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Proklamation des Freistaates Danzig

 
     
 
Als nach dem Ersten Weltkrieg die Friedensmacher von Versailles daran gingen, die östlichen Grenzen des Deutschen Reiches zu diktieren, hatte die Weichselmetropole schon zweimal den eigenartigen Status einer "Freien Stadt" getragen: Zwischen 1454 bis 1793 erkämpfte sich das deutsche Danzig den Rang einer selbständigen Patriziatsrepublik unter dem freiwillig gewählten Schutz der polnischen Krone, die auch von deutschen Fürsten getragen worden ist. Nach einem kurzen preußischen Intermezzo folgte dann von 1807 bis 1814 eine zweite Epoche
als Freie Stadt, diesmal von Napoleons Gnaden.

Einer der "14 Punkte" des amerikanischen Präsidenten Wilson war die "Errichtung eines unabhängigen polnischen Staates, unter Gewährung eines freien Zugangs zum Meer". Wilson erweiterte seine 14 Punkte in einer vier Wochen später gehaltenen Kongreßrede um die Postulate: keine Annexionen, keine Kriegsentschädigungen, kein strafrechtlicher Schadensersatz. Das waren die Vorschläge, auf deren Basis Deutschland sich zu Friedensverhandlungen bereit erklärte. Erst als im Reich die von unabhängigen Sozialdemokraten und Marxisten von langer Hand vorbereitete Revolution ausbrach und der Kaiser sich ruhmlos nach Holland absetzte, forderten die Siegermächte die völlige Unterwerfung. In dem Artikel 231 des Versailler Vertrags mußte Deutschland sich außerdem zur alleinigen Kriegsschuld bekennen.

Als die Bedingungen des Friedensdiktates nach Danzig durchsickerten, bemächtigte sich der Einwohner eine starke Erregung. In machtvollen Kundgebungen demonstrierten Hunderttausende von Danzigern gegen eine Abtrennung vom deutschen Vaterland. In einem Protesttelegramm des Magistrats an das Reichsinnenministerium heißt es: "… unsere alte Hansestadt Danzig ist durch deutsche Kulturkraft entstanden und gewachsen, sie ist kerndeutsch. Wir nehmen für uns das Selbstbestimmungsrecht der Völker in Anspruch. Wir wollen deutsch bleiben immerdar". Doch die Danziger Bevölkerung wurde vor vollendete Tatsachen gestellt.

Dabei war der gefundene Kompromiß, der im engeren Ausschuß der Versailler Konferenz von den "Großen Vier" ausgehandelt worden war, noch nicht die allerschlechteste Lösung. Denn wäre es nach dem Willen Frankreichs gegangen, hätte Danzig an Polen abgetreten werden müssen. Die britische Diplomatie verfolgte aber andere Ziele, England wollte verhindern, daß die französische Landmacht zu mächtig wurde. Das meerbeherrschende Albion konnte keine Freude an einem französischen Stützpunkt im Danziger Hafen haben, den die Polen, schon aus Gegnerschaft zu Deutschland, den Franzosen bei Vereinnahmung Danzigs gerne eingeräumt hätten. Bismarck hatte einmal erklärt, ein wiedererstandenes Polen würde ein französisches Militärlager an der Weichsel sein.

Die Alliierten einigten sich schließlich, die Stadt Danzig nebst einem umliegenden Gebiet, in eine "Freie Stadt, umzuwandeln, deren Statusgarantie der Völkerbund übernehmen sollte. Die Artikel 100 bis 108 des Versailler Vertrages enthielten weitere Bestimmungen über eine auszuarbeitende Verfassung, über die Einsetzung eines Hohen Kommissars des Völkerbundes, die Erwerbung der Danziger Staatsangehörigkeit und schließlich über die den Polen zustehenden Rechte in dem neugegründeten Staatswesen. Alle Einzelheiten sollten in einem Vertrag zwischen Danzig und Polen direkt ausgehandelt werden. Und hierin lag eine große Gefahr, denn es war zu erwarten, daß Polen mit allen Mitteln eine möglichst große Anzahl von Rechten in Danzig zu sichern trachtete.

