtsgutachten zu den Benesch-Dekreten bekannt, das in Tschechien unverhohlene Freude auslöste. Das von einer Juristengruppe um den früheren Direktor des Heidelberger Max-Planck-Instituts für Öffentliches Recht, Dr. Jochen Frowein, für das Europaparlament verfaßte Gutachten kommt zu dem Schluß, daß die als Benesch-Dekrete bezeichneten Vertreibungs- und Enteignungsbestimmungen zum Schaden der sudetendeutschen und ungarischen Bürger eine EU-Mitgliedschaft der Tschechischen Republik nicht behindern. Aus diesem Grunde müssen sie, wie es heißt, auch nicht aufgehoben werden.
Die juristische Kernthese lautet, daß die Beitrittsbedingungen für die Union rein gegenwartsbezogen seien und die Vergangenheit ausklammerten. Lediglich ein Gesetz von 1946 wird als weiterhin in Kraft befindlich ausgemacht. Es handelt sich um eine Bestimmung, wonach "Vergeltungsmaßnahmen für während der deutschen Besetzung erlittenes Unrecht" nicht strafrechtlich verfolgt werden.
Eine Rücknahme sei aber auch hier nicht zwingend erforderlich, so Frowein, da selbst die Bundesrepublik Deutschland als am meisten betroffener Staat nicht darauf bestanden habe, als im Jahre 1997 die Deutsch-Tschechische Erklärung verhandelt wurde.
Allen Jubelrufen aus Prag zum Trotz dürfte mit dem juristisch und erst recht moralisch äußerst zweifelhaften Gutachten das letzte Wort hinsichtlich einer Verknüpfung der Benesch-Dekrete mit dem tschechischen EU-Beitritt noch längst nicht gesprochen sein. Allerdings ist mit dem zu erwartenden Wahldebakel der österreichischen FPÖ beim Urnengang am 24. November, dem Scheitern von Kanzlerkandidat Stoiber und dem jüngsten Regierungswechsel in Ungarn die Front der Befürworter einer umfassenden Aufarbeitung deutlich geschwächt.
Während die Ausführungen Froweins große Resonanz in den Massenmedien fanden, blieb ein anderes, etwa zeitglich veröffentlichtes Rechtsgutachten weithin unbeachtet. Sein Verfasser ist der bekannte Inhaber des Lehrstuhls für Völkerrecht an der Universität Würzburg, Prof. Dr. Dieter Blumenwitz. Thema sind die Verbrechen an den Deutschen in Jugoslawien zwischen 1944 und 1948.
Blumenwitz weist nach, daß an den im kommunistischen Jugoslawien beheimateten Donauschwaben, Untersteirern und Gottscheern ein Völkermord verübt wurde. Dieser Tatbestand ergibt sich aus den Kriterien der am 9. Dezember 1948 veröffentlichten UNO-Konvention über die "Verhütung und Bestrafung des Völkermords, im Zuge von Mordaktionen, der kollektiven Enteignung und Lagerinternierung". Das juristisch wie geschichtlich fundierte Gutachten soll nach dem Willen des Herausgebers Donauschwäbische Kulturstiftung die besonders schlimmen Verbrechen an den Jugoslawien-Deutschen auch unter völkerrechtlichen Aspekten in die politische Diskussion bringen und eine Neubewertung herbeiführen.
Vor allem aber ist der Text als Argumentationshilfe gedacht. Er soll klarmachen, daß der im heutigen Serbien, Kroatien und Slowenien formell noch immer bestehende Beschluß des "Antifaschistischen Rates der Volksbefreiung Jugoslawiens" (AVNOJ) vom 21. November 1944 samt der auf ihm basierenden Enteignungs- und Entrechtungsgesetze aufgehoben werden muß. Martin Schmidt
Das 64seitige gebundene Blumenwitz-Gutachten (einschl. farbiger Karten) kann zum Preis von 5,- Euro im Buchhandel (ISBN 3-926276-48-7) oder über die Donauschwäbische Kulturstiftung, Max-Hildebrandt-Str. 9, 76571 Gaggenau bestellt werde |
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