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Die Charta (der deutschen Heimatvertriebenen) ist ein Dokument des europäischen Friedens (...) Die deutschen Heimatvertriebenen sind ein konstruktiver und friedlicher Faktor beim Bau des europäischen Hauses. Wer anderes behauptet, wer sie als Revanchisten oder Ewiggestrige in eine bestimmte Ecke stellen will, weiß nichts von den viel tausendfachen Begegnungen zwischen den deutschen Heimatvertriebenen und Polen, Tschechen oder Ungarn, der weiß nichts von den vielfältigen materiellen Leistungen für Kirchen, Friedhöfe, Denkmäler und Schlösser in der alten Heimat. Hier wird ganz selbstverständlich Europa von unten gebaut (...)
Und die Charta ist ein Dokument der Weiterentwicklung des Völkerrechts. Seit jener Charta, die Vertreibung ächtete und das Recht auf Heimat für Vertriebene anmahnte, und dank des unermüdlichen Wirkens der deutschen Heimatvertriebenen wird heute in vielen internationalen Dokumenten die Ver- treibung als das bezeichnet, was sie ist, als ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Die Charta der Grundrechte der Europäischen Union z. B. bestimmt in Artikel 19, daß „Kollektivausweisungen unzulässig“ sind. Dieser Art. 19 ist ebenso ein Fortschritt wie auch die jüngste Verurteilung des bosnischen Serbengenerals Radislav Krstic zu 46 Jahren Gefängnisstrafe durch das UNO-Kriegsverbrechertribunal in Den Haag. Milosevic sitzt im Gefängnis und wartet auf seinen Prozeß. (...) Nirgendwo auf der Welt und von niemandem kann heute mehr die Vertreibung von Menschen vor der Staatengemeinschaft legitimiert und gerechtfertigt werden. Dies ist sicher mit ein Erfolg der deutschen Heimatvertriebenen.
Um so anachronistischer steht z. B. heute immer noch ein Gesetz wie das sog. Amnestiegesetz vom Mai 1946 im europäischen Raum, das in der damaligen Tschechoslowakei die Verbrechen an Deutschen straffrei stellte. Dagegen ist es erfreulich, wenn in Polen der ehemalige Kommandant des Internierungslagers Lamsdorf, Czeslaw Geborski, vor Gericht steht. (...)
Leid ist nicht teilbar, Opfer sind nicht teilbar und sollten nicht unterschiedlich qualifiziert werden. Deutsche haben durch Russen, Polen, Tschechen und im Namen der jeweiligen Regime ge- litten. Juden, Russen, Ukrainer, Polen, Tschechen und viele andere Völker haben durch Deutsche und in deutschem Namen gelitten. (...)
Trotz gebrochener Identitäten brauchen wir als Nation, brauchen wir als Volk und als Gemeinschaft Selbstvergewisserung, Selbstwertgefühl und Selbstachtung. Und zu dieser Selbstachtung gehört meines Erachtens die Trauer um die eigenen Toten, die Trauer um das Leid der Landsleute bei Flucht und Vertreibung, die Trauer um die Toten an der innerdeutschen Grenze und an der Mauer hier in Berlin. Auch da gibt es nichts zu verdrängen, nichts zu bagatellisieren. Trauer und Erinnerung an die Vertreibung müssen selbstverständlicher Teil unseres nationalen historischen und kulturellen Fundus sein. In jeder anderen europäischen Nation wäre das selbstverständlich. (...)
Wer sich nicht erinnert, bleibt namenlos, versinkt im Dunkel der Geschichte. Wer sich dagegen erinnert, bleibt unverwechselbar, behauptet seine Identität. Diese Identität zu behaupten, war und ist die große Sorge der Heimatvertriebenen. (...) Jede Stadt ab etwa 20.000 Einwohner hat in Deutschland einen Kulturreferenten. Die Millionen Heimatvertriebenen, die zerstreut über Deutschland leben, hatten nur wenige hauptamtliche Kulturreferenten. Und diese wenigen wurden vom früheren Staatsminister für Kultur und Medien, Herrn Naumann, radikal dezimiert.
Ihren Stiftungen, die zudem eher bescheiden ausgestattet waren, wurden hart und kalt die Mittel entzogen.
Diese Maßnahmen schmerzen. Denn man kann sich nicht des Eindrucks erwehren, daß die kulturellen Einschnitte aus ideologischen Gründen bewußt gewollt, Spargründe nur vorgeschoben sind.
