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Der Wirbel um den Überraschungssieg der NPD war groß - nur wenig fehlte zu einem neuen "Aufstand der Anständigen". Viele glaubten letzten Herbst, die 9,2 Prozent in Sachsen könnten der NPD als Sprungbrett für weitere Erfolge dienen. Neun Monate später sieht man klarer. Schon in Schleswig-Holstein im Februar blieb die Partei mit 1,9 Prozent der Stimmen deutlich unter ihren Erwartungen. Bei der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen vergangenen Sonntag erhielt sie lediglich 0,9 Prozent. Nicht einmal in den Genuß der Wahlkampfkostenerstattung kommt sie damit.
Die Chancen der NPD bei der nächsten Bundestagswahl seien eher mager, schätzt der Politikwissenschaftler Eckhard Jesse von der Technischen Universität Chemnitz . "Ich nehme jede Wette an, daß die NPD ein Ergebnis mit weniger als einer 2 vor dem Komma haben wird", so der renommierte Parteienforscher bei einem Vortrag vor der Hanns-Seidel-Stiftung in München. Jesse bezweifelt, daß der "Deutschlandpakt" von NPD und DVU halten wird. Nach seiner Einschätzung versucht die NPD einen unmöglichen Spagat: Einerseits schließe sie mit der eher national-biederen DVU ein Bündnis, gleichzeitig aber wolle sie die Mitglieder gewaltbereiter, offen neonationalsozialistischer "Kameradschaften" an sich binden.
Seit mehreren Jahren propagiert die NPD unter ihrem Vorsitzenden Udo Voigt einen "nationalen Sozialismus", wenngleich das Konzept nach Sicht Jesses kaum inhaltlich gefüllt werde. "Die NPD gibt sich viel antikapitalistischer selbst als die PDS", behauptet er. Den neuen Kurs vertreten besonders die östlichen Landesverbände mit Begeisterung. "Verschiedene NPD-Größen haben wiederholt erklärt, bei einer Wahl zwischen BRD und DDR sei dem sozialistischen Staat im Osten der Vorzug zu geben", so Jesse. Nicht nur er staunt über die kuriose Wandlung einer Partei, die in den 60er Jahren scharf antikommunistisch auftrat und gegen das SED-Regime wetterte. Allerdings verfängt die sozialistische Rhetorik der NPD bei PDS-Wählern. Analysen ergeben, daß diese vermehrt ihre Erst- und Zweistimme zwischen den zwei vermeintlichen Antipoden NPD und PDS aufteilen.
Als Herausgeber des Jahrbuchs "Extremismus und Demokratie" ist Jesse ein ausgewiesener Kenner sowohl der Parteien und Ideologien des rechten wie des linken Extremismus. Letzterer werde in deutschen Medien aber fast völlig ausgeblendet. Jesse erlebt die seltsame Asymmetrie bei seiner Arbeit: "Wenn ich Anfragen für Vorträge bekommen, dann wollen 96 Prozent der Veranstalter was zum Rechtsextremismus hören", so seine Erfahrung. "Nur zwei Prozent interessieren sich für den Linksextremismus, und zwei Prozent wollen einen wissenschaftlichen Vergleich der beiden politischen Extreme wagen." Daß die Auseinandersetzung mit rechtsextremistischen Gruppen stereotyp zum "Kampf gegen rechts" verkürzt werde, empfindet Jesse als "Mißstand", denn damit würden auch demokratische Rechte diffamiert. Den antiextremistischen Konsens gefährde zudem, wenn die SED-Nachfolgepartei zum Partner der Demokraten geadelt werde. Die PDS, so Jesse, "geht mit der Parole des ‚Antifaschismus hausieren, doch wie die NPD ist sie selbst auch im Kern gegen unsere Verfassungsordnung". Im Grunde sei die PDS "froh, daß es die NPD gibt, weil sie dann als Partner im ‚Kampf gegen Rechts als Partner der demokratischen Parteien aufgewertet wird", meint Jesse. Seine These stützt, daß die sächsische CDU nach dem NPD-Erfolg erstmals eine gemeinsame Erklärung mit den SED-Nachfolgern gegen die NPD unterzeichnet hat.
Für die Auseinandersetzung mit der NPD hat Jesse einen langen Maßnahmenkatalog entworfen, der sich stark von der regierungsamtlichen Strategie "gegen Rechts" abhebt. So fordert er eine inhaltliche Auseinandersetzung und wendet sich gegen Entrüstungsrituale und Berührungsängste. Die physische Blockade von ordentlich gemeldeten Demonstrationszügen durch "Antifaschisten", wie am 8. Mai in Berlin geschehen, lehnt Jesse ab, da dies den Rechtsstaat und die demokratischen Freiheitsrechte mißliebiger Gruppen verletze. Wichtig sei aber auch, so Jesse, daß die Union als breite Volkspartei das patriotische und konservative Spektrum abdecke. Sie müsse Probleme der Zuwanderung und der Inneren Sicherheit ansprechen und die Sorgen des "kleinen Mannes", etwa im Bezug auf die EU, ernstnehmen. Ohne das Stichwort "politische Korrektheit" zu erwähnen, sagte Jesse hierzu: "Wer heikle Themen tabuisiert, der leistet den Extremisten Vorschub." Pli |
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