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Gerade in unübersichtlichen Zeiten muß man sich einen Blick dafür bewahren, was wichtig ist und was nicht, sonst verheddert man sich bloß in Nebensächlichkeiten und macht alles falsch. Ruhe bewahren und erst mal eine Weile zugucken, wie sich die Dinge entwickeln, statt überstürzt loszuzappeln, das ist die Maxime von besonnenen Politikern wie Kerstin Kassner.
Als die ersten Vogelkadaver vor Rügen gesichtet wurden, wußte die Landrätin der Insel daher umgehend, was zu tun war: nichts. Vor allem keinen Katastrophenalarm auslösen, der einem die Tourismusbilanz verhagelt. Wie sähe denn das aus, dachte sich die PDS-Politikerin - überall Bundeswehr und so! So hatten beide ihre Ruhe, Frau Kassner ebenso wie "H5N1". Der Erreger konnte sich gemütlich einrichten auf der Ostseeinsel und gehörte schon nach wenigen Tagen in ganz Vorpommern zur Familie. Warum auch nicht, schließlich kennen wir seinen alten Verwandten schon seit langer Zeit: Kurz nach dem Ersten Weltkrieg hatte "H1N1" seinen großen Auftritt unter dem Namen "Spanische Grippe".
Nach etlichen Tagen indes setzten sich die Hysteriker aus Berlin durch und verwandelten das besinnliche Eiland in eine Quarantänefestung. Uns hat das nur mäßig beunruhigt, die Bilder kannten wir schon von anderen Ländern der Welt. Ist ja auch nichts passiert. Dann aber kam der Hammer: Anfang dieser Woche hieß es plötzlich, die WM könnte ausfallen, wenn sich der Erreger zur von Mensch zu Mensch übertragbaren "Pandemie" auswüchse wie sein "spanischer" Vorfahr.
Nun wurden wir aber wach. Keine WM? Ohgottogott! Von wegen, die "Spaßgesellschaft" ist tot. Bevor der große Spaß losging, konnte man den Beginn von "Krisen" daran erkennen, daß die Armee mobilisiert oder der Strom stundenweise gesperrt wurde und daß es dies und das nur noch auf Marken gab. Nach solchen Signalen waren alle wie von selbst auf hundertachtzig und ahnten, daß jetzt was Schlimmes bevorstehen könnte. Nicht so in unserer quick-lebendigen Spaßgesellschaft. Heute kündigen sich dramatische Zuspitzungen dadurch an, daß die Show ausfällt, was dann erst die echte Panik auslöst. Kein Wunder also, daß uns die Absage der WM weit ruppiger aus den Schienen des Alltags werfen würde als jede Horrormeldung von der Boddenküste.
Da hat selbst der "Karikaturenstreit" mit einem Mal seinen Schrecken verloren, zumal uns Politiker versichern, daß die Türkei längst dabei sei, ihre wichtige Mittlerfunktion zwischen Okzident und Orient einzunehmen. Da muß sich die Angelegenheit ja bald erledigen. Die Enkel der Osmanen bauen nämlich unermüdlich Brücken nach Europa, wie dies schon ihre Vorfahren über Jahrhunderte hinweg getan haben. So sehen wir mit Genugtuung, daß in der Türkei statt mit Gewalt vollkommen friedlich, ja künstlerisch zum Kampf gegen die christlichen und jüdischen Feinde aufgerufen wird. Im Kino zum Beispiel. Der Film "Tal der Wölfe" ist "eine effektive Brücke zwischen Europa und der Türkei", weiß der Inhaber des Filmverleihs "Maxximum", Anil Sahin, der den völkerverbindenden Streifen vom hessischen Poppenhausen aus in 65 deutsche Lichtspielhäuser geliefert hat.
Selbst die Gattin des ("stets auf Ausgleich bedachten") türkischen Ministerpräsidenten Tayyip Erdogan, Emine, ist begeistert: "Es war wirklich sehr schön" schwärmte sie nach der Schlußszene, in der ein türkischer Agent einen amerikanisch-jüdischen Finsterling schlachtet.
