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Heimat - was ist das? Ist es dieses Gefühl der Geborgenheit? Das Erinnern an die Tage der Kindheit, die vertraute Umgebung des Elternhauses, des Kindergartens, der Schule? Das Wiedererkennen einer Landschaft, in der man groß geworden ist?
Solche Gedanken gehen mir durch den Kopf, als wir - auf dem Kutschbock eines offenen Zweispänners sitzend - über holperige Wege von Gartenpungel nach Elditten fahren, zur Kirche. Ich weiß: Dieses paradiesische Fleckchen an der Grenze von Ermland und Oberland ist nicht meine Heimat; ich hatte das Glück, daß meine Familie bei Kriegsende tausend Kilometer weiter westlich lebte, also nicht be-raubt und vertrieben wurde. Dennoch fühle ich mich hier in Ostdeutschland irgendwie heimisch, glaube, einen Typ von Landschaft wiederzuerkennen, wie ich ihn seit den Kindertagen nicht mehr sah. Es liegt wohl nicht nur daran, daß der im automobilen Zeitalter Lebende es kaum noch gewohnt ist, seine Umwelt so intensiv und mit allen Sinnen wahrzunehmen; hier sind irgendwann einmal die Uhren des vermeintlichen Fortschritts stehengeblieben, man taucht nicht nur in eine andere Welt ein, sondern auch in eine andere Zeit.
Es ist eine Welt - und eine Zeit - mit weniger Hektik und weniger Streß, mit weniger Lärm und weniger Ablenkung von den natürlichen Grundlagen des Lebens. Eine Welt, die noch nicht so stark geprägt ist von den Bedürfnissen moderner Technisierung und Motorisierung, die wir heute für unverzichtbar halten. Das Eintauchen in diese Welt und in diese Zeit ist ausgesprochen erholsam; zudem schärft es die Empfindsamkeit dafür, was der Verlust der Heimat wirklich bedeutet - vor allem, wenn es sich bei der Heimat um eine so großartige, beeindruckende Landschaft handelte.
Solche Empfindsamkeit dürfte einst auch den Hamburger Unternehmer Manfred Wolff erfaßt haben, als er vor vielen Jahren, lange vor den ersten zaghaften Ansätzen eines "westlichen" Tourismus, erstmals Gelegenheit hatte, in den südlichen Teil Ostdeutschlands zu reisen. Er verliebte sich in diese Landschaft, er entdeckte die Menschen, die hier lebten und leben, und er begann, sich immer stärker für diese außer bei den von Flucht und Vertreibung Betroffenen weitgehend vergessene Region zu engagieren.
Die Folgen seines Engagements manifestieren sich heute in unübersehbarer Weise. Bei Liebstadt, zwischen Mohrungen und Guttstadt, verlassen wir die befestigte Straße und somit das, was wir heute unter "zivilisierter Welt" verstehen. Der Weg führt uns durch Wälder und Felder, die noch nicht von "Flurbereinigungen" verunstaltet sind, bis sich das Tal der Passarge öffnet und den Blick freigibt auf einen imposanten Gebäudekomplex. Im Zentrum ein dominierendes weißes Herrenhaus, von dem aus einst ein weitverzweigter landwirtschaftlicher Betrieb geleitet wurde und das heute als Hotel genutzt wird.
Manfred Wolff hat es - auch mit Unterstützung polnischer Freunde - im wörtlichen Sinne aus Ruinen auferstehen lassen. Der Name des Anwesens, Gartenpungel, wird übrigens im Jahre 1323 erstmals urkundlich erwähnt; heute heißt es amtlich Wojciechy.
Im Haupthaus warten großzügige, gut ausgestattete und gemütlich möblierte Zimmer auf Gäste. Für Familien mit Kindern empfehlen sich die Ferienappartements in einem Teil der Nebengebäude. Gratulieren muß man dem Hamburger Investor auch für seine Idee, neben dem Hotelbetrieb die landwirtschaftliche Nutzung beizubehalten beziehungsweise wieder aufzubauen. So kamen rund 50 Einheimische zu Arbeitsplätzen (uns Gästen gegenüber brachten sie immer wieder zum Ausdruck, wie dankbar sie dafür sind). Auch die Besucher profitieren davon: Die Gartenpungel-Küche versorgt sie mit absolut frischen, sauberen und schmackhaften Lebensmitteln aus eigenem Anbau. Bundesdeutsche Öko-Freaks hätten hier Gelegenheit, den Unterschied zwischen Bio-Geschäftigkeit und wirklich natürlichem Landbau zu testen.
Erholung pur - das ist das Markenzeichen dieses Hauses. Geboten werden, neben Ruhe und herrlich sauberer Luft, allerlei Sport- und Freizeitmöglichkeiten: Reiten und Kutschfahrten, Angeln, Wandern, Tier- und Naturbeobachtung, Radfahren und Baden im klaren, erfrischenden Flußwasser, Paddel- und Schlauchbootfahrten bis zum Frischen Haff. Und natürlich vielfältige Ausflugsmöglichkeiten, um die nähere und weitere ostdeutsche Um- gebung kennenzulernen. Nach Allenstein zum Beispiel sind es nicht einmal 50 Kilometer.
Inzwischen hat der Hamburger Unternehmer (Mitinhaber des über hundert Jahre alten, heute weltweit aktiven Mode- und Handelshauses Olsen) ganz in der Nähe von Gartenpungel ein zweites Haus eröffnet, das Landhaus Banners (Bieniasze). Es liegt - nicht ganz so abgeschieden - in einem der typisch ostdeutschen Straßendörfer in exponierter Lage oberhalb eines kleinen Sees. Von einer großzügigen Terrasse führt eine Treppe hinunter an das von altem Baubestand gesäumte Wasser, das zum Schwimmen, Fischen und Rudern einlädt. Gehobene Ausstattung - von den großzügig dimensionierten Appartments bis zur supermodernen Küche und dem gemütlichen Gastronomiebereich - prägt dieses Haus.
