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War Helmut Kohl wirklich der "Kanzler der Einheit", als der er so gern in den Geschichtsbüchern künftiger Generationen verewigt bleiben möchte? Folgt man dem jüngsten Enthüllungsbuch des Journalisten Ferdinand Kroh ("Wendemanöver. Die geheimen Wege zur Wiedervereinigung. Das Ende der Kohl-Legende", Carl Hanser Verlag, München und Wien 2005, 343 Seiten, 19,90 Euro), dann sollte man in der Bewertung des Altkanzlers ebenfalls ein Wendemanöver vollziehen. Demnach sollen nämlich die amerikanischen und sowjetischen Geheimdienste seit Mitte der 80er Jahre "an der Wende gebastelt" haben, Kohl hingegen habe sich bis zuletzt jedem Gedanken an eine deutsche Wiedervereinigung verschlossen.
Rezensenten von "Zeit" und "FAZ" haben Krohs Thesen als "haltlos", "mehr als dürftig" und "apokryphe Verschwörungstheorien" verrissen. Einiges wirkt in der Tat auch nicht sonderlich überzeugend. Bestätigung findet der Buchautor jedoch durch Prof. Bernhard Friedmann, in der fraglichen Zeit Vorsitzender des Bewilligungsausschusses für Verteidigungsausgaben im Deutschen Bundestag und später Präsident des Europäischen Rechnungshofes, also gewiß gut informiert.
In einem Interview mit Joachim Schäfer ("DS-Magazin" / Bund der Selbständigen) wirft er Kohl vor, noch 1988/89 eine Einbeziehung der Wiedervereinigungsfrage in die Abrüstungsverhandlungen strikt abgelehnt zu haben. Mit derartigen Forderungen, so habe der Kanzler ihm damals vorgehalten, wolle man nur "den Ostblock destabilisieren" - woran ihm offenbar nichts gelegen war. Selbst nach dem Fall der Mauer habe Kohl noch eine Zeit lang eine Konföderation zweier gleichberechtigter deutscher Staaten einer Vereinigung vorgezogen.
Ähnliche Erfahrungen machten auch konservative Abgeordnete wie Wilfried Böhmer: Er wurde damals vom nachmaligen "Kanzler der Einheit" barsch beschieden, die deutsche Einheit stehe nicht "auf der Tagesordnung der Weltpolitik"; sein Einwand, "Herr Bundeskanzler, dann stellen Sie sie auf die Tagesordnung!" wurde von keinem der Beteiligten als Beginn einer langanhaltenden Freundschaft empfunden.
An dieser Stelle muß ich auch ein Stück persönlicher Erinnerung zum besten geben. In jener geschichtsträchtigen Phase zwischen Mauerfall und Kohls legendärer Dresdner Rede bereitete ich für das "Deutschland-Magazin" ein Kanzler-Interview vor. Unter den vorab übermittelten Fragen war auch die, ob Kohl sich vorstellen könne, selber noch als Kanzlerkandidat bei einer gesamtdeutschen Bundestagswahl anzutreten. Das Kanzleramt ließ mich wissen: Wenn ich nicht diese "völlig blödsinnige" Frage zurückziehe, werde der Kanzler das ganze Interview platzen lassen. Genau ein Jahr später, am 2. Dezember 1990, war Kohl erfolgreicher Kanzlerkandidat der ersten gesamtdeutschen Bundestagswahl - bis heute frage ich mich, ob ich dies nun für "völlig blödsinnig" halten soll ...
Für keineswegs "blödsinnig", sondern durchaus glaubwürdig halte ich die Hinweise Friedmanns, der damalige KPdSU-Generalsekretär Michail Gorbatschow habe Kohl bereits 1987 und 1988 Wiedervereinigungsangebote unterbreitet. Ich erinnere mich an ein Gespräch mit Bundesminister Hans "Johnny" Klein Anfang 1988, der mich geradezu suggestiv animierte, doch mal eine fiktive Geschichte zu schreiben - Arbeitstitel "Was wäre, wenn Moskau die Wiedervereinigung anbieten würde ..." Später bestätigte mir Klein, es habe schon damals sehr konkrete Hinweise darauf gegeben, daß in der Sowjetführung in die deutsche Frage "Bewegung gekommen" sei.
