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Als Georg Hornig am 8. Mai 1945 als letzter verbliebener und wenig bedeutender Mitarbeiter der Gestapo-Außenstelle Gitschin im nordöstliche Böhmen den tschechischen Aufständischen die Büros in, wie er sagte, geordnetem Zustan übergab, dachte der Polizeibeamte, er habe den Tiefpunkt seiner Berufskarriere erreicht Er wußte nicht, daß es noch viel schlimmer kommen sollte. Zunächst war ihm die Fluch nach Österreich gelungen, dort aber nahmen ihn Rotarmisten gefangen und machten ih schließlich zum Ketten häftling in der Moskauer Lubijanka. Er wurde immer wieder stren verhört, bevor er als Kriegsgefangener in einem Bleibergwerk landete.
"Überrascht war ich vor allem, daß mich meine Vernehmer immer und immer wiede zu einem meiner höheren Vorgesetzten, Gestapo-Kommissar und SS-Obersturmbannführer Will Leimer, befragten und ärgerlich waren, daß ich dazu so gut wie nichts sage konnte", berichtete Hornig bereits vor Jahren. Auch sei er mehrfach nach der in seinem Dienstbereich gelegenen Ortschaft Rovensko gefragt worden.
Der schlichte Polizeibeamte hatte nicht wissen können, daß seine sowjetische Vernehmer dabei nach einer der schillerndsten Personen der SS fragten, die mit größte Wahrscheinlichkeit damals schon als NKWD-Offizier innerhalb der SS wirkte und überdie das Kunststück fertigbrachte, 1943 im Rovensko den einzigen schriftlichen Vertra zwischen der tschechischen Widerstandsbewegung und der Gestapo beziehungsweise der SS zu schließen. Hornig wußte auch nichts darüber, als er nach seiner schließliche Entlassung aus sowjetischer Kriegsgefangenschaft 1945 erneut, und diesmal vo Bundeskriminalamt sowie von der CIA, zu Leimer eingehend vernommen wurde.
Über die Lebensdaten des ominösen Willy (eigentlich Wilhelm Friedrich) Leimer is verhältnismäßig wenig bekannt. Er wurde am 25. Juli 1912 in Neuwied geboren, erhiel eine höhere Schulbildung und wurde Tiefbauingenieur. Danach entschloß sich Leimer Kriminalbeamter zu werden und war von 1935 bis 1939 für die Dienststellen Wiesbaden un Frankfurt am Main tätig. Im Anschluß daran trat er als Kriminalkommissar de Gestapo-Leitstelle Prag wieder in Erscheinung und wurde in der Folge zu SS-Obersturmbannführer befördert.
"Zunächst leitete Leimer ein kleineres Referat, das sich mit den Aktionen de kommunistischen Widerstandes in Böhmen und Mähren befaßte", äußerte in eine Gespräch kurz vor seinem Tod der ehemalige Gestapo-Chef in Prag, Dr. Ernst Gerke, der be Kriegsende 1945 den Sowjets entkam, von den Amerikanern aufgegriffen wurde und späte über viele Jahre hinweg als Justitiar in Bethel bei Bielefeld tätig war. Gerke beschrie Leimer als einen keineswegs soldatischen Typ, der nicht devot, sondern sehr selbstsiche gewesen sei.
Gerke räumte im Gespräch weiter ein, es habe seinerzeit durchaus Gerüchte gegeben daß Leimer möglicherweise "auf zwei Schultern tragen" könne. Dem habe er Gerke, allerdings keine Beachtung geschenkt, dem tschechischen Umfeld Leimers die allerdings sehr wohl zugetraut.
Leimers zuvorige gute Arbeit im Sinne der Gestapo zahlte sich spätestens nach de Attentat auf den stellvertretenden Reichsprotektor in Böhmen und Mähren, Reinhar Heydrich, vom 26. Mai 1942 reichlich aus. Die Umstände, unter denen Heydrich dann am 4 Juni 1942 starb, sind bis heute nicht restlos geklärt.
Im Rahmen der Suche nach den aus England gekommenen und mit Fallschirmen abgesprungene weiteren Hintermännern der Attentäter wird von Gestapo und SS schließlich die Sonderabteilung NSbF/IV2 (Aktionen gegen Sabotage und Fallschirmspringer) eingerichtet un Leimer mit deren Leitung betraut. Als weitere Folge des Attentats war für Böhmen un Mähren das Kriegsrecht ausgerufen worden.
