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Will Ulrike Gnade oder freies Geleit, fragte einst Heinrich Böll. Der Dichter nannte die Frau, die gesagt hatte, daß auf Bullen natürlich geschossen werden könne, mit Vornamen. Sie war ja eine Genossin. Was immer das sein mochte in seinen Augen. Etwas anders als Gnade oder freies Geleit kam für ihn und die anderen Guten Menschen gar nicht in Betracht. Keine Gnade für die Opfer.
Böll ist tot, der Geist der Mitleidslosigkeit mit den Opfern der RAF lebt.
Viel Verständnis, auch bei der CDU, für die Mörder von Ponto, Buback und Schleyer, die nun endlich auf freien Fuß gesetzt werden sollen. Viel Verständnis für die Terroristen von damals und von heute. Die einen hatten diese unglük-kliche Jugend im Pfarrhaus und die anderen schlechte Aufstiegs-chancen auf dem deutschen Arbeitsmarkt. Die Droge nsüchtigen brauchen auch viel Verständnis. Sie sollen in Zukunft nicht nur Methadon, sondern gleich echtes, sauberes Heroin vom Staat bekommen, weil das Methadon sie nicht richtig anturnt und daher von ihnen nicht angenommen wird.
Ist unsere Gesellschaft noch zu retten? Im Prinzip ja, aber. Manchmal wird man schon stutzig. Löst sich jedes Gefühl von Anstand auf? Löst sich vor allen Dingen die CDU auf? Die tragenden, konservativen Kräfte der Gesellschaft, die alle Terroristen und Untergangpropheten bisher überstanden haben. Die Leute in der Provinz, in den süddeutschen Ländern. Sind jetzt alle von Gleichgültigkeit und Selbstaufgabe beherrscht, wie es Spengler in seinem Buch "Der Untergang des Abendlandes" für Europa voraussagte? Wie soll das weitergehen?
Die CDU hat nur noch Luftwurzeln in der Gesellschaft. Wandel durch Annäherung. An die SPD. Aber auch die SPD ist in den Augen vieler ihrer jungen Mitglieder nicht mehr die alte Partei. Die Jungen sind unzufrieden und unberaten. Getragen von der Generation der heute 50- bis 60jährigen, ist in weiten Teilen des Landes und vor allem in Berlin eine neue Partei entstanden, modern wie ein Datenrechner und wie dieser ohne Ziel und Verstand. Eine Große-Koalitions-Partei.
Nutzlos für das Land, in seinen Auswirkungen schädlich. Erst in den nächsten Monaten werden die Folgen sichtbarer. Statt nationaler Interessen Börsengewinne und politische Korrektheit - als Programm. Doch politisch korrekt wohin? In welche Zukunft?
Fünf junge Männer schlugen während des Kölner Karnevals einen 43jährigen Deutschen vor den Augen seiner Kinder zum Krüppel (er erlitt eine Gehirnblutung, liegt im Koma). Die vier Kinder seiner Lebensgefährtin, im Alter von acht bis elf Jahren, schrieen und flehten die Männer an, von ihrem Vater abzulassen. Als das Opfer blutüberströmt und leblos am Boden lag, sagten die Schläger spöttisch "Verzeihung!", nahmen das Geld aus der Tasche des Opfers und gingen lachend weiter. Weiberfastnacht in Köln. Es waren eindeutig Muslime, ausländischer Herkunft, sie wurden am Freitag darauf festgenommen, die Kölner Zeitungen aber berichteten "korrekt" nur von "Jugendlichen", obwohl vier von ihnen 18 und 19 Jahre alt waren. Der 17jährige, Erdinc H. stellte sich am Tag darauf der Polizei. Offenbar gut beraten, er hat, obwohl mehrfach vorbestraft, mit Sicherheit nur eine Jugendstrafe zu erwarten. Die anderen sind auf freiem Fuß. Die Familie des Opfers in Angst. Eine Angst, die nie nachlassen wird. Das Opfer lag am Montag noch im Koma.
Nicht auszudenken, wenn die Totschläger Skinheads gewesen wären oder auch nur im Verdacht, einmal NPD-Mitläufer gewesen zu sein. Der Karneval wäre umfunktioniert worden in einen Protestmarsch gegen Rechts. Arsch huh - Zäng ussenander! Mindestens hätten die Medien es versucht. Mord oder Totschlag von rechts ist in unserer Medien-Gesellschaft auch heute noch etwas anderes als Totschlag oder Mord von links.
Was aber sind türkische oder arabische Totschläger? Links oder rechts? Die meisten der politisch oder religiös engagierten Muslime sind eher nationalistisch und krass antisemitisch. Doch jetzt kommt eine besondere Perversion der deutschen Medien-Gutmenschen ins Spiel. Auch für Moslem-Terroristen, selbst für Selbstmordattentäter und ihre Sympatisanten gelten noch besondere Ausnahmen. Verständnis für die Täter. Am Ende hatte der Familienvater mit seinen vier Kindern die Türken sogar schief angekuckt? He, Alter was kuckst du? Willst du Probleme kriegen?
Wir kucken weg, oder wir kuk-ken nach einigen Tagen weg. Bei den Kölner Totschlägern ebenso wie bei den Terroristen. Eine Talkshow, noch eine Diskussionsrunde, dann ist das Thema vom Tisch. Das Problem bleibt.
Was ist mit dem Prozeß in Madrid gegen die Nachfolger der ElKaida? Was mit den wieder auferstandenen Roten Brigaden in Italien und dem nur durch einen Zufall und eine neugierige Hausfrau in Rom verhinderten Anschlag auf den Ex-Ministerpräsidenten Berlusconi und dem Sprengstoff-Attentat auf einen Fernsehsender?
