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Mauerkämpfer:

 
     
 
Über zwanzig Jahre führten Bundesrepublik und DDR einen erbitterten Krieg gegeneinander. Einen Krieg der Worte, der Lügen und Parolen Zielgruppe: die Bevölkerung, vor allem aber die Soldaten des anderen Staates. Ost-Berli machte den Anfang schon etwa 1950.

Hauptträger der DDR-Infiltration war das "Büro für deutsch Gewerkschaftseinheit", das primär die Arbeiterschaft, die Gewerkschaften und link Teile der Sozialdemokratie in Westdeutschland mit Haßparolen gegen die "Kapitalisten" und andererseits mit Sirenenklängen über die "sozialistische
n Errungenschaften der DDR" ansprechen sollte. Bald gab e eigentlich für jeden Berufs- und Lebenskreis eigene Schriften – für die Jugend, die Frauen und für die allgemeine Bevölkerung existierte eine (dem bekannten Boulevardblat im Westen äußerlich nachgeahmte) "Neue Bild-Zeitung". Man gebärdete sic sogar streng nationalistisch, erschien in religiösem Gewand und benutzte ebenso vulgär Pornographie. Das Vertrauen der bundesdeutschen Bevölkerung zu ihrer Regierung und ihre Demokratie sollte um jeden Preis erschüttert, das Ansehen der westlichen Verbündete systematisch diskreditiert und schließlich die DDR als "einzig rechtmäßige deutscher Staat" dargestellt werden.

In all diesen Jahren schätzte man in Bonn die Zahl der in die Bundesrepubli eingeschleusten Flugzettel und Druckschriften auf allmonatlich zehn bis zwölf Millione und deren Kosten für das SED-Regime pro Jahr auf 48 bis 70 Millionen Mark West und 30 bi 50 Millionen Mark Ost.

Erstes Angriffsziel der Zersetzungsarbeit wurde indes sehr schnell die Bundeswehr, die von einer – bis heute auch in der DDR kaum bekannten – geheimen Gruppe de Verteidigungsministeriums in Ost-Berlin durchgeführt wurde: die "Selbständig Abteilung" unter Leitung von Oberst Mrochen und später Major Petruschke mit ihre rund 80 Spezialisten. Die dort für die westdeutschen Soldaten herausgegebenen Magazin wie "Die Kaserne", "Soldatenfreund" oder auch "Rührt Euch" zeigten – ganz im Gegenteil zur sonst sehr prüden DDR – auffallend viel Abbildungen leichtbekleideter Mädchen und waren in ihrem Inhalt allgemein eine Mischun von Drohungen vorm III. Weltkrieg und der Beschreibung der militärischen Unbesiegbarkei der UdSSR, Schmähungen der Bonner CDU/CSU-Politiker sowie der Alliierten, welch West-Deutschland "nur den Atomtod bringen" könnten.

Offiziere wurden in der Klein-Zeitschrift "Wehrpolitik" in nationalistische Art und scheinbar objektiver Darstellungsweise umworben. Für höhere Offiziere existiert die "Wahre Information für die Truppe", die der fast gleichnamigen echte Bundeswehr-Publikation in ihrem Äußeren und sogar in der guten Papierqualitä nachgedruckt war. Später gab es noch besondere Flugschriften für Fallschirmjäger un die Bundesmarine. Während die allgemeinen Flugschriften zumeist von der DDR au postalisch verschickt wurden, waren die für die Bundeswehr bestimmten Schriften – schon um den Eindruck ihrer westdeutschen Herkunft zu bekräftigen – in de Bundesrepublik selber aufgegeben. Deren Einschleusung erfolgte mit ganzen Koffern in innerdeutschen Reiseverkehr. Die Kuriere benutzten auch Lastwagen – scheinbar fü den Interzonenhandel – und sogar Schiffe, die auf der Elbe nach Hamburg kamen. Ohn größere Schwierigkeiten war es möglich, die Briefsendungen in Postkästen im Westtei Berlins zu werfen oder über die 700 Kilometer lange Zonengrenze in den Westen zu schmuggeln. Zur Tarnung dienten oftmals nachgedruckte Briefumschläge seriöse westdeutscher Firmen.

