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Mittelstand - Verfolgt gegängelt und abgezockt

 
     
 
Nach dem Zweiten Weltkrieg war die Krise der deutschen Wirtschaft viel größer als heute, aber trotzdem gab es Optimismus, Investitionsbereitschaft und Wirtschaftswachstum - das nachher immer bestaunte "Wirtschaftswunder
". Doch was war damals, als alles in Trümmern lag, anders genauer gesagt besser als heute?

Während sich heute mehr als die Hälfte der Bevölkerung zurücklehnt und auf öffentliche Gaben für ihren Lebensunterhalt wartet, mußte damals jeder selbst sehen, wo er blieb, mußte man sich schon selbst regen, wenn man aus der Not kommen wollte. Das Selbstverantwortungssystem der Marktwirtschaft ist nach der zusammengebrochenen Verwaltungswirtschaft begriffen worden, weil Regierung, Wissenschaft und Publizistik diese Selbstverantwortung der Bürger einhellig abforderten und voraussetzten. Damals gab es nur Hilfe bei Not, heute gibt es Sozialleistung für alle, nicht nur für diejenigen, welche nicht können, sondern auch für diejenigen, die nicht ernsthaft wollen, oder sogar für diejenigen, welche zu diesem Zweck zu uns gekommen sind.

Zu Zeiten Ludwig Erhards waren alle NS-Gesetze abgeschafft und hatten wir die größte Gesetzesfreiheit der deutschen Geschichte. Man konnte also etwas beginnen, ohne gleich von Kompanien von Bürokraten verfolgt, gegängelt, kommandiert und abgezockt zu werden. Inzwischen muß derjenige, der sich selbständig machen oder etwas investieren will, 90.000 Vorschriften beachten, muß sich der Zwangsfürsorge von Kammern, Berufsgenossenschaften, Sozialkassen, Gewerbeaufsicht, Gewerkschaften und Ordnungsämtern erwehren. Nicht einmal die Hälfte aller Projekte kommt dabei durch.

Zu Zeiten von Ludwig Erhard dominierten die Direktlöhne. Die Lohnnebenkosten lagen unter 30 Prozent. Heute sind die Lohnzusatzkosten fast dreimal so hoch und das Sinkgewicht für Investitionen und Arbeitsplätze. Wer einen Mitarbeiter einstellen will, muß mit zirka 40.000 Euro Jahreslohnkosten rechnen. Der Mitarbeiter selbst hat aber davon nicht einmal 15.000 Euro zur Verfügung. Die Differenz zwischen dem, was unsere Mitarbeiter verdienen, und dem, was sie kosten, ist durch den gefräßigen Steuerstaat, den ausgeuferten Sozial-

feudalismus (die Berufsgenossenschaften verbrauchen 20 Prozent ihrer Beiträge für sich selbst) und durch die vor allem auf die Löhne aufgeschlagenen "Sozialleistungen für alle" untragbar und vor allem international nicht mehr wettbewerbsfähig. Die Folge: Die Kapitalgesellschaften wandern mit den Arbeitsplätzen in die Billiglohnländer Osteuropas ab, der Mittelstand kann nicht flüchten, sondern muß leiden und sterben. Wir haben inzwischen die höchste Zahl von Insolvenzen des Mittelstandes der Nachkriegszeit.

Ludwig Erhard wußte genau, wie wichtig die Psychologie für Wirtschaftswachstum ist. Er bemühte sich um Vertrauen der Unternehmer, predigte pausenlos Optimismus und tat alles, um diesen zu unterstützen. Die damalige Aufbruchsmentalität war zum großen Teil sein Verdienst.

Heute dagegen verbreiten fast täglich rote und vor allem grüne Ideologen Schreckensmeldungen, wie sie die Wirtschaft erneut belasten, gängeln, fesseln, abzocken und mißbrauchen wollen: Ständig werden neue Steuererhöhungen diskutiert, werden Arbeits- und Sozialgesetze zu Lasten der Betriebe verschärft (Betriebsratspflicht für Kleinbetriebe, Abschaffung der Karenztage, Antidiskriminierungsgesetz) und werden die Machenschaften vieler Konzernmanager zu Unrecht generell den Unternehmern angelastet und zur politischen Unternehmerdiskriminierung mißbraucht. Die Medien bringen all- abendlich im Krimi einen Unternehmer als Tätertyp; grüne und rote Ideologen wie Jürgen Trittin versuchen planmäßig, unsere Markt-

wirtschaft wieder zur Verwaltungswirtschaft umzustellen, das Sozialprodukt nicht mehr durch Unternehmer, sondern wieder durch Funktionäre herzustellen und die Wirtschaft zu dirigieren. Kein Wunder, daß die Stimmung bei den mittelständischen Unternehmern noch schlechter ist als unter Kohl, daß sich die meisten Unternehmer vom früheren Schröder-Bekenntnis zum "neuen Mittelstand" verraten fühlen.

