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Grass schreitet durch eine offene Tür

 
     
 
Lange Zeit war die Vertreibung der Deutschen aus dem Osten ein unangenehmes, fast verpöntes Thema. Vor allem die publizistische Linke stellte es in die nationalistische Ecke. Wird nun mit der Novelle von Günter Grass dieses Kapitel der deutschen Geschichte aus der Schmuddelecke geholt, oder wird es - anders ausgedrückt - politisch korrekt
, Vertriebener zu sein oder zu einer Freundeskreis aus dem Osten zu gehören? Die Präsidentin des Bundes der Vertriebenen, Erika Steinbach, sieht das gelassen. In einem Gespräch mit dem Autor, das auch im Deutschlandfunk gesendet wurde, weist sie zunächst darauf hin, daß Grass mit dem Schicksal der Wilhelm Gustloff ein Thema aufgenommen habe, „das ihn ganz offensichtlich schon längere Zeit beschäftigt hat“, er habe bereits vor anderthalb Jahren in einer Diskussion die Thematik in einer Art und Weise angesprochen, „die man von ihm bis dahin noch nicht gewohnt war“.

Allerdings sei Grass nicht der erste und einzige. Das Thema Vertreibung der Deutschen sei „direkt nach dem Kriege parteiübergreifend aufgefaßt und begleitet“ worden. Man habe es damals „immer als ein Verbrechen gegen das Völkerrecht angesehen“. Das habe sich dann mit der Ostpolitik zeitweise sehr verändert, aber „das Klima hat sich - allerdings schon seit einigen Jahren - über den Bereich der Unionsparteien hinaus wieder geöffnet“. Als Belege führt Frau Steinbach die fünfteilige Serie von Guido Knopp im ZDF zum Thema Vertreibung im vergangenen Jahr an, ferner eine dreiteilige Reihe im Ersten Programm, die erst vor kurzem ausgestrahlt wurde. Beide Serien hätten einen enormen Publikumszuspruch erlebt. Günther Grass schreite also „jetzt durch eine Tür, die schon in einem erheblichen Maße geöffnet war“. Sie wolle Grass dabei nichts unterstellen. Allerdings sei er „kein unpolitischer Mann. Er war nie ein unpolitischer Schriftsteller. Inwieweit da bei ihm Politik eine Rolle spielt, vermag ich nicht zu beurteilen.“

Bei zwei Millionen Mitgliedern in den einzelnen Verbänden verfügen die Vertriebenen über ein erhebliches Stimmpotential. Ihre Präsidentin, selber Abgeordnete der CDU, wehrt sich dagegen, dieses Potential parteipolitisch einzuordnen. Die Vertriebenen seien offen und versöhnungsbereit. Sie seien „für die Bundesrepublik Deutschland - für viele erstaunlicherweise - niemals zu einem Sprengsatz geworden, sondern sie waren von Anfang an ein konstruktives Element“. Man müsse sich vorstellen, daß damals 12,5 Millionen Menschen sowohl in die alte Bundesrepublik als auch in die DDR kamen, 2,5 Millionen verloren darüber hinaus ihr Leben. All das hätte „ein emotionaler Sprengsatz über Jahrzehnte hinweg sein können. Aber die Vertriebenen waren selber mit sich sehr schnell im reinen, sie lehnten Gewalt ab, sie wollten die Vokabeln Rache und Vergeltung in ihrem Sprachschatz nicht haben.“ Das habe auch erheblich zum Wirtschaftswunder beigetragen. „Wir sagten, wir wollen anpacken, wir wollen einfach mit aufbauen, uns wieder ein Dach über dem Kopf schaffen.“ Diese Haltung und Arbeit hätten auch dazu geführt, daß Deutschland im Westen und „sicherlich auch die DDR innerhalb des Ost- blocks“ sich wirtschaftlich jeweils in der ersten Reihe wiederfanden.

Dennoch sei das Thema Vertreibung kein Thema für die Geschichte. Es werde auch im Wahlkampf eine Rolle spielen. Steinbach: „Wir werden als Verband allen Parteien Wahlprüfsteine vorlegen, weil wir fest davon überzeugt sind, daß das ein Thema mit brennender Aktualität ist. Für die europäische Osterweiterung hat man ja Kriterien aufgestellt, die erfüllt sein müssen, wenn Staaten Mitglied in der Europäischen Union werden wollen - das war 1993 in Kopenhagen. Dort wurde ausdrücklich festgeschrieben, daß Menschenrechte und Minderheitenrechte umgesetzt sein müssen. Wir stellen fest, daß das in der Tschechischen Republik bis heute nicht der Fall ist, daß es auch in Polen noch Vertreibungsgesetze gibt, die nicht außer Kraft gesetzt sind, und daß das gleiche für Slowenien gilt. Deshalb fragen wir die Parteien, müssen wir sie fragen, wie sie damit umgehen. Wir erwarten, daß sich diese Staaten vor dem Eintritt in die Europäische Union von solchen menschenrechtsfeindlichen Gesetzen trennen. Das erscheint uns unabdingbar, aber darüber hinaus haben wir noch viele andere Punkte, die wir den Parteien zur Beantwortung vorlegen werden“.

Die Präsidentin des Bundes der Vertriebenen verbindet mit der neuen Aktualität des Vertreibungsthemas keine neuen Rechtsansprüche. Der Anspruch bleibe derselbe. „Wir erwarten“, sagt sie, „daß menschenrechtsfeindliche Gesetze aufgehoben werden“ und daß die Vertreibung anerkannt werde „als eine Verletzung des Völkerrechts und der Menschenrechte nach den Normen der UN“. Ferner, „daß auf irgendeine Art und Weise eine Heilung dieses Unrechts möglich gemacht wird“. Es gebe „Staaten, die das getan haben. Ungarn hat ein Entschädigungsgesetz verabschiedet, das vom Wert der Entschädigung her eher symbolischen Charakter hat, aber es hat einen Heilungsprozeß zwischen den vertriebenen Deutschen aus Ungarn und dem ungarischen Staat ganz schnell in Gang gesetzt.“

 

(Das Gespräch mit Frau Steinbach führte Maria Klausner.)

 
     
     
 
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