Wenn trotzdem der unter dem Namen "Pariser Konvention zwischen Danzig und Polen" bezeichnete Vertrag für die Hansestadt einigermaßen glimpflich ausfiel, war das zwei Umständen zu verdanken: Einmal dem britisch-französischen Gegensatz und zum anderen der starken Persönlichkeit Heinrich Sahms. Dieser erste Senatspräsident Danzigs war eine auffallende Erscheinung von preußisch-markantem Zuschnitt. Der gebürtige Pommer hatte Rechts- und Staatswissenschaften studiert, trat in den preußischen Verwaltungsdienst ein und wurde während des Ersten Weltkrieges Kommunalreferent für die Lebensmittelversorgung in Warschau. Die Danziger Stadtverordnetenversammlung wählte ihn am 2. Februar 1919 zum Oberbürgermeister.

Sofort wurde Heinrich Sahm mit den kompliziertesten Fragen konfrontiert. Zunächst galt es einen Verfassungsentwurf für die künftige "Freie Stadt" auszuarbeiten, der dann einer aus freien Wahlen hervorgegangenen "Verfassunggebenden Versammlung" zur Entschließung vorgelegt wurde. Die Wahl brachte für die Deutschnationale Volkspartei die meisten Stimmen, gefolgt von Kommunisten, Sozialdemokraten und Zentrum. Das Jahr 1920 war eines der schwierigsten und entscheidendsten für den entstehenden Freistaat. Unter der Führung Sahms reiste eine Danziger Abordnung nach Paris, um nach dem Willen der Alliierten, in einem Übereinkommen mit Polen, alle strittigen Fragen zu klären.

Die Einwirkungsmöglichkeiten der Danziger Delegation auf den von den Alliierten bereits ausgearbeiteten Konventionstext waren jedoch gering. Trotzdem kam es zur Unterzeichnung. Stets die Gefahr einer dauernd drohenden polnischen Okkupation vor Augen – vor kurzem erst hatten dies polnische Banden im Falle Wilnas praktiziert – war man der Meinung, daß ein schlechter Vertrag immer noch besser sei als gar kein Vertrag. Von einer souveränen "Freien Stadt" konnte freilich keine Rede sein, dafür hatte Polen zu viele Rechte in Danzig erhalten. Unter anderen enthielt die Konvention folgende Bestimmungen: Polen und Danzig bilden ein einziges Zollgebiet mit polnischer Zollgesetzgebung. Für die Verwaltung des Hafens wird ein Ausschuß geschaffen, der zu gleichen Teilen aus Danziger und polnischen Vertretern zusammengesetzt ist. Die Eisenbahn wird von Polen verwaltet.

Am 15. November 1920 wurde in einer feierlichen Sitzung die Proklamation der Freien Stadt Danzig durch den Stellvertretenden Oberkommissar Oberstleutnant Strutt vollzogen. Der Freistaat gliederte sich in zwei Stadtkreise und drei Landkreise. Die 383 995 Einwohner bewohnten eine Fläche von 1966 Quadratkilometern, die im Westen vom polnischen Korridor, im Osten von der Provinz Ostdeutschland begrenzt wurde. Die gesetzgebende Körperschaft war der Volkstag mit 120 Abgeordneten (1930 auf 72 Mitglieder verringert). Oberste Landesbehörde war der vom Volkstag gewählte Senat mit einem Senatspräsidenten an der Spitze, die Amtssprache war deutsch. Ein Hoher Kommissar des Völkerbundes hatte die Aufgabe eines Schiedsrichters bei Streitigkeiten zwischen Danzig und Polen. Der Freistaat gab eigene Briefmarken heraus, er besaß eine eigene Währung.

Durch die Jahrhunderte hatte Danzig seinen deutschen Charakter bewahrt, es hielt auch in der Freistaatzeit die Kultureinheit mit dem deutschen Vaterland aufrecht. So schlossen sich die Verordnungen für das Schulwesen der in Preußen geltenden Regelung an, ebenso sind im Rechtswesen die deutschen Justizgesetze beibehalten worden. Bei der Volkstagswahl am 8. Mai 1933 entfiel auf die polnische Liste ein Stimmenanteil von 3,1 Prozent.

Im "Grünbuch" "Die Freie Stadt Danzig" (herausgegeben in Lübeck, Juni 1994) heißt es: "Der rechtliche Status Danzigs hat seit 1920 keine Änderung erfahren. Weder die Wiedervereinigung 1939 noch die Übertragung der Verwaltungsbesetzung an Polen 1945 haben diese Rechtslage verändert. Die Freie Stadt Danzig ist auf der Grundlage der zwingenden Völkerrechtsnormen des Gewalt- und Annexionsverbotes und des Selbstbestimmungsrechts der Völker heute immer noch de jure Staat und Völkerrechtssubjekt."

 
     
     
 
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