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Gedanken für Intellektuelle

 
     
 
Der Ton macht die Musik, behauptet eine Redensart. So mag das mal gewesen sein, doch seitdem Töne vor allem in Form aufdringlicher Klingeltöne von allen Seiten auf uns einpiepen, haben sie ihre erhabenen Stellung verloren. Heute ist es die Sprache, die über Gut und Böse entscheidet. Deutsch ist tendenziell böse, besonders das mit österreichischem Akzent. Das lehrt die Geschichte. Deshalb brach das gesamte tugendhafte Europa vor ein paar Jahren zum Austriakenkreuzzug auf, weil Jörg Haiders "rechtspopulistische" FPÖ in die Wiener Regierung eingezogen war.

Um sich und seinem Land den Ärger zu ersparen, hätte der Jörgl halt nicht deutsch sprechen sollen, sondern polnisch. Dort hat sich die nationalistische
PiS-Partei zwei Partner von FDP-Größe ins Koalitionsboot geladen, von denen mindestens einer nach europäischen Maßstäben von lupenreinen Rechtsextremisten durchtränkt ist. "Kontakte in die Skinheadszene" soll es auch welche geben. Schon der Parteiname: "Selbstverteidigung"! Klingt das nicht nach einem Haufen finsterer, Mistforken schwingender Spießer?

In Brüssel müßten alle Kessel unter Dampf stehen, der belgische Außenminster sollte (wie weiland im Falle Österreichs) vor Urlaub in dem verruchten Land öffentlich warnen, woraufhin zivilcouragierte Reiseveranstalter die Hohe Tatra publikumswirksam aus dem Sortiment kippen.

Doch nichts davon. Eher flehend als mahnend äußern nur hier und da ein paar Repräsentanten die Hoffnung, daß die neuen Regierenden künftig auf ihre antieuropäischen Parolen verzichten und ihre antideutschen Sprüche nicht mehr ganz so laut klopfen. Wer sich in der Kritik an der Warschauer Koalition hervortut, muß eher damit rechnen, daß ihm die EU-Spitze vorhält, die "Lage unnötig zuzuspitzen", statt daß er wegen seines "mutigen Engagements gegen Rechts" bei der nächsten Preisverleihung in die erste Reihe geholt wird.

Dieser flexible Umgang mit den Dingen läßt uns angesichts der "Antidiskriminierungsverordnung" der EU aufatmen. Schließlich hat die Regierung Merkel ja noch draufgesattelt. Neben Rasse, ethnischen Herkunft, Geschlecht, Religion und Weltanschauung darf in Deutschland auch wegen Behinderung, Alter und sexueller Identität nicht diskriminiert werden, etwa bei der Arbeitsplatz- oder Wohnungsvergabe.

Man stelle sich vor, ein solches Gesetz würde mit altväterlicher Strenge tatsächlich durchgehend angewendet. Etwa im Bereich Weltanschauung. Da könnte sich dann jemand, der auf der Veranstaltung einer rechtspopulistischen Vereinigung gesehen worden ist, erfolgreich einen Posten in der Berliner Stadtreinigung erklagen!

Glücklicherweise sind wir über den stupiden Umgang mit solchen Regelungen längst hinausgewachsen und haben über den starren Paragraphen die Glocke unseres "gesamtgesellschaftlichen Konsenses" gestülpt, über die eine auserwählte Schar öffentlicher Meinungshygieniker wacht, deren unergründlicher Ratschluß höher steht als jedes primitive Regelwerk. Über Österreich ging deren Daumen damals nach unten, für Polen haben sie ihn gar nicht aus der Hosentasche geholt.

Sie werden Sorge tragen, daß sich der Populist den Job bei der Stadt abschminkt (sollte er sich daraufhin einen polnischen Paß besorgen und es dann als "Ausländer" noch einmal versuchen, würde die Sache natürlich ungleich komplizierter, aber so etwas machen Rechtspopulisten ja glücklicherweise nicht).

Die Glocke ist biegsam wie ein Gummiballon, das macht sie so wertvoll. Die Wächter können sie eindrücken und ausdehnen wie sie wollen. Und für jedes Drücken und Dehnen liegt eine begleitende Sprachregelung bereit. Für den genannten Populisten lautete diese, er wolle sich "unter Mißbrauch des Diskriminierungsverbots Zutritt zur einem öffentlichen Beschäftigungsverhältnis verschaffen". Jeder wird, nach entsprechender medialer Instruierung, einsehen, daß die Zivilgesellschaft diese Frechheit nicht dulden kann. "Mißbrauch" liegt immer dann vor, wenn jemand seine sogenannten "Bürgerrechte" einklagt, den die Meinungshygieniker für verdächtig erklärt haben.