Bereits am 10. Juni 1942 kam es zu dem Massaker vor Lidice. Da sich einer de Heydrich-Attentäter dort vorübergehend verborgen gehalten hatte, machte die SS das Dor dem Erdboden gleich und erschoß alle Männer. Frauen und Kinder wurden zumeis verschleppt. Leimers Sonderabteilung arbeitete unterdessen eifrig und erfolgreich weiter bis sie schließlich im Januar 1943 unter anderem herausfand, daß sich weitere au England gekommene tschechische Fallschirmspringer in der Nähe der Ortschaft Rovensk verborgen hielten. Über geheime Verbindungen Leimers mit der tschechischen Polizei lie der Obersturmbannführer den Widerstand wissen, falls die beiden tschechische Fallschirmspringer nicht ausgeliefert würden, müsse Rovensko das Schicksal Lidice erleiden. Daraufhin kam es zu jenem sensationellen schriftlichen Vertrag über die Auslieferung der Fallschirmspringer und die Verschonung Rovenskos. Das Dokument wurde au tschechischer Seite vom Lehrer Hlavac?ek unterschrieben sowie von Leimer und dem Leite der Gestapo-Außenstelle Gitschin, Fischer, deutscherseits gegengezeichnet.
Die Widerständler sollten am 16. Januar 1943 an Leimer und seine Männer ausgeliefer werden. Sie schluckten zuvor jedoch Zyankali und entzogen sich so der Festnahme. Be dieser Aktion fiel übrigens den Deutschen, und dies nicht ohne Zutun der tschechische Seite, dann aber noch der Chef des Londoner Zweiges des Widerstandes, Dr. Vladimir Krajna in die Hände. Leimer, der sich zuvor mit dem Staatsminister im Protektorat, Karl Herman Frank, abgesprochen hatte, hielt sich an das Abkommen von Rovensko und ließ Krajn entgegen der üblichen Praxis nicht hinrichten, sondern hielt ihn und seine Frau im K Theresienstadt als eine Art Faustpfand fest.
Anfang März 1943 gelang Leimer ein besonders bemerkenswerter Erfolg. Mit der Festnahm des Fallschirmspringers Vaclav Kindl hatte er einen Funker der Londoner Zentrale de Widerstandes in die Hände bekommen. Leimer konnte Kindl "umdrehen", und forta funkte der Gefangene wie bisher, nur daß deutscherseits alle Operationen zu Unterstützung des Widerstands bestens bekannt waren.
Diesen zunächst als einen der großen Spionage-Erfolge des Krieges angesehene Leimer-Coup sieht der 1968 aus der Tschechei geflohene ehemalige hochrangige tschechisch Geheimdienstagent Josef Frolik allerdings in einem ganz anderen Licht. Vor eine Untersuchugskommission der Vereinigten Staaten gab Frolik unter anderem zu Protokoll Leimer sei auf Grund gesicherter Unterlagen gleichzeitig Mitarbeiter des NKWD im Rang eines Majors gewesen und habe mit Hilfe von Kindl das "Operation Hermelin" genannte "Radiospiel" mit London dazu benutzt, Hilfe für den pro-westalliierte Widerstand "im Sinne seiner russischen Herren" auszuschalten und die kommunistischen Gruppen damit zu stärken. Mit dieser Aussage konfrontiert, sagte in nachhinein selbst Leimers damaliger Chef, Gerke: so könne es durchaus gewesen sein.
Die "Operation Hermelin" dauerte etwa bis zur Mitte des Jahres 1944. Dan aber kam es zu einer Gegenüberstellung von Kindl und einem neuen gefangene Fallschirmspringer, der sich mit einer verborgen gebliebenen Waffe freizuschieße versuchte und Kindl dabei tödlich verwundet haben soll. An diese von Leimer verbreitete Version will Frolik indes nicht glauben. Er habe Hinweise darauf, daß Kindl überlebt und nach dem Krieg nach England gelangt sei.