Mit dem bisher Erreichten gibt sich Wolff allerdings nicht zufrieden. Er denkt bereits an die Zukunft und da besonders an die Möglichkeiten, die sich aus dem bevorstehenden EU-Beitritt Polens ergeben. Eine seiner Ideen: Warum sollen Deutsche (nicht unbedingt nur Ostdeutschland) eigentlich nur zu ein paar Tagen oder Wochen Sommerurlaub in diese paradiesische Gegend reisen? Es darf doch auch etwas intensiver und länger sein.
In der Tat könnte man sich vorstellen, daß ein Teil der jetzt als Hotel betriebenen Räumlichkeiten in längerfristig nutzbare Ferienwohnungen umgewandelt wird. Trotz Wirtschaftsflaute, Massenarbeitslosigkeit und staatlicher Finanzkrise gönnen sich nach wie vor viele Bundesbürger eine Zweitresidenz - warum sollte die aber unbedingt auf Mallorca liegen und nicht in Ostdeutschland?
Ein weiterer Plan, über den wir mit Manfred Wolff ausführlich diskutierten: eine betreute Seniorenresidenz im ostdeutschen Oberland. Den Lebensabend in der geliebten und jahrzehntelang vermißten Heimat zu verbringen - diese Vorstellung sollte manch älterem Heimatvertriebenem eigentlich naheliegen. Zumal auch handfeste materielle Überlegungen durchaus dafür sprechen. In Deutschland sind gut ausgestattete Einrichtungen für Senio- ren in aller Regel so teuer, daß sie die finanziellen Möglichkeiten der meisten Rentner deutlich überschreiten. Im südlichen Ostdeutschland könnten vergleichbare Dienstleistungen zu einem Bruchteil der bei uns üblichen Kosten abgeboten werden. Denn an dem immensen Preisgefälle dürfte sich auch nach der EU-Osterweiterung nicht viel ändern. Hinzu kommt, daß Deutschland inzwischen als "Dienstleistungswüste" verpönt ist, eine traurige Entwicklung, von der leider auch der Bereich der Altenbetreuung nicht verschont blieb.
Natürlich müßte ein solches Projekt - Seniorenwohneinrichtungen in Ostdeutschland - sorgfältig vorbereitet werden. Das betrifft nicht nur organisatorische, rechtliche und finanzielle Fragen; auf beiden Seiten müssen auch noch mancherlei psychische Barrieren überwunden werden. Daß auf deutscher Seite die Bereitschaft hierzu groß ist, beweisen nicht zuletzt die zahlreichen Aktivitäten, mit denen ostdeutsche Vertriebene in den Jahren seit Öffnung der Grenzen in der Heimat helfen.
Und auch auf polnischer Seite wird man einsehen müssen, daß da nicht eine Rentner-Armee zur Regermanisierung rüstet, sondern lediglich ein paar friedfertige ältere Menschen zum Abend ihres Lebens dahin zurück wollen, wo sie auch schon als Kinder lebten. Jedenfalls sollten wir jenen Scharfmachern, die in den letzten Wochen und Monaten in den polnischen Medien den Ton angaben, das letzte Wort nicht gönnen.
Ob die Visionen von der Ferienresidenz oder der Seniorenwohnung in Ostdeutschland je Wirklichkeit werden können? Unsere Diskussionen im gemütlichen Speisesaal des Hauses Gartenpungel tendierten gelegentlich zur Resignation: "Das kann nichts werden", "Die Widerstände werden zu groß sein", "Am besten, man vergißt es - war halt eine nette Idee, aber nicht mehr".
Am Ende aber stand dann doch die Erkenntnis: Was heute Realität ist, zum Beispiel diese beiden herrlichen Häuser Gartenpungel und Banners in Ostdeutschland, das war vor wenigen Jahren ebenfalls Vision. Wenn der Hamburger Manfred Wolff nicht - trotz aller durchaus berechtigten Bedenken - fest an die Zukunft dieser Projekte geglaubt hätte, würden hier heute noch Ruinen stehen - und selbst die vielleicht auch nicht mehr.
Ein wahrhaft paradiesisches Fleckchen Erde: Das aus Ruinen wieder aufgebaute Herrenhaus Gartenpungel in Ostdeutschland, genau an der Grenze zwischen Ermland und Oberland, wird heute als Hotel genutzt.
Welt ohne Hektik, ohne Stress und ohne Lärm
Idylle am See: Eine Freitreppe führt vom Wasser hoch zur Terrasse des Hauses Banners, das zu erholsamem Urlaub einlädt.
Zeitreise: Vom Kutschbock des Zweispänners aus erleben wir eine ursprüngliche Landschaft, in der die Uhren stehengeblieben zu sein scheinen.
Hotel Gartenpungel
Tel. 0048 89 616 98 50
Fax 0048 89 616 94 15
www.wojciechy.info1.pl
Preise zwischen ca. 20 € (Einzelzimmer) und ca. 70 € (Appartement für 6 Personen)
Hotel Banners
Tel./Fax 0048 89 758 71 84
Preise zwischen ca 30 €
(Doppelzimmer) und ca. 60 € (großes Appartement
mit Dachterrasse)
Kontakt in Deutschland:
Tel. 040 85 560 303
Fax: 040 85 560 492
Anfahrt: E 7 Danzig-Warschau bis Maldeuten, dann über Mohrungen und Liebstadt |
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