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In der Ausgabe 11/12-2000 des einflußreichen amerikanischen Periodikums "Foreign Affairs" findet sich ein höchst informativer Beitrag der amerikanischen Politologin Jessica Stern über die "Kultur des Heiligen Krieges in Pakistan". Stern ist derzeit als Dozentin an der Harvard Universität tätig und Mitglied des Rates für ausländische Angelegenheiten der USA. 1994 bis 1995 arbeitete sie in expo nierter Position für den Nationalen Sicherheitsrat der USA als Expertin für Rußland und die Nachfolgestaaten der ehemaligen Sowjetunion. In dieser Position war sie verantwortlich für die Sicherheitspolitik der USA gegenüber diesen Staaten beziehungsweise für die Bekämpfung von Uranschmuggel und Terrorismus. Über das Thema Terrorismus hat sie ein Buch ("The ultimate Terrorists", 1999) und eine Reihe von Artikeln publiziert. Stern ist also eine ausgewiesene Expertin für das Thema "Terrorismus". Darüber hinaus dürften ihre Publikationen auch den Stand der Meinungsbildung innerhalb der US-Regierung wiedergeben.
In ihren Foreign-Affairs-Betrachtungen über die Rolle des militanten Islams in Pakistan geht Stern mit den terroristischen Traditionen des Landes ins Gericht. Wie ernst die USA die Gefahren der von Stern so genannten "Dschihad-Kultur" Pakistans nehmen, zeigt die Tatsache, daß die US-Regierung die terroristische Gefahr in Südasien inzwischen höher als die im Mittleren Osten einstuft. In der Wahrnehmung des Westens, so Stern, fokussiere sich das Problem in der Regel auf die Auseinandersetzungen um den Kaschmir. Pakistan leiste dieser Sichtweise Vorschub, indem es die im Kaschmir agierenden Guerillas als "Freiheitskämpfer" bezeichne. Diese würden, so Pakistans Militärherrscher General Pervez Musharraf, einen "Heiligen Krieg" führen, der keineswegs mit "Terrorismus" gleichzusetzen sei.
Stern sieht insbesondere zwei Gründe, warum Pakistan die sogenannten "Mudschaheddin" unterstützt. Einmal verzeihe Pakistan Indien nicht dessen angebliche Unterstützung der Unabhängigkeitsbestrebungen des ehemaligen Ostpakistans, des heutigen Bangladesh. Zweitens stelle Indien Pakistan sowohl in Hinsicht auf die Bevölkerungsentwicklung als auch auf die militärische und ökonomische Stärke in den Schatten. 1998 investierte Indien zum Beispiel zwei Prozent seines sich auf 469 Milliarden Dollar belaufenden Bruttosozialproduktes (BSP) in das Militär. Pakistan investierte zwar fünf Prozent seines BSP in Militärausgaben, dieses belief sich aber nur auf 61 Milliarden Dollar. Vor diesem Hintergrund erklärt sich die Unterstützung der sogenannten "Mudschaheddin" durch Pakistan. Diese sind in der Lage, relativ große Kontingente der indischen Armee im Kaschmir zu binden. Stern weist in diesem Zusammenhang darauf hin, daß derzeit rund 400 000 indische Soldaten im Kaschmir stationiert sind.
Rekrutiert werden die "Gotteskrieger" aus den "Schulen des Hasses". So bezeichnet Stern die islamischen religiösen Schulen (Madrasahs), die über ganz Pakistan verstreut sind. Sie böten nicht nur eine kostenlose Erziehung, sondern auch gebührenfreie Kost und Logis. Darüber hinaus würden die Zöglinge sogar noch kostenlos eingekleidet. Viele Madrasahs beschränkten sich aber ausschließlich auf die Vermittlung religiöser, meint: islamischer Prinzipien. Einige Schulen, so Stern, setzten den "Dschihad" mit dem terroristischen Guerillakrieg gleich. Diese hielten ihre Schüler dazu an, ihren "spirituellen Verpflichtungen" nachzukommen, in dem sie gegen die Hindus im Kaschmir kämpften. 40 000 bis 50 000 religiöse Schulen soll es in Pakistan geben, registriert seien aber nur etwa 4350. Befragt nach ihren Zielvorstellungen, geben die Zöglinge dieser Schulen unumwunden zu, daß ihr Vorbild das Taliban-Regime in Afghanistan ist. Ein von Stern interviewter 19jähriger "Gotteskrieger" läßt durchblicken, daß der "heilige Krieg" mit der Rückeroberung des Kaschmir keineswegs beendet sei. Ganz Pakistan müsse zu einem islamischen Staat nach Taliban-Vorbild werden.
Aus westlicher Sicht muß beunruhigen, daß Pakistans "Gotteskrieger" inzwischen zu einem Exportartikel geworden ist, der den "Dschihad" über die ganze Welt auszubreiten droht. Warum gerade Pakistan eine derartige Rolle einnehme, beantwortet Stern mit dem Hinweis auf die desaströsen Folgen der gegenwärtigen Regierungspolitik. Die darniederliegende Wirtschaft und korrupte Eliten seien die Wurzel vieler Probleme. Pakistan investiere, so Stern, lieber in Waffen als in das öffentliche Erziehungs- oder Gesundheitssystem. Nicht unterschlagen werden sollte in diesem Zusammenhang, daß die USA maßgeblich an der Weckung eines ersten "internationalen Dschihads" in Afghanistan beteiligt waren, um die Sowjetunion zu schwächen. Darauf nimmt ein von Stern interviewter pakistanischer Beamter Bezug, wenn dieser erklärt: "Der Dschihad ist eine geistige Haltung. Er hat sich über Jahre hinweg während des Afghanistan-Konfliktes entwickelt. Diese Haltung kann nicht innerhalb von 24 Stunden verändert werden."
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