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Es vergeht kaum ein Tag ohne Ankündigung neuer Massenentlassungen in den westlichen Industrienationen. Man spricht auch immer offener über eine weltweite Rezession.
Vor einigen Monaten war dies noch anders. Politiker und Massenmedien versprachen den Bürgern Sicherheit und Wachstum im Rahmen einer globalisierten Wirtschaft. Mit dem Terroranschlag auf das Welthandelszentrum (World Trade Center) in New York kam das schockartige Erwachen. Die Zerstörung der beiden monumentalen Bürotürme, die als Symbole der Globalisierung galten, demonstrierte die Verletzlichkeit unserer hochtechnisierten Welt ebenso, wie die Krisenanfälligkeit einer globalisierten Wirtschaft. Damit zerbrach auch der amerikanische Traum, daß alles „machbar“ sei und daß die USA als „einzige Weltmacht“ alles fest im Griff haben.
Ganz abwegig war dieser Traum wohl nicht, denn die Wirtschaft in den USA hat in den vergangenen Jahren einen Boom erlebt, der viele glauben ließ, daß es immer so weitergehen werde oder daß zumindest durch Eingriffe des Staates bzw. der Notenbanken jederzeit eine Belebung der Wirtschaft möglich sei. Erst die Konfrontation mit dem Terror in einem bisher nicht erlebten Ausmaß ließ die Menschen die Realität - daß sich die USA bereits in einer Rezession befanden - illusionslos zur Kenntnis nehmen.
Inzwischen tröstet man sich aber bereits wieder mit dem Gedanken, daß Rezessionen in jüngerer Vergangenheit in den USA meist von kurzer Dauer waren, und glaubt daraus eine Gesetzmäßigkeit, zumindest aber eine Steuerbarkeit der Wirtschaft ableiten zu können. Jeder, der die verheerenden Auswirkungen einer von den USA ausgehenden weltweiten Wirtschaftskrise auf das Schicksal einiger Milliarden Menschen bedenkt, muß hoffen, daß diese Optimisten Recht behalten.
Wirtschaftswissenschaftler schwören in diesem Zusammenhang auf die verschiedensten Konjunktur-Steuerungsmodelle des Staates und der Notenbanken. Die Sache hat indes einen gravierenden Haken: Die zur Verfügung stehenden Instrumente wurden in der Zeit vor der Globalisierung der Wirtschaft ent- wickelt und haben ihre Bewährungsprobe im Zeitalter des Wegfalls aller Schranken des Handels und des Kapitalverkehrs noch nicht bestanden. Läßt sich eine globalisierte Wirtschaft überhaupt noch steuern?
Die weitere Entwick-lung hängt wesentlich davon ab, wie schwer die Rezession bzw. Krise in den USA wird. Leider besteht hier Anlaß zu Pessimismus, weil der konjunkturelle Abschwung auf einen durch die Globalisierung bereits stark angeschlagenen Arbeitsmarkt trifft.
Der weitgehende Wegfall aller Handelsschranken im Rahmen der Globalisierung hat es auch in den USA den großen Konzernen ermöglicht, ihre Produktion in Niedriglohnländer zu verlagern und durch Verkauf dieser Produkte in den Hochlohnländern - zu dem dort üblichen hohen Preisniveau - ihre Gewinne zu maximieren. So gingen viele relativ sichere Arbeitsplätze verloren. Der Boom in den USA war deshalb auf relativ schwachen Fundamenten errichtet. Er ermöglichte es aber, die abgewanderten Arbeitsplätze durch (oft schlechter bezahlte) Dienstleistungsjobs zu ersetzen. Auch Europa profitierte von diesem Boom (und dem hohen Dollarkurs) durch höhere Exporte in die USA und konnte so ebenfalls globalisierungsbedingte Arbeitsplatzverluste ausgleichen.
Dies ließ viele die Gefährlichkeit der Globalisierung für die Wirtschaftsstrukturen der Hochlohnländer nicht erkennen. Jetzt naht die Stunde der Wahrheit. Hoffentlich werden die Entscheidungsträger aus Politik und Wirtschaft nun endlich zur Kenntnis nehmen, wie stark unser System des „Wohlstands für alle“, das die moderne Industriegesellschaft so attraktiv gemacht hat, durch Globalisierung bereits geschädigt wurde. Wenn eine Rezession auf einen solcherart geschwächten Wirtschaftsorganismus trifft, steigt die Gefahr, daß es zur Wirtschaftskrise kommt, erheblich.