Wirkungsvoller als die Heftchen waren gefälschte "Musterungsbefehle" bzw "Ausmusterungsbescheide" der Bundeswehr; daß sie mit Postwertzeichen frankier waren anstatt mit üblichen Freistempeln, fiel wohl niemandem der Empfänger auf. S gingen Hunderten von Jugendlichen "Einberu-fungsbefehle" von einem angebliche "Wehrbezirkskommando" in Essen zu. Nur der Nachsatz, nämlich "Der Aufba der Wehrmacht ist ernsthaft gefährdet, da sich ein großer Teil der Wehrpflichtigen in die DDR begab, weil es dort keine Wehrpflicht gibt und Schutz vor Verfolgung durch die BR gewährt wird", verriet die Urheber. In anderen Bescheiden wurden junge Menschen vo ihrer Einberufung "bis auf weiteres zurückgestellt", weitere "aus de Bundeswehr entlassen" oder erhielten die Weisung, sich im "Kriegslazarett in Koblenz" einzufinden. Raffinierter noch zeigten sich Ost-Berlins Desinformanten mi Fälschungen, in denen es hieß: "Sie werden von der Musterung ausgeschlossen Sollten irrtümlicherweise Aufforderungen an Sie ergehen, so haben Sie diesen kein Beachtung zu schenken." Dann befahlen angebliche Bundeswehr-Bescheide, nicht zu Musterung zu erscheinen, da die ihnen bereits zugestellten (echten) Aufforderungen nu "Fälschungen" gewesen seien! Wiederum andere gaben vor, daß "lediglic Ladungen zur Musterung mit einer roten Querlinie gültig sind", während die echte natürlich keine hatten.

Als der damalige Generalinspekteur der Bundeswehr einmal Einladungen zu einem Empfan in Bonn verschickte, druckte man diese in Ost-Berlin nach und sandte sie in großer Zah an Politiker und Wirtschaftsmanager in der gesamten Bundesrepublik – lediglich de übliche Zusatz "Um Antwort wird gebeten" fehlte hier. Nur in letzter Minut wurde westlicherseits die Aktion entdeckt und damit das gewünschte Wirrwarr an jene Abend vermieden.

Einen großen Erfolg für die "Selbständige Abteilung" brachten ihr "Liebesbriefe": An die Heimatadresse von Offizieren, welche vorübergehend a anderen Orten ihren Dienst taten, wurden Briefe mit fingierten Mädchen-Absender geschickt, wobei man richtig spekuliert hatte, daß die Ehefrauen die extra parfümierte Botschaften ihrer angeblichen "Rivalinnen" öffneten und deren (bewuß kompromittierend gefaßten) Inhalt lesen würden.

Die Auflage solcher Schreiben dürfte 500 betragen haben, der Text war stets derselbe Da die Bundeswehr-Offiziere und erst recht ihre Ehefrauen auf solche schmutzigen Tricks in keiner Weise vorbereitet waren, scheint die Behauptung, in jenen Tagen hätten sich viel Offiziere mehr um ihre sehr mißtrauisch gewordenen Familien als um ihre Truppen-Einhei kümmern müssen, nicht übertrieben.

Es gab damals ebenfalls – wenn auch vereinzelt – fingierte Mitteilungen, da ein Offizier "bei einem Einsatz im Rahmen der Übung tödlich verunglückte" oder doch zumindest in einen "Verkehrsunfall" verwickelt gewesen sei.

Durch den Äther kam die DDR-Propaganda in Form des "Deutschen Freiheitssender 904" – dem angeblichen Sprachrohr der im Westen verbotenen Kommunistische Partei Deutschlands – und insbesondere des gegen die Bundeswehr agitierende "Deutschen Soldatensenders 935". Beide behaupteten, "im Untergrund in West-Deutschland" zu arbeiten, in Wahrheit standen sie bei dem DDR-Ort Burg in de Nähe Magdeburgs. Auch wenn dies immer offiziell in Bonn bestritten wurde: Beide Sende zeigten sich oftmals sehr schnell und gut über die Bundeswehr informiert. Daß de zackige, adlige Offiziers-Rundfunksprecher "Gerd von Northeim" in Wirklichkei Gerhard Kaiser hieß, war allerdings bald im Westen bekannt. Zudem wurde da Fernsehprogramm des "Telestudio West" im Ostteil Berlins ausschließlich in die Bundesrepublik ausgestrahlt.