Die Ihnen zugefügten Einschnitte können heute nicht mehr durch erhöhtes ehrenamtliches Engagement aufgefangen werden. Denn wir stehen an der Nahtstelle von erlebter Geschichte zur Geschichte. (...)
Und da sage ich deutlich: Dafür reichen die von 48 Millionen DM auf 33 Millionen DM gekürzten Mittel des Bundes in Zukunft nicht aus. Die Bundesregierung tut für die Bewahrung ostdeutscher Kultur in Tiefen- und Breitenwirkung eindeutig zu wenig. Zu diesen verläßlichen Strukturen in der Zukunft gehört zweifelsohne das geplante Zentrum gegen Vertrei- bungen hier in Berlin. Wir errichten in Deutschland viele Erinnerungsstätten. Warum soll es nicht auch eine zentrale Einrichtung für die Erinnerung an Flucht, Vertreibung und Deportation an das Gesamtgeschehen dieses 20. Jahrhunderts geben, das auch das Jahr- hundert der Vertreibungen genannt wird? Über 15 Millionen unserer Landsleute wurden davon betroffen, ca. zwei Millionen verloren ihr Leben. Ist dieses Geschehen denn nicht einer bleibenden Erinnerung in einer zentralen Institution an einem zentralen Ort unseres Landes wert? (...)
Für die Union kann ich sagen: wir wollen dieses Zentrum gegen Vertreibungen. (...) Der einfache Schlußstrich unter die Geschichte mag sehr bequem sein. Aber er ist nichts anderes als Flucht aus und vor der Verantwortung.
In beiden Ländern (der Tschechischen Republik und Polen) bewegt sich etwas in der Gesellschaft. Das begrüßen wir. Wir setzen darauf, daß sich in offenen, demokratischen Gesellschaften die historische Wahrheit durchsetzt, daß das lange von den Kommunisten aufgebaute Lügengebäude und das einseitige Geschichtsbild zunehmend der Vergangenheit angehören. Offene Auseinandersetzung mit der eigenen Vergangenheit ist Voraussetzung für das Aufeinanderzugehen (...)
Daß dies (Verständigung und Versöhnung) möglich ist, zeigen bereits die vielen Einladungen von Bürgermeistern an die Vertriebenen, zeigt z. B. auch, daß Herbert Hupka von seiner Heimatstadt Ratibor mit der Verdienstmedaille ausgezeichnet wurde. Wie beispielhaft sich Ungarn, der slowakische Staatspräsident Schuster oder der estnische Ministerpräsident Meri gegenüber den deutschen Vertriebenen verhalten, wissen Sie selbst am besten.
Hinsichtlich der EU-Osterweiterung stellte Stoiber klar: „Wir wollen diese EU-Erweiterung auf der Basis der Kopenhagener Kriterien gestalten. (...) Und die Vertreibungsdekrete, soweit sie die Vertreibung, Entrechtung und kollektive Ausweisung der Deutschen betreffen, sind eine Belastung. Vertreibungsdekrete, in welchem europäischen Land auch immer, haben in einer Europäischen Union keinen Platz. Anachronistisch ist nicht das Verlangen der Vertriebenen, diese Dekrete endlich aus der Welt zu schaffen. Anachronistisch scheint mir vielmehr zu sein, daß diese Dekrete zwölf Jahre nach der europäischen Wende und dem Aufbruch zur Freiheit immer noch Bestand haben und gerechtfertigt werden.
Damit ich richtig verstanden werde. Es geht dabei nicht um materielle Dinge. (...) Es geht aber sehr wohl um das geistig-moralische Wertefundament Europas. Das betrifft alle Europäer. Und da sage ich: Vertreibungsdekrete passen nicht in eine Werteordnung, die diesen Kontinent, seine Völker und Nationen in Zukunft tragen soll. (...) Auch im Europäischen Parlament setzt sich zunehmend die Einsicht durch, daß solche Dekrete absolut nichts mit der europäischen Werteordnung von heute zu tun haben. (...)
Das Europa der Zukunft wird ein Europa der Nationen und Regionen sein. (...) Und die deutschen Minderheiten, die in diesen Heimatregionen noch leben, sind ein wichtiger Baustein in diesem Europa (...). Nach über 40jähriger Unterdrückung von Kultur und Sprache können sie sich seit nunmehr zehn Jahren frei entfalten. Diese kulturelle Entfaltung der deutschen Minderheiten braucht freilich unsere Unterstützung, die Unterstützung des Bundes wie die Unterstützung der Länder. (...)
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