Die Gewinnmaximierungspolitik der „global players“, der internationalen Großkonzerne sorgte in den vergangenen Jahren in den Hochlohnländern auch für eine kräftige Umverteilung der Einkünfte. Den steigenden Einkommen aus Kapital standen oft sinkende Realeinkommen aus Arbeit gegenüber. Dadurch wurde das für eine gute Konjunktur notwendige Gleichgewicht zwischen Unternehmensgewinnen, Produktion und Arbeitseinkommen erheblich gestört. Höhere Einkünfte der Kleinaktionäre können dies nicht ausgleichen, da die größten Anteile am Produktionskapital in der Hand einer sehr kleinen Gruppe liegen.
Diese kann die verlorene Massenkaufkraft nicht ersetzen. Ein Milliardär kauft nicht Tausende von Autos. Wenn die Durchschnittsbürger weniger verdienen, kaufen sie entsprechend weniger industrielle Massenpro- dukte. Die Produktion muß reduziert und Personal entlassen werden. Die konjunkturelle Abwärtsspirale beginnt sich zu drehen. Die Angst vor einem Arbeitsplatzverlust läßt die Menschen noch mehr sparen und beschleunigt diese Abwärtsbewegung.
Wenn man bedenkt, wie stark der Arbeitsmarkt in den USA in den vergangenen Jahren durch die globalisierungsbedingte Industrieabwanderung in seiner Struktur bereits geschwächt worden ist, grenzt es an ein kleines Wunder, daß die Periode der Vollbeschäftigung dort so lange aufrechterhalten werden konnte. Dieses „Wunder“ wurde - auch wenn dies manchem absurd erscheinen mag - vorwiegend von jenen Bürgern bewirkt, die im Vertrauen auf eine bessere Zukunft über ihre Verhältnisse gelebt und ihr unzureichendes Lohnniveau durch Rückgriffe auf Ersparnisse oder durch Kreditaufnahme ausgeglichen haben.
Da es in den USA relativ leicht ist, zum Kauf von Konsumartikeln in größerem Maße Kredite aufzunehmen, wurden viele verlockt, sich bis an die Grenze der Belastbarkeit zu verschulden. Die dadurch zunächst entstehende Kaufkrafterhöhung belebt die Konjunktur. Wenn sich allerdings am Ende einer solchen künstlich geschaffenen Hochkonjunktur-Phase große Bevölkerungsschichten so hoch verschuldet haben, daß ihnen keine Bank mehr Kredite gewährt, ist diese Art der Konjunkturbelebung nicht mehr länger möglich.
Nach Presseberichten dürfte diese Situation in den USA inzwischen eingetreten sein. Wenn jetzt wegen der Rezession die Aussichten auf besser bezahlte Jobs sinken oder gar Arbeitslosigkeit droht, werden sich die Banken bei der Kreditvergabe sehr zurück-halten. Deshalb mußten die in jüngster Zeit vorgenommenen Versuche, über Zinssenkungen einen neuen „Konsumrausch“ zu erzeugen, scheitern. Auch die Industrie ist in einer solchen Lage erfahrungsgemäß nicht bereit, größere Investitionen vorzunehmen. Die hohe Verschuldung vieler Bürger in den USA stört daher das ausgewogene Verhältnis zwischen dem Angebot an Waren und Dienstleistungen und der Kaufkraft der Bürger erheblich. In Verbindung mit den durch die Globalisierung bereits verursachten Arbeitsplatzverlusten kann sich daraus eine Krise entwickeln, die weit über einen kurzfristigen Konjunktureinbruch hinausgeht.
