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Obwohl der politisch denkende Deutsche seine Kraft einsetzen möchte, um die Gegenwart und die Zukunft zu gestalten, wird er immer wieder zurückgeworfen auf Ereignisse der jüngeren Vergangenheit. Waren Deutsche daran beteiligt, mündet die Beschäftigung meist in selbstanklägerische Beteuerungen. So bekennt der Prä-sident der Bundesrepublik Deutschland im Ausland deutsche Verbrechen (auch welche, die beim näheren Hinsehen keine waren) und demonstriert Zerknirschung. Da werden über Neunzigjährige wegen angeblicher Kriegsverbrechen vor Gericht gestellt, und die Richter quälen sich damit ab, mit Hilfe von Zeugenaussagen die Ereignisse von vor fast 60 Jahren aufzuklären, dabei unter dem Druck der Medien stehend, die unbedingt eine Verurteilung erstreben.
Obwohl die Absurdität solchen Vorgehens auf der Hand liegt, vertreten Politiker wie Journalisten den Standpunkt, man müsse schlimme Ereignisse, für die Deutsche angeblich oder wirklich verantwortlich waren, immer wieder ans Tageslicht ziehen. Nie dürften sie vergessen werden, predigen sie. Wer aber fordert, einen Schlußstrich zu ziehen, oder wer gar den Verdacht ausspricht, die immer wiederholte Präsentation deutscher Untaten werde als Keule zu politischen Zwecken mißbraucht, der sieht sich, je nachdem, wie prominent er ist, einer mehr oder weniger mächtigen Flut von Angriffen ausgesetzt.
Und dann wiederum stößt der Zeitgenosse - wenn auch viel seltener - auf Berichte über Greueltat und Verbrechen der anderen Seite, der Siegermächte, und er fragt sich, warum diese "Anderen" gar nicht daran denken, über die für sie schändlichen Geschehnisse zu sprechen. Kein Politiker, kein Journalist, kein Geistlicher bekennt deren Schuld. Keiner bittet um Vergebung. Keiner streut sich Asche aufs Haupt. Dabei sei es doch, so deutsche Politiker, "besser, über das Geschehene zu sprechen, als darauf zu hoffen, daß es vergessen wird", wie es Bundespräsident Rau kürzlich abermals forderte.
Da las man vor wenigen Tagen in der Ausgabe Nr. 3/2002 der Informationsschrift des Volksbundes deutsche Kriegsgräberfürsorge namens "Forum" einen Bericht über die Gräber von 29 deutschen Marinesoldaten, Besatzungsmitglieder des U 85, auf dem Hampton National Cemetery in Virginia/USA. Ein junger Bundeswehrsoldat, der bei der Nato in den USA Dienst tut, sei auf das Schicksal dieser Soldaten gestoßen und habe sich daran gemacht, zu erforschen, was es mit jenem U 85 und den gefallenen Besatzungsmitgliedern auf sich habe.
Nun sind die Ereignisse um U 85 durchaus bekannt gewesen, wenigstens dem kleinen Kreis jener, die sich vor allem mit den Ereignissen des Seekrieges zwischen 1939 und 1945 beschäftigt haben. Der breiten Öffentlichkeit jedoch war das, was wir nun durch die Zeitschrift "Forum" erfahren, neu.
Das U-Boot der Kriegsmarine U 85 war 1941 in Lübeck vom Stapel gelaufen. Unter dem Kommando des damals 26jährigen Oberleutnants zur See Eberhard Greger hatte es den Auftrag, vor der amerikanischen Ostküste zusammen mit anderen deutschen U-Booten den Atlantik überquerende Geleitzüge, die Kriegsmaterial zur Unterstützung der britischen und sowjetischen Verbün- deten transportierten, zu beschießen und so möglichst viele Schiffe zu versenken.