Hier wird die Sache für uns aktuell. Hochaktuell. Denn die neuen Mordpläne der längst aufgelöst geglaubten Roten Brigaden, der Schwesterorganisation der RAF, wurden von einem rechtskräftig verurteilten 55jährigen Mitglied der Gruppe geleitet (!), der seine Mindest-Strafe abgesessen hatte und nun begnadigt worden war! Zusammen mit einem anderen Veteranen, der seine Strafe noch absitzen mußte, sich aber als "Freigänger" ungehindert in der Stadt bewegen konnte, gelang es ihm, sich tatsächlich zu "re-sozialisieren" und eine neue Gruppe von 40 blutjungen Terroristen aufzubauen. Wie erinnerlich, war auch Brigitte Mohnhaupt schon einmal verurteilt worden und zog nach Abbüßung einer Mindeststrafe 1977 gleich wieder in den Kampf. Es fragt sich, was sie wohl mit ihrer Äußerung meinte, sie wolle sich nicht entschuldigen bei den Opfern, sondern "anders auf sie zugehen". Guten Tag, ich bin die Susanne?
Christian Klar hat sich nie von seinen Morden distanziert und nicht einmal ausgesagt, wer zum Beispiel die Schüsse auf Schleyer abgefeuert hat. Von fast allen großen Mord-Serien der RAF sind die Täter nicht namentlich bekannt. Unter Umständen laufen also noch Mörder frei herum und bauen neue Zellen auf, mit oder ohne arabische Hilfe. Wie bei der Entführung der "Landshut"!
Da kriegen ja alle Angst. Vor allem die nur durch Zufall am Leben gebliebenen oder schwer verletzten Opfer und ihre zurückgebliebenen Familienangehörigen. Ganz reale Angst vor realen Gefahren.
Es ist müßig, Debatten darüber zu führen, was es bedeutet, 24 Jahre oder 26 Jahre im Knast zu sitzen. Gefängnis ist schlimm, auch wenn es in der Bundesrepublik Deutschland und in Italien nicht so zugeht wie in einem iranischen Folterverlies oder im Achipel Gulag oder - das vielleicht noch Schlimmere - dem Opfer Hanns-Martin Schleyer 130 Tage und Nächte lang in seinem engen Verschlag. In ständiger Todesangst.
Die Frage, ob ein Mensch nach 24 Jahren ein Recht hat, entlassen zu werden, regelt das Gesetz. Es regelt auch, daß Bundespräsident Köhler den Rest der Haftzeit bei Christian Klar durch Gnadenerweis aussetzen kann. Das muß respektiert werden.
Mord ist endgültig. Eine lange Haftstrafe ist hart. Nach einer derartig langen Inhaftierung sind viele gewöhnliche Kriminelle oft gebrochene, frühzeitig gealterte Menschen. Diese letzten RAF-Mitglieder aber sind stolz darauf, nicht gebrochen zu sein. Sie glauben fest an ihre Fiktion, daß der Staat der Bundesrepublik "faschistisch" sei und daß sie Widerstand gegen eine Diktatur geleistet hätten. Sie fühlen sich wie die Männer des 20. Juli. Ein Wahn.
Auch sie seien Stauffenberg, finden sie. Schon die erste Generation hatte sich darüber hinaus zusammen mit ihren damaligen Anwälten ausgedacht, sozusagen als hilfsweise Begründung für ihre Morde, daß sie sich in einem Krieg befänden und - daß sie auch "stellvertretend" ein Widerstandsrecht ausüben könnten. Diesen Floh ins Ohr gesetzt hatte ihnen kein Geringerer als der legendäre Generalstaatsanwalt von Hessen Fritz Bauer, zitiert von Baaders Anwalt Hans Heinz Heldmann im Prozeß gegen Baader, Ennslin und andere am 28. Juni 1976:
"Das Widerstandsrecht erschöpft sich nicht im innerstaatlichen Bereich. Es überschreitet die nationalstaatlichen Grenzen. Es steht nicht nur jedermann zu, sondern kann auch zugunsten von jedermann ausgeübt werden".
Unser langjähriger Innenminister Schily, Anwalt von Gudrun Ennslin, verglich am gleichen Verhandlungstag die Bombenanschläge der RAF mit einem Anschlag auf das Reichssicherheitshauptamt im Dritten Reich.
Das Widerstandsrecht, den Menschen seit der Antike heilig, das Recht auf Tyrannenmord hatten Stauffenberg und seine Freunde nach schweren Skrupeln in Anspruch genommen, um durch die Ermordung Hitlers einen "eidfreien Zustand" für die Wehrmacht herzustellen und damit die Abschaffung der NS-Diktatur zu ermöglichen. Jetzt wurde das Widerstandsrecht für Andreas Baaders private Kriegserklärung gegen die Demokratie bemüht.
Die Demokratie gilt auch für ihre Feinde. Entlassung nach Recht und Gesetz, Gnade nach Ermessen des Präsidenten. Aber dann, wie andere unheilbare Serientäter, ins Heim, in die sichere Überwachung oder Verwahrung. Es sind ja Wahntäter. Sie brauchen keine Bestrafung mehr, aber die Gesellschaft braucht Schutz vor ihnen. Vor allen aber die bereits schwer und - LEBENSLÄNGLICH verletzten Opfer und ihre Angehörigen.
Gudrun Ensslin und ihr |
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