Entscheidend aber für einen neuen Wirtschaftsaufschwung, für das Entstehen von Arbeitsplätzen und für die Möglichkeit von Investitionen ist die Finanzsituation der Betriebe. Nach dem Kriege hatte der gesamte Mittelstand kein Geld, nur Leistungsbereitschaft. Damals hat Ludwig Erhard nicht auf Fördermaßnahmen für Konzerne oder Mittelstand gesetzt, sondern als einzige Wirtschaftsfördermaßnahme die Steuerstundung der im Betrieb verbleibenden Gewinne verteidigt. Bis 1956 konnten deshalb die Betriebe um so stärker wachsen, je tüchtiger sie am Markt waren, konnten vor allem die Personalunternehmen des Mittelstandes - denen ja die Börse nicht offensteht - aus eigenen Gewinnen ihren eigenen Aufstieg finanzieren. Ludwig Erhard wußte, daß die mittelständischen Unternehmer zuerst den eigenen Betrieb vergrößern, wenn sie Gewinne machen, erst in zweiter Linie dann Gewinne entnehmen. Er hat deshalb die Steuerstundung des im Unternehmen verbleibenden Gewinns als zentrale Investitionsförderung, Arbeitsplatzförderung und Mittelstandsförderung immer verteidigt - auch in den Wahlkämpfen.

Diese Selbstfinanzierungsmöglichkeit wurde 1956 auf Betreiben der Großbanken abgeschafft, weil es ihre Aufgabe sei, die Wirtschaft zu finanzieren. Sie solle sich nicht selbst finanzieren. Seitdem ist die Eigenkapitalquote vor allem der mittelständischen Personalunternehmen dramatisch auf unter 20 Prozent, zum Teil unter 10 Prozent gesunken.

Wer die Arbeitslosigkeit ernsthaft beseitigen will, muß vor allem den mittelständischen Personalunternehmen Investitionsmöglichkeiten geben, denn diese beschäftigen über 70 Prozent der Mitarbeiter unserer Wirtschaft, nicht die Konzerne, die ständig ins Ausland verlagern. Die mittelständischen Unternehmen haben auch nach den 80er Jahren immer noch Arbeitsplätze geschaffen. Auf sie hat vor allem Ludwig Erhard mit der Steuerstundung des im Unternehmen verbleibenden Gewinns gezielt.

Ein mittelständisches Unternehmen kann nämlich nicht an den Kapitalmarkt, kann also Eigenkapital nur aus Erbschaften oder Gewinnen bekommen. Schließt man ersteres aus, sind die Gewinne einzige Eigenkapitalbildungsmöglichkeit der mittelständischen Personalunternehmen. Diese Gewinne werden aber für Personalunternehmen bisher mit 47,5 Prozent jetzt mit 44,3 Prozent besteuert, während Kapitalgesellschaften nur 25 Prozent abgeben müssen. Der Mittelstand wird also steuerlich diskriminiert, weil unsere Finanzpolitik zu Unrecht die Gewinne eines mittelständischen Unternehmens als Konsumeinkommen des Unternehmers sieht und versteuert.

Mit Recht haben deshalb der Wirtschaftsminister Clement und auch der Kanzler inzwischen die von der Mittelstandsforschung schon lange geforderte "einheitliche Betriebssteuer für alle Unternehmensrechtsformen" mit in die Debatte geworfen, denn von den Gewinnen eines Handwerkers müssen ebenso Zinsen, Mieten, Amortisationen und Investitionen bezahlt werden wie von den Roherträgen der Kapitalgesellschaften, bevor der Unternehmer selbst überhaupt etwas entnehmen kann. Im übrigen ist es auch ungerecht, daß die Konzerne die Millionengehälter ihrer Manager steuerlich absetzen, der Unternehmer aber sein Gehalt nicht steuerlich als Betriebsausgabe berücksichtigen darf. Unser Steuerrecht ist also für Personalunternehmen mittelstands-, investitions- und arbeitsplatzschädlich. Kein Wunder, daß in diesem Umfeld nicht mehr investiert, keine Arbeitsplätze geschaffen und kein Wirtschaftswachstum erzielt wird.

Seit mehr als 20 Jahren fordert die Mittelstandsforschung Hannover, die Bedingungen eines Wirtschaftswunders wie unter Ludwig Erhard durch Steuerstundung des im Betrieb verbleibenden Gewinns wiederzubeleben und auf dieser Basis vor allem dem Mittelstand wieder Selbstfinanzierung, Investitionsmöglichkeit, Wachstumsmöglichkeit und die Möglichkeit zur Schaffung von Arbeitsplätzen zu erlauben. Sogar der BDI-Präsident hat sich dieser Forderung inzwischen angeschlossen, denn auch für die Kapitalgesellschaften wäre diese Steuerstundung ein Vorteil. Man könnte sie ja auf Inlandsfinanzierung begrenzen.

Mit der Steuerstundung der im Betrieb verbleibenden Gewinne würde auch die den Mittelstand überproportional bedrohende Basel-II-Regelung entschärft.