Dabei haben sie ziemlich freie Hand. Letztlich können sie immer auf die "Schatten der Vergangenheit" verweisen, um die Exekution zu rechtfertigen. Jahrelang hat man sie als "Gutmenschen" verspottet, was den Wächtern nun zuviel wurde. Da fand endlich einer von ihnen heraus, daß ein führender Nazi das Wort auch schon gebraucht hat, weshalb es eine Nazivokabel sei und jeder, der es gebraucht, Nazi-verdächtig. Originell ist die Strategie zwar nicht - die Kritik ersticken, indem man ihre Begriffe verbannt. Aber sie wirkt und eröffnet endlose Weiten. Die Nationalsozialisten haben einen unübersehbaren Berg von Schriften und Reden hinterlassen, in denen praktisch alle Wörter der deutschen Sprache vorkommen. So läßt sich jede Geburtstagsrede mit Hilfe von Quellennachweisen als mit "Naziwörtern" gespickt überführen.

Wichtig ist dabei nur, daß man selbst die Auswahl festlegt, um die Macht zu behalten. So wurde "national" jahrzehntelang zum Unwort erklärt und "sozialistisch" zur Hoffnung, damit die deutsche Teilung in günstigerem Licht erscheine. Nach diesem Muster wird auch das Diskriminierungsverbot mit großer Virtuosität mal so, mal so, oder mal gar nicht angewendet werden.

Demnächst geht es durch den Bundestag, was nur noch eine Formalie ist. Rot und Grün haben den Text selber geschrieben und freuen sich bereits aufs Glockebiegen. Die Union kennt den Text im großen und ganzen auch schon - sie hat ihn abgesehen von ein paar Formulierungen im Wahlkampf bis aufs Messer bekämpft.

Manche Medienleute machen sich Sorgen, daß das Gesetz auch gegen ihre Beiträge angewendet werden könnte. Was, wenn jemand klagt, er als Saarländer habe den Job in der Münchener Computerfirma nicht bekommen wegen des saarlandkritischen Kommentars eines bayerischen Journalisten?

Wenn er damit durchkommt, dürfte die deutsche Presselandschaft bald noch langweiliger werden als eine Ausgabe des "Neuen Deutschland" von 1985. Da durfte ja wenigstens der Westen ordentlich "diskriminiert" werden. Oder aber komplizierter, weil die Redakteure alles gründlich verschwiemeln, damit ihnen keiner mehr nachweisen kann, daß sie eine Meinung haben.

In diesem Falle benötigte jeder Deutsche wohl einen "Medienberater", der ihm entschlüsselt, was ihm der Redakteur mit dem schaumigen Gequalster eigentlich sagen will. Indes böte sich für arbeitslose Journalisten hier eine ganz neue Berufschance. Sie könnten Dekodierungsratgeber verfassen und auf dem Schwarzmarkt verticken: "Was meint der Redakteur, wenn er Leute kritisiert, die religiöse Begegnungsstätten aufsuchen, dabei aber seltener in Moscheen, Synagogen oder asiatischen Tempeln anzutreffen sind"? Gegen solche "diskriminierungsfreien" Beiträge ist jedes Kreuzworträtsel ein Witz, zumal die Codes ständig geändert werden müßten. Die Wächter sind ja nicht dumm, sonst wären sie dem "Gutmenschen" kaum auf die Schliche gekommen.

Aber wie gesagt, so schlimm wird es nicht kommen, weil der "gesamtgesellschaftliche Konsens" auch unter dem neuen Paragraphenwerk elastisch bleiben wird wie die bisherige Rechtspraxis beweist. So hat das Landgericht Potsdam dem ZDF verboten, den Imam einer Berliner Moschee als "Haßprediger" zu verunglimpfen, nur weil der die Deutschen als "stinkende Ungläubige" bezeichnet habe.

Hätte ein deutscher Pastor so ein Wort gegen Moslems gebraucht, wäre ihm mehr als ein bloßer ZDF-Beitrag sicher gewesen und eine rechtskräftige Verurteilung allemal.

Man stelle sich vor, ein Rechtspopulist "erklagt" sich einen Job in der Berliner Stadtreinigung!

Karikaturisten! Zieht euch warm an!
 
     
     
 
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