Bewegung ist offenbar auch in die Bemühungen um die Garnisonkirche in Potsdam gekommen. Die "Märkische Allgemeine", die dies meldet, beruft sich auf Äußerungen von Bischof Wolfgang Huber am Rande eines Vortrags bei der Preußischen Gesellschaft Berlin-Brandenburg: Über die Gründung einer Stiftung für den Wiederaufbau unter Beteiligung des Landes Brandenburg gebe es "grundsätzliches Einvernehmen". Der EKD-Ratsvorsitzende hat gemeinsam mit Ministerpräsident Platzeck und Innenminister Schönbohm die Schirmherrschaft für das Projekt übernommen.
In seinem Vortrag zum Thema "Säkularisierung und Zukunft des Glaubens" kennzeichnete der evangelische Bischof Deutschland als "religiös gemäßgte Zone"; der Glaube habe sich in unserem Lande "verdünnt". Dabei nahm er auch die eigene Kirche nicht von Kritik aus: In ihr habe es "eine Tendenz gegeben, der säkularisierten Gesellschaft zu folgen". Er sei aber zuversichtlich, daß die "Entchristlichung" der Gesellschaft nicht unumkehrbar und unabänderlich sei. "Wir wachen auf", schloß er hoffnungsvoll aus der "immer dichter werdenden Folge von Diskussionen um entscheidende Fragen des Lebens wie Familie, Kinder und Generationen".
Rechtzeitig zur Fußball-Weltmeisterschaft in Deutschland bringt der "Studienkreis", eine seit 30 Jahren bundesweit erfolgreich agierende Nachhilfeschule (Verlagsgruppe Cornelsen), eine fünfsprachige Broschüre mit dem titel "Sprich Fußball" heraus. Was der Fan so braucht, um sich mit anderen, mal mehr und mal weniger befreundeten Fans zu verständigen, wird vom Deutschen ins Englische, Französische, Spanische und Italienische übersetzt. Das reicht von so elementaren Mitteilungen wie "In der Halbzeit holen wir uns Cola und Bratwurst" bis zu der Erkenntnis "Das war doch kein Abseits!" Sepp Herbergers philosophischer Lehrsatz "Der Ball ist rund" wird allerdings nur ins Englische übertragen ("The ball is round"), während
Jean Paul Sartres Weisheiten ("Lors d'une partie de football, tout se complique en fait par la présence de l'équipe adverse", "Bei einem Fußballspiel verkompliziert sich allerdings alles durch die Anwesenheit der gegnerischen Mannschaft") deutsch-französischer Fan-Freundschaft exklusiv vorbehalten bleibt. Ein weiteres Manko dieses ansonsten höchst verdienstvollen Werkes: Speziell für deutsche Sportjournalisten hätte man auch die Rückübersetzung vom Englischen ins Deutsche aufnehmen sollen - vielleicht bliebe uns dann einiges an Anglizismen erspart.
Unser Medienrückblick endet diesmal mit einem Blick ganz weit zurück: Vor 20 Jahren hatte der Ende 2002 verstorbene Gerhard Löwenthal seine politischen Lebenserinnerungen ("Ich bin geblieben") veröffentlicht. Der engagierte Journalist, langjähriger Moderator des ZDF-Magazins und in den letzten Jahren auch Autor, wollte mit diesem Titel darauf anspielen, daß er, der Sohn eines jüdischen Fabrikanten, einerseits in den langen Jahren des Krieges und der Verfolgung - erst in der Vaterstadt Berlin, zum Ende hin dann im KZ Sachsenhausen - am Leben und auch danach in Deutschland geblieben ist. Aus seinem oft abenteuerlichen Lebensweg leitete er die Verpflichtung ab, sich mit aller Kraft gegen jede Form von Totalitarismus zu stellen. Verdienstvollerweise hat die "Edition JF" jetzt - zum ebenfalls 20. Jubiläum der Wochenzeitung "Junge Freiheit", wir gratulieren - die lange vergriffenen Erinnerungen dieses großen deutsch-jüdischen Patrioten neu aufgelegt (Gerhard Löwenthal: "Ich bin geblieben - Erinnerungen". Edition JF, 400 Seiten.
Gerhard Löwenthal - Erinnerung an einen aufrechten deutsch-jüdischen Patrioten
Festival des Krämergeistes
Elisa Wachtner macht zur Zeit Urlaub, fernab von den Aufgeregtheiten deutscher und internationaler Politik. Daher erscheint statt seines an dieser Stelle gewohnten politischen Wochenrückblicks in den nächsten Ausgaben ein Blick zurück in die Medien - manchmal, aber nicht immer im Zorn. |
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