Am 13. April 1942 war das Boot aufgetaucht, um Ausschau zu halten. Bevor das deutsche Boot den Gegner erkannt hatte, war es von dem US-Zerstörer "Roper" ausgemacht worden. Auch wenn der Zerstörer schon älteren Datums war, verfügte er - im Gegensatz zum deutschen U-Boot - über Radar, auf dessen Schirm sich das U-Boot abzeichnete. Der Zerstörer war bereits in Angriffs-position, als er gesehen wurde. Das U-Boot schoß sofort einen Torpedo ab, der aber sein Ziel verfehlte. Nun blieb dem U-Boot nur der Versuch, dem US-Zerstörer zu entkommen, um Zeit zum Tauchen zu gewinnen. Dazu jedoch war der Abstand zu knapp. Der Zerstörer erfaßte das U-Boot mit seinem Scheinwerferlicht und eröffnete das Feuer. Turm und Druckkörper des U-Bootes wurden getroffen, Wasser drang ins Innere des Bootes ein, das langsam sank. Fast alle der insgesamt 45 Besatzungsmitglieder hatten noch die Gelegenheit, ausgestattet mit Schwimmwesten ins Wasser zu springen. Das U-Boot versank in den Fluten des Atlantik.
In die große Gruppe der im Wasser treibenden schiffbrüchigen deutschen Marinesoldaten jagte der amerikanische Zerstörer, ohne die Geschwindigkeit zu drosseln, und warf an der Untergangsstelle elf Wasserbomben. Der Kommandant des Zerstörers, der amerikanische Kapitänleutnant Howe, gab in seinem Bericht an, er habe etwa noch 40 Mann im Wasser treibend gesehen. Besatzungsmitglieder des US-Zerstörers berichteten, man habe sie um Hilfe rufen hören. Nachdem die Wasserbomben zwischen und unter ihnen detoniert waren, lebte keiner mehr.
Am nächsten Morgen wurde die See von amerikanischen Schiffen abgesucht. Sie konnten 29 tote deutsche Marinesoldaten bergen, die in ihren Schwimmwesten an der Wasseroberfläche schwammen, darunter einer der Wachoffiziere und der Leitende Ingenieuroffizier. Die Amerikaner fotografierten die Leichen und brachten sie zu einer Marine-Luftwaffenstation. Dort wurden sie untersucht, um geheimdienstliche Erkenntnisse zu gewinnen. Am 15. April 1942 wurden die Gefallenen unter militärischen Ehren auf dem Nationalfriedhof Hampton/Virginia im Beisein eines evangelischen und eines katholischen Geistlichen beigesetzt. Ihre Grabsteine weisen allein die Namen auf. Weder wird deutlich, daß es sich um deutsche Soldaten handelt, noch welche Dienstgrade sie hatten. Und auch die Lebensdaten fehlen. Der Verdacht liegt auf der Hand, daß man damit das Kriegsverbrechen tarnen wollte und offenbar immer noch will, dem sie zum Opfer gefallen waren.
So weit der Bericht in der Zeitschrift "Forum". Er ist in Inhalt und Wortlaut identisch mit einem Protokoll, das im "U-Boot-Archiv" in Cuxhaven, einer zentralen privaten Forschungsstelle ehemaliger U-Boot-Fahrer, aufbewahrt wird.
Vor einigen Jahren gab es in der in den USA erscheinenden Zeitschrift "Sharkhunter International", einem Blatt ehemaliger amerikanischer U-Boot-Fahrer, die besonders die Freundschaft mit ihren ehemaligen Gegnern der deutschen Kriegsmarine pflegen, eine Diskussion über das Verhalten des Kommandanten des US-Zerstörers. Während einige meinten, die unmenschliche Handlung des amerikanischen Kommandanten sei zu erklären aus seiner Furcht vor weiteren deutschen U-Booten, herrschte unter den amerikanischen U-Boot-Veteranen die Meinung vor, daß ihr ehemaliger Kamerad, der Kapitänleutnant Howe, ein schwerwiegendes Kriegsverbrechen begangen habe, als er die im Wasser schwimmenden deutschen Schiffbrüchigen umbringen ließ.
