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Nach dem Zerfall der Sowjetunion glaubten viele, mit dem Erbe Stalins sei zugleich auch das Erbe des russischen Kolonialismus überwunden Doch heute, zehn Jahre nach dem Fall der Mauer und der Überwindung der Teilung Europas tobt tief im Kaukasus einmal mehr ein blutiger Vernichtungs- und Vertreibungskrieg. Nu wenige Medien machen auf die Katastrophe dort aufmerksam, mit Kommentarüberschriften wi Der Westen schaut weg oder Krieg und kein Aufschrei!. Dabe könnte das, was sich in und um Tschetschenien derzeit abspielt, die Gefährlichkeit alle bisherigen Konflikte mit Milos?evic´ und den Kriegsherren im Kreml bei weitem in de Schatten stellen.
Letztere haben diesmal propagandistisch sehr gut vorgebaut. Ihre teils bewußten, teil unbewußten Hilfstruppen in verschiedenen Medien haben seit einigen Monaten von de "fundamentalistischen Gefahr" geschrieben, die auch für Europa vo Tschetschenien ausgehe. Untermauert wurde dies in den letzten Wochen offenbar durch die mysteriösen, hinterhältigen und brutalen Terroranschläge auf russische Mietshäuser denen Hunderte von unschuldigen Zivilisten, darunter viele Kinder, zum Opfer fielen.
Die Lage schien förmlich nach Polizeiaktionen de Ordnungskräfte zu schreien. Kaum jemand sah, wie gespenstisch sich die Muste glichen. Auch Milos?evic´ hatte behauptet, er müsse das christliche Abendland gegen de muslimischen Ansturm der Albaner verteidigen, bis über eine Million vertriebene Zivilisten der Weltöffentlichkeit die Wirklichkeit drastisch vor Augen führte.
Zum Beleg dafür, daß im Kaukasus eine geheimnisvolle muslimische Internationale de Terrorismus am Werke sei, wurden von russischer Seite ständig die Namen jordanischer ode türkischer Kämpfer ins Feld geführt, die aus rein religiösen Gründen, au "Fundamentalismus", dort im Einsatz seien. Daß in der Tat Freiwillige au diesen Ländern den Tschetschenen und anderen Kaukasusvölkern zur Seite stehen, hat inde ganz andere Gründe: Als der zaristische Kolonialismus Mitte des letzten Jahrhunderts dor ein Unterdrückungssystem errichtete, wurden Zehntausende von Tscherkessen, Tschetschene und anderen kaukasischen Muslimen ins osmanische Reich vertrieben, wo sie sich in de heutigen Türkei und in der heutigen arabischen Welt niederließen.
Es ist viel zu wenig bekannt, daß die jetzige jordanische Hauptstadt Amman bis vo wenigen Jahrzehnten noch ein kleiner Ort und mehrheitlich von vertriebenen Tscherkesse bewohnt war. Die Türken und Araber, die man heute im Kaukasus findet, sind meist die Urenkel oder Ururenkel von kaukasischen Vertriebenen ein drastisches Argument gege den Wahn, Vertreibungsprobleme durch Aussterben der Erlebnisgeneratio "biologisch" lösen zu können.
Auch das Tschetschenien-Problem von heute hat ursächlich mit dem Thema Vertreibung zu tun, nämlich mit der Deportation des ganzen Volkes durch Stalin gegen Ende des Zweite Weltkrieges. Der russisch-nationalistische Georgier an der Spitze der Sowjetmacht hatt die freiheitsliebenden Tschetschenen als angebliche Kollaborateure in Lager in de kasachischen, kirgisischen und sibirischen Steppen gepfercht. Erst unter Chruschtscho durften sie nach und nach in ihre verwüstete und teilweise inzwischen russisch besiedelt Heimat zurückkehren.
Im benachbarten Daghestan hatte derselbe brutale Spätkolonialismus die kompliziert Vielvölkerwelt völlig durcheinandergebracht. Von den 36 daghestanischen Nationen deren größte die Awaren sind, die mit dem Imam Schamil den berühmteste Widerstandskämpfer gegen die russische Invasion im letzten Jahrhundert gestellt hatte leben heute fast alle auf dem Gebiet, das ursprünglich den jeweils andere gehörte, was jüngst bei den Kämpfen in der tschetschenisch-daghestanischen Grenzregio eine erhebliche Rolle spielte.
Unter den tschetschenischen Kindern, die in der stalinistischen Verbannung aufwuchsen war auch der kleine Dschochar Dudajew, der später in die Rote Armee eintrat mit dem Ziel sein Volk eines Tages in die Unabhängigkeit zu führen. Er brachte es durch Fleiß un Mut zu einem der höchstdekorierten sowjetischen Generäle und fungierte in den Jahren vo 1991, als sich die Sowjetunion auflöste, als sowjetischer Kommandeur im Baltikum, wo e den Befehl aus Moskau verweigerte, die Freiheitsbewegung der Esten und Letten in Blut zu ersticken. Deshalb heißen dort, aber auch in der Westukraine und anderen Teilen de ehemaligen Sowjetunion Straßen und Plätze nach ihm. 1991 wurde er tschetschenische Präsident und führte ab 1994 den Widerstand gegen die russische Invasion, der mehr als 60 000 Menschen zum Opfer fielen und nach der die OSZE einen Bericht über extre schwere Menschenrechtsverletzungen durch das russische Militär vorlegte. Am 21. Apri 1996 ließ die Moskauer Militärführung Dudajew durch einen gezielten Raketenangriff au ein freies Feld, wo er gerade per Funk telefonierte und dadurch zu orten war, töten.