In Bonn hatte man sich schon relativ früh Gedanken um diese

Zersetzungspropaganda gemacht, und so entstand 1959 unter der Bezeichnun "Führungsstab B VII" im Bundesverteidigungsministerium die Abteilun "Psychologische Kampfführung" (PsK). Unter Major Trentsch sammelte sich ei kleiner Kreis von Offizieren, Journalisten und DDR-Spezialisten, die einmal die Propagand aus Ost-Berlin analysierten und in der Öffentlichkeit widerlegten, andererseits zunehmen die "Nationale Volksarmee" jenseits der Zonengrenze propagandistisch angriffen.

Der westdeutschen Öffentlichkeit war "B VII" rund sechs Jahre völli unbekannt, bis sich eines Tages im April 1965 die bis dato nach dem Osten gehenden Wind drehten und die PsK-Flugblätter über einem Ort in Nordhessen niedergingen. Denn nahez alle Flugschriften wurden mit großen Luftballons versandt. Ihre genaue Zahl blieb geheim doch wurde publik, daß die "Psychologische Kampfführung" zwischen 1961 un 1972 pro Jahr bis zu 80 Tonnen bedrucktes Papier in die DDR flog – das dürfte alljährlich rund 18 Millionen Flugschriften gewesen sein. Zumeist handelte es sich dabe um äußerlich nachgedruckte Ausgaben der offiziellen DDR-Zeitung "Volksarmee" mit einer Auflage von je 500 000, die besonders für die Grenztruppen gedacht war un an die Soldaten appellierte, nicht auf Flüchtlinge zu schießen und sogleic Schieß-daneben-Lehren und Ausreden für Fehlschüsse vermittelte. Angesichts der Aussage von geflohenen DDR-Soldaten war man am Rhein über die Stimmung in der dortigen Arme eigentlich stets relativ gut informiert – bis hin zu den neuesten politischen Witze über das SED-System. In gleichem Maße wurden das einstige KPD-Organ "Rot Fahne" und die "Mitteldeutsche Arbeiter Zeitung" gedruckt und ab 196 außerdem jährlich vier Millionen taschenbuchkleine, in PVC-Folien eingeschweißt Bücher über die DDR gen Osten flattern gelassen.

Während der ideologischen Streitigkeiten zwischen Moskau/Ost-Berlin und Peking/Tiran flogen einmal "albanische Sportflugzeuge" – so stand es wenigstens in westdeutschen Zeitungen – westlich der Zonengrenze, welche eine "Sonderausgab für die Genossen in der Deutschen demokratischen Republik" des albanische KP-Zentralorgans "Zeri in Popullit" mit Attacken gegen die SED abgeworfe hätten, welche die Winde bis weit in die DDR trugen. Eine weitere PsK-Aktion war es, a der gesamten Ostseeküste zur Urlauberzeit kleine rote Bälle mit Slogans gegen das Regim anschwemmen zu lassen – Gerüchte wollen wissen, dies sei per U-Boot erfolgt Gelegentlich wurden von Brüssel (natürlich mit belgischen Postwertzeichen und dortigen damals andersformatigen Briefumschlägen) Kleinzeitungen per Aeroflot versandt, die zuers nach Moskau gingen und dann "von hinten" in die DDR gelangten – wo die Postzensur eigentlich nur in Richtung Westen ausgerichtet war.

Mit dem Grundlagenvertrag 1972 zwischen Bonn und Ost-Berlin endete der gegenseitig Propagandakrieg in Deutschland. Es gab damals auf beiden Seiten viele Aktionen, von dene diejenigen der "Psychologischen Kampfführung" bis heute allerdings nur seh selten bekannt geworden sind. Sie dürften gewiß auch unbekannt bleiben, denn viel Unterlagen wurden später vernichtet, und die meisten Zeitzeugen leben nicht mehr.


 
     
     
 
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