Der historisch Bewanderte erinnert sich, daß im Oktober 1945 vor einem britischen Militärgericht in Hamburg ein Kriegsverbrecherprozeß gegen den Kommandanten des deutschen U-Bootes 852, den Kapitänleutnant Eck, den Schiffsarzt und einen Leutnant zur See sowie den Leitenden Ingenieur geführt wurde. Sie wurden angeklagt, nach der Versenkung des griechischen Dampfers "Peleus" die auf dem Wasser treibenden Schiffstrümmer, die den Standort des U-Bootes hätten verraten können, beschossen zu haben, um sie zu versenken. Dabei hätten sie keine Rücksicht auf die im Wasser treibenden Besatzungsmitglieder der "Peleus" genommen und viele von ihnen getötet. Auch wenn es für die Tat eine militärische Begründung gab und auch wenn es nicht das vorrangige Ziel war, die Schiffbrüchigen umzubringen, bedeutete die Handlung des Kommandanten dennoch ein Kriegsverbrechen. Drei der Angeklagten wurden zum Tode durch Erschießen verurteilt. Das Urteil wurde sogleich vollstreckt. Nur der Leitende Ingenieur kam mit dem Leben davon. Er wurde zu lebenslänglicher Gefängnishaft verurteilt.
Vergleicht man die beiden Fälle, so unterscheiden sie sich nur in einem: Die verantwortlichen deutschen Marinesoldaten wurden mit dem Tode bestraft; gegen die veranwortlichen US-amerikanischen Offiziere wurde nichts unternommen, obgleich der Kommandant seiner Dienststelle ungeschminkt die Ereignisse gemeldet hatte, das Kriegsverbrechen also bekannt war.
Und das ist nur ein Beispiel aus der Zeit des Zweiten Weltkrieges. Es drängen sich Fragen auf: Wenn es "besser sein soll, über das Geschehene zu sprechen, als darauf zu hoffen, daß es vergessen wird", wie es der Bundespräsident formulierte, dann müßte man davon ausgehen, daß der Grundsatz für alle Seiten gilt. Allerdings muß zugegeben werden, daß er lediglich eine Behauptung enthält. Wer kann belegen, daß es "besser" sei, immer wieder über Untaten zu sprechen? Die Siegermächte gingen diesen Weg nicht. Sie sind offenbar von der Gnade des Vergessens überzeugt und müssen deswegen keineswegs schlechtere Menschen sein als die Deutschen, deren führende Persönlichkeiten nicht müde werden, Schuldbekenntnisse abzulegen und ihre Umwelt im Namen der Deutschen um Verzeihung zu bitten.
Zwar kann man davon ausgehen, daß ein großer Teil der Deutschen nicht mehr hinhört, wenn in den Medien von deutschen Untaten die Rede ist, doch hat sich vor allem bei jungen Deutschen der Eindruck festgesetzt, Verstöße gegen die Menschlichkeit habe es nur von seiten der Deutschen gegeben. Sie hinterfragen es nicht, sie nehmen es hin.
Daß ein von seiner Inferiorität überzeugtes Volk nicht in der Lage ist, die Zukunft zu bewältigen, das befürchten seit langem besorgte Beobachter, die allerdings kein Gehör finden. Einem nicht geringen Teil der Deutschen ist durch permanente Schuldbeteuerungen das moralische Rückgrat gebrochen. Ein aus ihrer Nationalität herrührendes Selbstbewußtsein ist weitgehend verschwunden.
Das Ergebnis ist ein Zustand dieses Staates, wie er sich uns heute darbietet. Aus einer Nation, die noch vor 100 Jahren zu den leistungsstärksten der Welt gehörte, ist eine Bevölkerung geworden, die in der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit, im Bildungsstand, in kultureller Produktivität, in Geburtenzahlen, in politischer Durchsetzungsfähigkeit am Ende der europäischen Staaten und Völker steht.
Nachdem sein U-Boot versenkt war, tötete ein US-Zerstörer 40 Mann Besatzung, die hilflos im Atlantik trieben, mit elf Wasserbomben. Eines von zahllosen ungesühnten Kriegsverbrechen: Eberhard Greger, Kommandant von U 85, im Februar 1942 - knapp zwei Monate vor dem Tod des 26jährigen Marine-Oberleutnants. |
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