Der KGB und seine Nachfolgeorganisationen schürten schon in den achtziger Jahren, abe erst recht nach der Beseitigung Dudajews und des georgischen Präsidenten Gamsachurdia in Kaukasus jeden denkbaren ethnischen Konflikt, in Tschetschenien auch zwischen den dor typischen und sehr unabhängigen Clans. Das vom russischen General Lebed und de tsche-tschenischen Stabschef Maschadow ausgehandelte Waffenstillstandsabkommen wurde vo den Herren im Kreml insofern nie eingehalten, als die versprochene Aufbauhilfe für das zu achtzig Prozent zerstörte Land bis heute ausblieb und äußerer Druck ebenso wie inner Wühlarbeit weiterhin die Instrumente des Moskauer Kolonialismus in Tschetschenien waren.
Als Vorwand diente stets der Kampf gegen kriminelle Banden die es in gan Rußland und in den meisten sowjetischen Nachfolgestaaten gibt, die aber im Falle de Kaukasier vom Kreml mißbraucht werden, um ganze Völker dort zu kriminalisieren Hintergrund sind die mächtigen Ölinteressen des russischen Energiekonzern Gazprom, de die russische Politik ganz wesentlich bestimmt. Rings um das kaspische Meer befinden sic bedeutende Öl- und Gasreserven, und Rußland glaubt nur dann davon ausreichen profitieren zu können, wenn die entsprechenden Pipelines über sein Gebiet verlaufen, wa den Kaukasus und vor allem Tschetschenien zum geostrategisch bedeutsamen Brennpunkt macht.
Davon sprach übrigens in den letzten Tagen Rußlands Premier Putin ganz offen, eins ein führender KGB-Agent, der als Geheimdienstchef schon den letzten Tschetschenien-Krie vorbereitet hatte. Von Jelzin war er wohl deshalb diesen Sommer im Hauruck-verfahren a die Spitze des Staates gestellt worden mit überraschend wenig Widerstand au ansonsten Jelzin-feindlichen nationalisti-schen und kommunistischen Grup- pen in russischen Parlament, der Duma.
In eingeweihten Moskauer Kreisen ist noch von anderen Gründen für den jüngste Militärschlag die Rede als von den Energieinteressen allein. Der Klüngel um Jelzi wollte angesichts der nahenden Wahlen durch den unter nationalistischen Russen populäre Kampf gegen die Kaukasier innenpolitisch Punkte sammeln und, falls dies mißlinge, eine Vorwand haben, durch Ausrufung eines Ausnahmezustandes die Wahlen abzublasen. Dabe scheuten Geheimdienstkreise nicht einmal vor unheiligen Allianzen mit tschetschenische Extremisten zurück, denen der gemäßigte tschetschenische Präsident Maschadow ebens wie den Moskauer Hardlinern ein Dorn im Auge sei.
Seit Herbstanfang hat die russische Armee die tschetschenische Zivilbevölkerung in de kaum wieder aufgebauten Dörfern und Städten systematisch und massiv mit Raketen un Artillerie beschossen. Hunderte von Toten, Tausende von Vertriebenen waren schon nac einigen Tagen die Folge. Wasserwerke und Chemiefabriken wurden bombardiert, was vielfac nicht nur die Trinkwasserversorgung zum Erliegen brachte, sondern dazu führte, da tausend Tonnen Ammoniak und flüssiges Chlor zu einem großen Teil in den Fluß Sundsch gelangten und über den Fluß Terek so auch in das kaspische Meer. Dadurch erleidet die Ökologie des Nordkaukasus einen unersetzlichen Schaden.
Die wenigen Verkehrsverbindungen und Brücken, die nicht nach Rußland, sondern in südlich benachbarte Georgien führen, sind vernichtet, dem Land droht die vollkommen Abriegelung.
Es ist höchste Zeit, daß die europäischen und amerikanischen Regierungen da komplizenhaft wirkende Schweigen über den beginnenden Völkermord im Kaukasus endlic durchbrechen. Auch der Islamismus angeblicher "Wahabiten" in seine Bedeutung maßlos übertrieben, denn die Mehrheit der Kaukasier hängt der mystische Sufi-Richtung des Islam an, die von den Wahabiten besonders erbittert bekämpft wir kann kein Vorwand sein, um ganze Völker auszulöschen.
Und übrigens: Was ist aus dem alten Schlachtruf "Kein Blut für Öl!" de Anti-Golfkriegs-Demonstranten geworden
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