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Politik mit Zähnen und Klauen

 
     
 
Briefmarken gelten heute zwar nicht mehr als "Aktien des kleinen Mannes". Dafür sind Nachfrage und Preise in der überalterten deutschen Sammlerschaft zu stark gesunken. Auch die anhaltende Rationalisierungs- und Automatisierungspolitik der Deutschen Post AG gefährdet langfristig die Zukunft der Briefmarke als farbenfrohe Portoquittung, Sammelgegenstand und aussagekräftiges Kulturzeugnis.

Doch noch erfahren alte wie neue Briefmarken eine nicht zu unterschätzende Beachtung in der Öffentlichkeit. Damit bekommen die kleinen gezackten Kunstwerke zugleich einen politischen Stellenwert. Nicht von ungefähr spricht man in bezug auf die amtliche Planung der durch Neuausgaben zu berücksichtigenden Jahrestage und sonstigen Inhalte von "Ausgabepolitik".

Welche Streitigkeiten sich an der thematischen wie graphischen Gestaltung von Briefmarken entzünden können, dafür gibt es in der Philateliegeschichte Beispiele zuhauf. Im Kalten Krieg
lieferten sich die BRD und die DDR mehrmals einen "Postkrieg", bei dem das SED-Regime unter anderem eine 1953 erschienene Marke zur Erinnerung an noch in Kriegsgefangenschaft befindliche deutsche Soldaten sowie solche zum Gedenken an "10 Jahre Vertreibung" beziehungsweise "20 Jahre Vertreibung" schwärzen oder auf andere Weise unkenntlich machen ließ.

Im Gegenzug verweigerte die Bundespost die Beförderung eines DDR-Ersttagsumschlags zum zehnjährigen Bestehen der Berliner Mauer mit dem Text "Zehn Jahre antifaschistischer Schutzwall - Zehn Jahre sicherer Schutz des Friedens und des Sozialismus".

Auch Auswüchse der Political Correctness aus jüngerer Zeit schlugen sich in Diskussionen über einzelne Marken nieder. So wurde 1997 eine ursprünglich gedruckte Ausgabe zum 200. Geburtstag Heinrich Heines zurück-gezogen, weil in den Ecken der Bogenränder das Geburts- und Todesjahr des berühmten deutsch-jüdischen Dichters durch Runen symbolisiert war. Diese Lebens- und Todesrunen erschienen maßgeblichen Journalisten und Politikern durch die propagandistische Bedeutung der Runensymbolik im Dritten Reich zu stark vorbelastet.

Das jüngste deutsche Briefmarken-Politikum ist hochaktuell. Anlaß ist der 12. Mai 2005, an dem sich die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Israel zum 40. Mal jährt. An eben diesem Tag sollte auch eine motivgleiche Sondermarke in beiden Ländern erscheinen, mit Inschriften in deutsch und hebräisch.

Doch im Vorfeld des längst festgesetzten Erscheinungsdatums der Gemeinschaftsausgabe taten sich immer neue Probleme auf.

Spätestens nach dem Erscheinen eines Berichts über die Markenpläne in der Tageszeitung The Jerusalem Post im Dezember hagelte es in Israel Proteste, die eine Bezugnahme auf den Holocaust verlangten.

Obwohl der von deutscher Seite gelieferte Entwurf nicht veröffentlicht wurde, weisen israelische Presseberichte darauf hin, daß wohl die Abbildung beider Staatsflaggen geplant war. Schließlich ging es ja um die Illustration des Ausgabeanlasses "40 Jahre diplomatische Beziehungen". Doch davon wollte die israelische Seite, die anfangs durchaus grünes Licht gegeben hatte, plötzlich nichts mehr wissen.

Gemäß einer Entscheidung des unter anderem für die Gestaltung von Briefmarken zuständigen "Ministeriellen Komitees für Zeremonien und Symbole" am 5. Januar soll die Gemeinschaftsausgabe nur dann erscheinen, wenn sie einen deutlichen Hinweis auf den Holocaust beinhaltet.

Jüngsten Informationen aus dem Bundesfinanzministerium zufolge soll die Marke nun frühestens im Juli an den Postschaltern erhältlich sein.

Wahrscheinlich wird die deutsche Seite bis dahin eingelenkt haben. Der einseitige Druck des Flaggenmotivs dürfte den Berliner Politikern angesichts möglicher Verstimmungen in Tel Aviv nicht ratsam erscheinen, obwohl man darauf verweisen könnte, daß es bereits deutsche Briefmarken mit Holocaust-Bezügen gegeben hat, etwa in Gestalt einer Blockausgabe von 1995 zum "50. Jahrestag der Befreiung der Gefangenen aus den Konzentrationslagern".

Ein kompletter Verzicht auf das Briefmarkenvorhaben ist aber erst recht unvorstellbar. Schließlich stand schon bei der in Israel jetzt bemängelten ursprünglichen Planung der politische Wille Pate, offenbart doch der 40. Jahrestag der Aufnahme diplomatischer Beziehungen - gemessen an sonstigen Anforderungen für besondere Ausgabeanlässe (in der Regel zumindest 50jährige oder besser noch 100jährige Jubiläen) - vor allem den Drang zur Vergangenheitsbewältigung.

Otto Normalbürger darf sich am 12. Mai über diesen fast schon neurotischen Eifer hinwegtrösten, indem er am Postschalter die Marke zum 200. Todestag des großen deutschen Dichters Friedrich von Schiller erwirbt. Oder er kann die kurzfristig in die Planung aufgenommene Sondermarke zum Tode Papst Johannes Pauls II. ordern und sich beim anschließenden Frankieren der Briefe am Gedanken über dessen Nachfolger erfreuen.
 
     
     
 
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