Die FDP-Europapolitikerin Silvana Koch-Mehrin, die gern zu allem wenigstens irgendetwas erklärt, kritisiert: "Ich finde es falsch zu sagen, ein solcher Film ist kontraproduktiv für den Dialog zwischen den Kulturen." Frau Koch-Mehrin mußte eingreifen, weil Edmund Stoiber die Absetzung von "Tal der Wölfe" gefordert hatte. Ihm geht das Stück zu gallig um mit Juden und Amerikanern. Nun, gut kommen die beiden Gruppen tatsächlich nicht weg. Die US-Kommandantur in Heidelberg riet ihren Soldaten daher, sich von den 65 Kinos fernzuhalten, in denen "Tal der Wölfe" läuft. Klingt ein bißchen übertrieben, die Warnung. Aber die US-Offiziere fürchten offenbar, daß der eine oder andere türkische Filmfreund die "wunderschöne" Dialog-Botschaft des Films falsch verstanden haben könnte und gereizt auf Leute reagiert, die ihm soeben als Ausbund der Hölle empfohlen wurden.
Daß die Amerikaner nicht verstehen wollen, daß der türkische Markt im Moment nun einmal Bedarf hat an US-Monstern, ist eigentlich schwer nachvollziehbar. In Hollywood wurde eine Legion von Filmen gedreht, in denen das Böse auch stets einen besonderen Paß hat, meist einen deutschen, aber gern auch einen japanischen. Überempfindliche Deutsche, die sich über "Antigermanismus" beschwerten, wurden in den Gesetzen des freien Marktes unterwiesen ("Das amerikanische Publikum mag solche Filme nunmal - take it easy!") und bekamen die Versicherung mit auf den Weg, daß die deutsch-amerikanische Freundschaft von solchen Filmen völlig unberührt bleibe.
Interessanterweise argumentieren die Türken jetzt ganz ähnlich: Alles nur Film - "take it easy" oder wie das auf türkisch heißt. Da könnten die Amis doch eigentlich gleich Festzelte vor den "Tal der Wölfe"-Kinos aufstellen und nach der Vorstellung mit ihren türkischen Freunden Bruderschaft trinken. So müßte es gehen - tut es aber nicht.
Das liegt natürlich daran, daß die Türken die Schurkenrolle falsch besetzt haben. Bestien sind deutsch, das wurde bei der ethnischen Verteilung von Gut und Böse in Kalifornien schon vor Jahrzehnten so festgelegt. Hätten die Istanbuler Filmemacher sich darauf konzentriert, in ihrem Werk aufzudecken, daß "die Deutschen" im Kern immer noch Nazis seien, hätte sie es gewiß zu internationaler Anerkennung gebracht. Cineastische Überzeichnungen jenseits aller Realität wären gar als "interessante Stilmittel" gefeiert worden. Aber nein, sie mußten die Amis drannehmen. Da sind manche von uns empfindlich.
Allerdings nicht alle, für die deutsche Linke wäre das Amis-Abwatschen schon in Ordnung gegangen. Die Linke könnte sich allerdings durch die nicht minder heftigen antijüdischen Giftpatronen im "Tal der Wölfe" ein wenig bloßgestellt fühlen: Eine jüdische Dr.-Mengele-Variation selektiert dort unschuldige Muslime, deren Körper für den Organmarkt in den USA, England und Israel ausgeweidet werden sollen. Die türkischen Zuschauer baden sich Augenzeugenberichten zufolge entzückt in der antisemitischen Ressentiment-Soße. Das könnte zum Problem werden, denn die da johlen, sind womöglich die selben ausländischen Mitbürger, mit denen anständige Deutsche noch gestern "gegen Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus und gegen Rechts" auf der Straße waren!
Es wird viel, viel Dialog brauchen, um diesen Verdacht wieder wegzuphraseln. Womöglich muß man sich gar hämische Fragen von den "Rechten" anhören, ob man schon mit den türkischen Demo-Freunden im Film war und ob man da auch so frenetisch geklatscht habe wie die. Gräßliche Vorstellung.
Für die große Schar engagierter Multikulti-Kämpfer mit Zivilcourage wird die Lage immer verzwickter: Wer ist jetzt eigentlich Freund und wer nicht? Was kommt noch zum Vorschein, wenn die orientalischen Freunde aus der Antirassismus-Initiative das nächste Mal den Kaftan über ihren verborgenen Feindbildern lüften?
Für Washington ist der Film eine nicht minder schwere Enttäuschung. Da hat man sich von Gipfel zu Gipfel für den EU-Beitritt der Türkei abgerackert, um den Türken etwas Gutes und den Europäern so richtig einen in den Tee zu tun, und nun machen die einen auf der Leinwand zum Schrecken der Menschheit!
Auch Frau Erdogan war begeistert, als der finstere Ami geschlachtet wurde: "Wirklich schön!" " ... aber Sie wissen ja: Meinungsfreiheit!" |
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