Die Ermittlungen Froliks werfen sodann ein besonderes Licht auf Leimers Aktivitäten als das Ende des Krieges auch für Prag heranzunahen begann. Zunächst hatte er Ende Apri 1945 Dr. Krajna aus Theresienstadt holen und in der Nähe Prags unterbringen lassen. Al sich die sowjetischen Armeen immer mehr der Moldau-Metropole näherten und sich am 5. un 6. Mai 1945 der Aufstand der Tschechen in der Stadt immer deutlicher abzeichnete versuchte Leimer, Dr. Krajna im Hinblick auf die Regierungsübernahme zu einem Gespräc mit Karl Hermann Frank zu bewegen. Dr. Krajna lehnte dies jedoch kategorisch ab. Auch mi zahlreichen anderen Vertretern des sogenannten tschechischen National-Ausschusses führt Leimer Gespräche, wobei glaubwürdige Quellen versichern, daß es sich dabei zumeist u Vertreter des kommunistischen Lagers gehandelt habe. Mit einer Ausnahme hat Leimer dies Gespräche zwischen dem 5. und 7. Mai an Frank vorbei geführt.
Dieselben Quellen berichten auch, daß der Obersturmbannführer an Gespräche beteiligt gewesen sei, die mehrere Abgesandte der dritten, damals bei Pilsen stehende US-Armee unter George Patton mit den Aufständischen führten, bevor sie wieder nac Pilsen zurückkehrten. Bemerkenswerterweise ist in ausländischen Medien über dies Unterhandlungen so gut wie nie berichtet worden. Fest steht allerdings, daß Patto ursprünglich die Absicht hatte, mit seinen Truppen nach Prag vorzustoßen. Dabei sei e ihm vor allem um die Einnahme von Fabriken in der Nähe der böhmischen Hauptstad gegangen, in denen sich geheime Waffenproduktionen der Deutschen befanden. Erst ei ausdrücklicher Befehl des gerade ins Amt gekommenen Präsidenten Harry S. Truman hab Patton von seinem Vorhaben abgehalten. Ganz offensichtlich sind diese Produktionen dan den Sowjets bei ihrem Einmarsch in Prag in die Hände gefallen.
Dr. Krajna, der später nach Kanada auswanderte und dort 1991 starb, war die letzt Persönlichkeit, die mit Leimer vor dessen Gefangennahme am 8. Mai 1945 durch die Aufständischen sprach. Dr. Krajna berichtete in den achtziger Jahren, Leimer sei zwa sehr niedergeschlagen gewesen, habe aber zuvor noch um eine Möglichkeit für ei Telefonat gebeten. "Das Telefonat hat er führen können, und es dauerte sehr lange Danach hat er seine Waffe abgegeben und wurde abgeführt", sagte Dr. Krajna.
Heimkehrerberichten zufolge wurde Leimer dann zuletzt im September 1945 in einem Sonderlager der Sowjets in Sewastopol gesehen. Der übergelaufene Spezialagen Frolik allerdings fragte nach der Entdeckung der Unterlagen über Leimer mit Hilfe seine Dienststelle bei den Sowjets über den Verbleib des mutmaßlichen Doppelagenten nach. Au Moskau kam daraufhin die lapidare Mitteilung, daß Leimer 1947 verurteilt und im Septembe des gleichen Jahres hingerichtet worden sei. Alle Unterlagen dazu seien aber angeblich be einem Brand verlorengegangen. Frolik gab sich jedoch nicht damit zufrieden und forscht weiter. Schließlich fand er heraus, daß die Sowjets alle weiteren Nachforschungen übe Leimer strikt untersagt hatten.
Leimers Ehefrau Maria Barbara ließ ihren Mann bereits 1950 für tot erklären und gin wieder eine Ehe ein. Leimers damals noch lebende Mutter dagegen stellte 1953 eine Suchantrag beim Deutschen Roten Kreuz. Leimer hatte mit seiner Ehefrau zwei Söhne, vo denen einer im Zusammenhang mit der Suche nach seinem Vater berichtete, daß der Brude seines Vaters, ein bekannter Konzertpianist, Ende der 50er Jahre überraschend und ohn sie bestellt zu haben regelmäßig eine technische Zeitung aus einem Ostblocklan zugeschickt erhielt. Hinweise, die auf Willy Leimer schließen ließen, seien allerding nicht zu finden gewesen.
Eine andere verläßliche Quelle in Prag sieht darin durchaus einen Hinweis auf da Überleben von Leimer und will sogar wissen, daß der ehemalige Obersturmbannführer in seiner Eigenschaft als KGB-Offizier beratende Funktion für die Sowjets bei dere Einmarsch in die Tschechoslowakei im Jahre 1968 gehabt habe. Gleichviel wie diese Aussag auch bewertet wird das Deutsche Rote Kreuz führt Wilhelm Friedrich Leimer nach wi vor als "verschollen"
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