Eine solche Entwicklung würde am Ende auch die Besitzer des Produktionskapitals schwer schädigen. Dieser Schaden könnte sogar erheblich höher werden als die zusätzlichen Gewinne, die sie vorher durch die Globalisierungspolitik erzielt haben. Natürlich kann niemand erwarten, daß die Vertreter des Großkapitals einen erheblichen Teil ihrer Globalisierungsgewinne an die Massen verteilen, um deren Kaufkraft zu erhöhen und so die Konjunktur zu beleben. Sie sollten aber einmal darüber nachdenken, ob sich ihre bisherige Politik der Gewinnmaximierung in der Gesamtbilanz wirklich rentiert. Was helfen hohe Gewinne, wenn damit auf längere Sicht das empfindliche Gleichgewicht zwischen dem Einkommen aus Kapital und dem aus Arbeit zerstört und dadurch die Möglichkeit, weitere Gewinne zu erwirtschaften, stark eingeschränkt wird? Eine Kuh, die man melken will, darf man bekanntlich nicht schlachten.
Der Schaden einer solchen Politik könnte sogar ein existenzbedrohendes Ausmaß annehmen, wenn sie am Ende die (kapitalistische) Gesellschaftsordnung zerstört und chaotische revolutionäre Verhältnisse entstehen. In diesem Zusammenhang sollte man sich auch an Karl Marx erinnern, der vor über hundert Jahren bereits damit rechnete, daß die Reichen unverhältnismäßig große Anteile der Produktionsgewinne für sich behalten und dadurch die große Masse der Arbeitnehmer soweit in die Verarmung treiben würden, daß viele Industrieprodukte unverkäuflich würden. Dies sei dann das Ende der kapitalistischen Industriegesellschaft und der Auftakt zur Weltrevolution. Sollte der „falsche Prophet“ am Ende noch recht behalten?
Wenn die Vertreter des Kapitals diese Problematik weiter ignorieren, sollten wenigstens die Politiker - soweit sie sich noch einen Rest von Unabhängigkeit bewahrt haben - einmal intensiv über Alternativen zur Globalisierung nachdenken. Dabei würden sie erkennen, daß wegen der krassen Unterschiede zwischen den Hoch- und Niedriglohnländern im Lohn-, Sozial- und Umweltschutzniveau ein völliger Wegfall aller Handelsschranken langfristig mit einem Zusammenbruch der Wirtschaftsordnung in den Hochlohnländern enden muß. Deshalb sollte man auf bewährte Schutzmechanismen der Vergangenheit (insbesondere angemessene Zölle) zurückgreifen, um die Chancengleichheit der im eigenen Land produzierenden Unternehmer gegenüber der Billigkonkurrenz aus Niedriglohnländern zu sichern und so die betroffenen Arbeitsplätze zu erhalten. Um hierbei den Rückfall in eine wirtschaftspolitische Kleinstaaterei zu vermeiden, könnte man geeignete Staaten nach dem Muster der ehemaligen EWG (der Vorgängerin der EU) in einer Hochlohn-Region zusammenfassen und - bei Zollfreiheit im Inneren der Region - Schutzzölle an den gemeinsamen Außengrenzen errichten.
Die Lage ist inzwischen so ernst, daß man solche Überlegungen nicht länger ignorieren sollte. Die wirtschaftliche Talfahrt, die nun in den USA begonnen hat, kann dort wegen der geschilderten speziellen Verschul- dungssituation wohl nur noch durch die Rückkehr abgewanderter wichtiger Produktionsbetriebe und der dazugehörenden Arbeitsplätze aufgehalten werden. Für das von den USA abhängige Europa gilt das gleiche. Wer hier auf andere staatliche Steuerungsmittel oder gar die Selbstheilungskräfte der Wirtschaft hofft, hat noch nicht erkannt, daß die Globalisierung den „Wirtschaftsdampfer“ der Hochlohnländer in vergleichbarer Weise leckgeschlagen hat, wie einst der Eisberg die Titanic. Nur wenn man das Leck durch angemessene Handelsschran- ken wieder schließt, kann man diesen Dampfer und seine Passagiere vor dem Untergang bewahren. n
Der Autor Manfred Ritter veröffentlichte mit Klaus Zeitler das Buch: Armut durch Globalisierung - Wohlstand durch Regionalisierung, Leopold Stocker Verlag, Graz, 144 Seiten, geb., 15,80 Euro, 27,80 Franken, ISBN 3-7020-0883-7
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