Eigentlich müßten auch die Gewerkschaften dieser Regelung zustimmen können, weil nach den Untersuchungen der Mittelstandsforschung Hannover 84 Prozent der Unternehmer angeben, daß sie bei höheren Gewinnen diese erst im Unternehmen verwenden statt für sich entnehmen würden, daß also damit Arbeitsplätze geschaffen würden.

Mit einer gesetzlichen Freistellung der im Unternehmen verbleibenden Gewinne könnten die entnommenen Gewinne weiterhin mit den hohen Spitzensteuern belastet bleiben. Die Steuerstundung gilt ja nur für investive Gewinne, nicht für konsumtive. Insofern würde auch das Argument entschärft, daß die Gewinne den Unternehmern zugute kämen. Sie kämen vor allem dem Betrieb zugute. Letztlich handelt es sich ja nur um eine Steuerstundung, nicht um einen Steuererlaß. Irgendwann kommen Gewinne immer in den Griff des Finanzamtes. Beim Mittelstand sogar mehr noch als bei den Kapitalgesellschaften, letztlich im Erbfall.

Mit der grundsätzlichen Steuerstundung der im Betrieb verbleibenden Gewinne würde auch unser Steuerrecht vereinfacht. Die komplizierten Gewinnregeln würden entfallen. Es käme sowohl bei Personalunternehmen als auch bei Kapitalgesellschaften nur noch auf die Ausschüttungen an.

Hauptgegner jeder Selbstfinanzierung der Wirtschaft waren immer schon die mächtigen Großbanken - nicht die Sparkassen und Volksbanken. Erstere haben schon 1956 die Selbstfinanzierung politisch zur Strecke gebracht, weil sie das Geschäft selbst machen wollten. Inzwischen aber hat die Verhinderung der Selbstfinanzierung zu einer derartigen Kapitalkatastrophe in der deutschen Wirtschaft und vor allem im Mittelstand geführt, daß die Banken überwiegend an der Finanzierung der kapitalschwachen Unternehmen nicht mehr interessiert sind, also ihren Widerstand gegen die Selbstfinanzierung aufgeben müßten.

Bleibt als Hauptgegner die Finanzpolitik. Dem Finanzminister ist jede Stundung zuwider, welche Einnahmen erst seinen Nachfolgern bringt, nicht aber ihm selbst. Der Finanzminister befürchtet Steuerausfälle jetzt. Dies zeigt allerdings eine Mentalität, die eigentlich demokratisch nicht zu dulden wäre, daß nämlich die aktuelle Finanzierung der öffentlichen Hände wichtiger wäre als Investitionen, Arbeitsplätze und Wohlstand der Bürger in der Zukunft. Die Finanzpolitiker aller Parteien denken nun einmal so und müssen durch Wirtschaft, Gewerkschaften und Wirtschaftspolitik zwangskorrigiert werden. Es ist nicht Aufgabe des Staates, zuerst an sich selbst zu denken, sondern durch Wachstum der Wirtschaft Arbeitsplätze und Wohlstand der Bürger zu erhalten. Der Vorrang muß politisch wieder durchgesetzt werden, dann wird es auch wieder selbstverständlich, daß die Gewinne erst in den Unternehmen und bei den Bürgern bleiben, statt erst an den Staat zu wandern und nach Funktionärsbelieben an Subventions- und Sozialgruppen verteilt zu werden. Der Widerstand muß also politisch mobilisiert werden. In dieser Denkrichtung sind Clement und Schröder weiter als Merkel, Stoiber und Westerwelle.

Würde man mit einer Regelung der Steuerstundung von im Unternehmen verbleibenden Gewinnen zugleich radikal alle Subventionen streichen - wie Ludwig Erhard dies damals getan hat - so würden Nettoausfälle der öffentlichen Einnahmen voraussichtlich ausgeglichen oder gering bleiben.

Im übrigen ist die derzeitige Wirtschaftskrise der geeignete Zeitpunkt, eine solche Regelung wie die Steuerstundung der im Betrieb verbleibenden Gewinne durchzusetzen, weil wesentliche Gewinne zur Zeit überhaupt nicht anfallen. Anders als im Boom ist das, was tatsächlich gestundet wird, auf geringstem Niveau, ist also kein Zeitpunkt für die Stundungseinführung günstiger als jetzt.

Die Steuerstundung für im Unternehmen verbleibende Gewinne würde endlich die Ursache der Arbeitslosigkeit bekämpfen, statt mit viel teureren Programmen an den Auswirkungen der Investitionsschwäche, Arbeitsplatzdefizite und Arbeitslosigkeit, herumzukurieren. n

Der Autor ist Leiter des Mittelstandsinstituts Niedersachsen und hat vor mehr als 50 Jahren Wahlkämpfe mit Ludwig Erhard gemacht. Dessen Aussagen von damals wären auch heute hilfreich.
 
     
     
 
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